Sisyphos muss endlich streiken

Bildungspolitik Die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen werden immer unhaltbarer. Besonders hart sind Lehrbeauftragte betroffen. Ein Augenzeugenbericht von der FU Berlin

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Eingebetteter MedieninhaltIm Grunde ist es ein schönes Gefühl, nach Abschluss des Studiums von seiner Heimatuniversität einen Lehrauftrag angeboten zu bekommen. Endlich wird einem die Verantwortung übertragen, eigens erworbene Erkenntnisse an die nächste wissensdurstige Generation weiterzugeben. Dass die Bedingungen in so einem Arbeitsverhältnis nicht rosig sind, ist bekannt. Von „Betteldozenten“ ist da medial manchmal die Rede, und immer schwingt die Not mit, am Ende doch mit Hartz 4 zum Lebensminimum aufzustocken. Dennoch überwiegt bei mir wie bei vielen anderen zu Beginn die Überzeugung, dass 8 Stunden pro Woche zu je 27 Euro – so die Bedingungen laut Ausschreibung – noch eine akzeptable Aufwandsentschädigung darstellen, öffnen sie den jungen Akademiker(inne)n doch das Tor in die ruhmreichen Hallen der Hochschulen.

Ist dieses Jammertal erst einmal durchwatet, werden reguläre Arbeitsverträge schon irgendwann folgen. Doch die Realität, von der selbst im universitären Mittelbau arrivierte Kolleginnen und Kollegen berichten, lässt kaum Raum für Optimismus. Eins liegt daher nahe: Seit Albert Camus war die Legende vom Sisyphos wohl nicht mehr so aktuell, liest man sie als Parabel auf die Lehrbeauftragten. Den Felsbrocken der Lehre rollen diese Semester für Semester wieder auf den Olymp der Universitäten. Doch eine höhere Macht in Form von Senatsverwaltungen und Hochschulgremien stößt sie jedes Mal wieder zurück. Von der Illusion beseelt, eines Tages vielleicht doch oben anzukommen, rollen wir den Fels immer weiter. Doch sind wir dabei noch handelnder Mensch, oder nur Spielball der Götter?

Kein Lebensunterhalt, keine reguläre Arbeit

Am Freitag vor Beginn des Semesters landen die Lehraufträge in meinem Briefkasten. Am Montag soll ich auf der Matte stehen. Doch plötzlich ist nicht von 8 Wochenstunden die Rede. Für zwei identische Kurse erhalte ich einen Auftrag à vier Stunden, den zweiten à 3,90. Ein formaler Trick, um einem theoretischen Anspruch auf ein reguläres Arbeitsverhältnis vorzubeugen. Den zweiten Kurs soll ich demnach wohl immer fünf Minuten eher enden lassen. Das mir zustehende Entgelt könne mir „unbar nach Beendigung der Vorlesungszeit“ ausgezahlt werden. In etwa fünf Monaten also.

Diese Bedingungen sind es, die das Fass zum Überlaufen bringen. Oder eigentlich muss man es so ausdrücken: Sie sind der letzte Tropfen, bevor das Fass, die Lust auf Lehre, völlig versiegt. Und dennoch sieht so die gängige Praxis gegenüber 90.000 Lehrbeauftragten an deutschen Hochschulen aus: „Sie gelten nicht als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nicht einmal als Honorarkräfte, sondern stehen zu den Hochschulen in einem 'öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis eigener Art'“, hält die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) dazu fest.

So handelt es sich im vorgelegten Lehrauftrag auch um keinen Vertrag, der verhandelbar wäre. Sondern allein um einen einseitigen Verwaltungsakt der Hochschule, eine Art Gnadenbrot sozusagen. Und auch die Direktion der erteilenden Zentraleinrichtung gibt im Gespräch unumwunden zu: „Die Lehraufträge sind nicht dazu konzipiert, den Lebensunterhalt zu sichern.“ Das zeigt jedoch, dass die Hochschulpolitik der Länder, die Universitäten, ja die Lehrbeauftragten selbst, bis jetzt die Augen vor der Realität schließen. Für viel zu viele in diesem Land ist der Lehrauftrag eben kein bloßes Zuverdienst zu einer regulären Tätigkeit, sondern alltäglicher, unzureichender Broterwerb. Sie versuchen auf diesem Weg ihren Fuß in der Unitür zu halten, und erhoffen sich den Erwerb relevanter Qualifikationen. Doch was für Qualifikationen sollen das sein?

Unwürdige Bedingungen an Unis allgegenwärtig

Kaum ein(e) Lehrbeauftragte(r), der nicht über einen höheren Hochschulabschluss verfügt. Der „Erwerb weiterer Qualifikationen“ ist für sie daher teuer bezahlt, weil die schon erlangten Fähigkeiten weit unter Wert verhökert werden. Und letztlich zeugt ein Lehrauftrag im Lebenslauf eben auch davon: Der Bereitschaft sich diesem unwürdigen System an den Universitäten zu fügen.

