NSU - die Anti-Verschwörung

NSU-Prozess Der plötzliche Tod einer jungen Kronzeugin in Baden-Württemberg wird neue Verschwörungstheorien nähren. Dabei entpuppten sich bisher alle Wahrheiten stets als Legenden.

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Ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien. Niemand ist es, den ich persönlich kenne. Und überhaupt, macht man sich mit dem Kolportieren irrationaler Erklärungen zu einem konspirativ getarnten Weltgeschehen nicht schnell die falschen Freunde?

Der Nationalsozialismus seinerseits kann wohl als ein Paradebeispiel einer ganzen Verschwörungsideologie bezeichnet werden. Und sein Attraktivität als Projektionsfläche für Verschwörungen ist ungebrochen. Hitlers Schäferhund Blondie nämlich überlebte den zweiten Weltkrieg samt Herrchen in einem Uboot, das in der Antarktis vor »Neuschwabenland« vor Anker ging. Und ebenso ranken sich um die Neo-Nationalsozialistische Gruppe, die jahrelang ungestört ihren Terror zelebrierte, weiterhin überwiegend Mutmaßungen – und das trotz zahlloser, der Wahrheitsfindung verschriebenen Untersuchungsausschüssen und einem großangelegten Gerichtsprozess.

Nun sterben ausgerechnet in Baden-Württemberg, dem Schauplatz des Polizistinnenmordes, die Kronzeugen auf höchst mysteriöse Weise in kurzen Abständen. Steht ihr Ableben womöglich in einer Reihe mit der zufälligen Vernichtung vieler relevanter Akten im Thüringer Staatsschutz? Das Fahrwasser wird hier ganz niedrig für Anti-Verschwörungstheoretiker. Doch zeigt die gesamte Aufklärung der NSU-Machenschaften bislang, dass die einzige Klarheit in dem Fall der Schleier ist, der über allem hängt (oder verhängt wurde?).

Legende Nummer eins widerlegte erst das plötzliche Auftauchen des Trios, oder besser als zwei Drittel des Trios als verkohlte Leichen in einem Wohnwagen auftauchten: Zehn über das gesamte Bundesgebiet verteilte Morde an Migrantinnen und Migranten und einer Polizistin sind nicht auf deren zu Unrecht vermuteten Verbindungen in mafiöse Milieus zu erklären. Es handelte sich weder um »Dönermorde« noch um eine »Mordserie Bosporus. «Sie sind allesamt die Opfer eines rechtsextremistischen Terrors, der sich »Nationalsozialistischer Untergrund« nennt.

Mittlerweile ist auch die von der Staatsanwaltschaft verfolgte Legende brüchig, mit dem Tod zwei ihrer Mitglieder habe sich die Terrorzelle quasi selbst aufgelöst. Vielmehr fördern im Gegensatz zu den ganzen Ausschüssen und dem Prozess ausgerechnet Journalisten Informationen über den ganzen Sumpf zu Tage, in dem der »Untergrund« wirkte und mit dem Staat und seinen Organen vernetzt war.

Es ist in diesem Fall, als ob eine Verschwörungstheorie die nächste jagt. Nur dass in diesem Fall, die Wahrheiten, die zu Tage gefördert werden, viel unglaubwürdiger erscheinen als die vorigen Legenden. In was für einem Land leben wir, in dem so etwas möglich war, ist und bleibt? Ich hasse Verschwörungstheorien. Vor allem, wenn sie sich am Ende als wahr erweisen.

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Geschrieben von

Passenger

Essayist, Übersetzer (s. torial-Profil unter Homepage)

Passenger

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