Hartz-IV-Stipendium

Kunstanstellung Viele ­Kreative leben an der Grenze des Existenzminimums. Plädoyer für ein Grundeinkommen, das Autonomie gewährt - damit Werke wieder produktionskritisch sein können

Die Produktionsweisen der zeitgenössischen Kunst gleichen mitunter Manufakturen, wie man sie aus dem alten Verständnis von Handwerk kennt. Der Meister entwirft und die Künstlervasallen setzen die Ideen um. Ein System, in dem die Parameter der Ästhetik verdächtig nahe an die Wirtschaftlichkeit von Kultur rücken und in dem große Namen zählen sowie große Summen fließen. Nicht unähnlich verhält es sich im kommerziellen Galeriebetrieb: Der finanzielle Mehrwert und die Gewinnmaximierung bestimmen, was gute Kunst ist und was nicht – und die dazu gehörenden Künstlerfiguren, meist männlich und weiß, sind Protagonisten, die sich medial erzählen lassen. So kennt man Kunst nur in den Zusammenhängen des Marktes.

Jenseits des Glamours sieht das Künstlerleben anders aus. Wie das Interview mit Lisa Jugert, Künstlerin und Künstlerassistentin, im Freitag vom 27. Mai 2010 zeigt, ist es schwierig, eine eigene künstlerische Produktion zu gestalten.

Das allgemeine Verständnis der künstlerischen Autonomie beläuft sich zumeist nur auf thematische Freiheiten. Niemand kann Künstlerinnen vorschreiben, was sie zu entwickeln haben und mit welchen Methoden. Wenn ein Künstler zur Erhaltung der Grundbedürfnisse berufsfremden Tätigkeiten nachgehen muss, um dann die „Freizeit“ für die künstlerische Produktion zu opfern, ist er nicht frei im Sinne der künstlerischen Autonomie. Eine Art Grundeinkommen für Kulturschaffende könnte eine Lösung dieses Dilemmas sein – verbunden mit entsprechenden Anforderungen als Gegenleistung, etwa im pädagogischen oder sozialen Bereich wie der Kulturvermittlung. Erarbeitet werden müssten freilich Kriterien für die verschieden künstlerischen Disziplinen, nach denen entschieden würde, wer von einem solchen Grundeinkommen profitieren könnte. Mögliche Vergleichspunkte wären zum Beispiel eine gewisse Anzahl der Ausstellungen, Publikationen, Projekte, Organisation und ähnliches.

Hochschule zur Vorbereitung

Die produktionsbedingte Unterwerfung durch Anstellung in den Ateliers von Künstlerstars ist dagegen definitiv keine Lösung. Künstler investieren zudem eine Menge unvergütete Zeit in die Administration und Vorbereitung von Kunstproduktion. Dieser Aspekt entgeht der öffentlichen Wahrnehmung: die Projektarbeit und Antragsarbeit im Hintergrund.

So wird ein System erhalten, das auf exponentielles Wachstum und Elitarisierung der Kultur ausgerichtet ist. Einige wenige leben und arbeiten auf Kosten der Präkarisierung der Mehrheit in ständigem Konkurrenzkampf. Ein kompetitives Produktionsmodell ist nicht geeignet, um kulturelle Autonomie zu fördern, ein kooperatives Modell entspräche dem schon eher.

Obwohl die Erfolgszahlen des Kunstmarkts die Meldungen auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen dominieren, leben die meisten bildenden Künstler an der Grenze des Existenzminimums. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung verdienen rund 80 Prozent der Künstler nicht mehr als 11.000 Euro jährlich durch ihre Kunst. Die meisten von ihnen haben akademische Abschlüsse.

Durch einen finanziellen Flickenteppich aus kleinen Künstlerhonoraren, gelegentlichen Verkäufen eigener Werke, Spenden aller Art, Unterstützung durch Angehörige, gelegentliche Ausstellungsvergütungen, seltene Vortragstätigkeiten oder Beschäftigungen in der Kunstvermittlung sichern die meisten zeitgenössischen Künstlerinnen mehr schlecht als recht ihren Lebensunterhalt. Instabil, prekär, nur kurzfristig planbar und schwer kalkulierbar heißen die Adjektive, die Künstler ständig begleiten. Viele sind als Hartz-IV-Stipendiaten, Ein-Euro-Jobber oder professionelle Nebenerwerber auf Unterstützung angewiesen, um zusätzlich zu ihren kargen Einnahmen aus der Kunstproduktion die eigene Existenz sichern zu können.

Freiheit als Trostpflaster

Teil des Problemfelds ist die Ausbildung der Künstlerinnen, genauer: die Auffassung der Akademie und die offensichtlichen Tendenzen eines Verständnisses von Universität als Dienstleistungsunternehmen, in dem – im Fall der Kunsthochschulen – die Illusion künstlerischer Freiheit als Trostpflaster für die später eintretende Selbstprekarisierung und/oder die Unterwerfung unter die Verwertungslogik des Marktes aufrechterhalten wird.

Künstlerische Produktion ist ohne die Vorbereitung durch Lehre und Forschung kaum denkbar. Um so wichtiger ist es innerhalb der Akademie, produktionskritische Positionen und alternative Modelle zu erarbeiten. Das ist jedoch kaum machbar, wenn das Hochschul-Image sowie die damit verbundenen kommerziellen Interessen andere sind und Protagonisten, die an alternativen Modellen zum Kunstmarkt arbeiten, bei den Berufungen an die Hochschulen übergangen werden.

Eine ethische Betrachtung und eine Hinterfragung der Maximen von Forschung und Lehre finden kaum statt. Vor allem in der Kunst ist aber genau diese meta-ästhetische Betrachtung der Kultur von herausragender Bedeutung.

Der Ruf nach Leistung, Markteffizienz und Selbstmanagement, die Tendenz, den künstlerischen Produktionen einen Fetisch- und Warencharakter zuzuschreiben, überlagern die ursprüngliche Funktion von Kultur. Bei der geht es um ein ästhetisches Ideal im Sinne der Aufklärung. Dieses Ideal impliziert, Konsequenzen für die Ethik der Kunstproduktion zu ziehen, denen wir uns nicht verweigern können.

Pablo Hermann ist freischaffender Künstler und Aktivist. Er hat in Santiago de Chile und in Berlin Malerei, Grafik, Kunsttheorie und Kontext studiert. Seit 2004 arbeitet er in Berlin und betreibt seit 2007 den alternativen Projektraum okk/raum29 im Verbund der Kolonie-Wedding e.V.; okk steht für "Organ kritischer Kunst".

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