Wissenschaftliche Publikationen, die sich dem Phänomen widmen, tragen in diesem Sinne auch schlagkräftige Titel wie „Wissenschaft oder Dummheit?“ oder „Nachwuchs bis zum Tod im Traumjob Wissenschaft“. In einem Artikel über „Prekäre Wissensarbeit im akademischen Kapitalismus“ rechnet der Soziologe Peter Ullrich von der TU Berlin vor, dass nur noch jede(r) vierte Beschäftigte im Mittelbau mit einer Vertragslaufzeit über zwei Jahren gesegnet ist. Für die übrigen 75 Prozent der Beschäftigten ist der Unialltag demnach geprägt von Beschäftigungsunsicherheit, mangelnder Planbarkeit und fehlenden Perspektiven. Denn darüber hinaus stagniert seit Beginn der 90er Jahre die Zahl der Professorenstellen in Deutschland, während das akademische Proletariat im Mittelbau enorm aufgestockt wurde. Aus einer einstigen Beschäftigungspyramide ist ein enger Flaschenhals geworden, durch den sich immer mehr Anwärter(innen) versuchen zu drücken.

Als einzigen Trost für die Situation einer/eines Lehrbeauftragten schlägt einem da gemeinhin Mitleid entgegen. Ein Mitleid, das kein wirkliches mit-leiden ist, da auch innerhalb der Hochschulen Solidarität unter den Beschäftigten viel zu selten sichtbar wird. Der ehemalige Politikprofessor an der Freien Universität Berlin, Peter Grottian, prangerte eben diesen Individualismus im Kampf um Verbesserungen in einem Kommentar im Tagesspiegel an. Doch setzte er hinzu: „Die Lebensverhältnisse von Lehrbeauftragten sind so fragil, dass dafür keine Zeit ist.“

Dabei sitzen Studierende und Lehrende im selben Boot. Die Uni als Ort prekärer Lehr- und Lernbedingungen macht beiden Seiten zu schaffen. Dazu gehören die Überbelegung von Kursen, über mehrere Semester Wartezeit bei der Einschreibung in vorgeschriebene Module, Prüfungsstress. Eine Solidaritätsnote von Studierendenverter(inne)n auf der Bundeskonferenz der Sprachlehrbeauftragten an deutschen Hochschulen (BKSL) erkannte ganz richtig ein gemeinsames Interesse: „Die Beendigung der prekären Arbeitsverhältnisse der Lehrbeauftragten würde auch eine Verbesserung bei der Kontinuität und Qualität der Lehre bedeuten“.

Aufopferung und Ausbeutung

Doch die BKSL, im Jahr 2012 gegründet, fungiert als einsame Ruferin im Walde. Keine(r) erhört sie, kaum jemand stimmt in den Ruf ein. Zum diesjährigen Protesttag der Honorarlehrkräfte am 05.10.2016 demonstrierten gerade einmal 100 Kolleginnen und Kollegen in Berlin. Der Soziologe Peter Ullrich nannte „geringe Konfliktfähigkeit und die Gewöhnung an niedrige Beschäftigungsstandarts“ bei den betroffenen Akademiker(inne)n als Ursache für den fehlenden Widerstand. Hinzu kommt die diffuse Interessenlage, die die Lehrbeauftragten im Mittelbau zusätzlich marginalisiert. Lehrbeauftragte sind offiziell nicht Teil der Hochschulen und haben daher wie Kastenlose keinerlei Vertretung oder Mitspracherecht in den Gremien.

Ich selbst sehe mich dabei in einem Zwiespalt. Auf der einen Seite mein Wunsch zu lehren und im Umgang mit Studierenden selbst kreative Impulse zu empfangen. Auf der anderen Seite die unmenschlichen Bedingungen, die mir ein unerträgliches Maß an Entbehrungen – in Form unbezahlter Vor- und Nachbereitungszeiten, finanzieller Einbußen bei Krankheit, keine Beiträge in die Sozialversicherungen – abverlangen. Kann ich den Studierenden unter diesen Voraussetzungen mein Ideal von gelungener Wissensvermittlung weitergeben? Oder belügen wir uns nicht alle gegenseitig, wenn wir solche Verhältnisse in unserer „Bildungsrepublik Deutschland“ (Zitat Merkel) hinnehmen?

Sind die Ausgangssituationen und Zielvorstellungen, die sich mit der Annahme eines Auftrags zur Lehre verknüpfen, auch mannigfaltig. Alle verbindet uns, dass die Situation an den Hochschulen im Allgemeinen immer unhaltbarer wird: Allein seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Lehrbeauftragten an den Universitäten verdoppelt. An den Berliner Universitäten werden beispielsweise 75 Prozent der Lehrveranstaltungen im Sprachbereich durch Lehrbeauftragte abgedeckt. Sie erfüllen häufig Daueraufgaben, wobei ihr Entgelt nicht einmal der Hälfte dessen entspricht, was Festangestellte bekommen. Zum Teil liegt das tatsächliche Arbeitspensum gar unter dem Mindestlohn, wie die Vernetzungsinitiative „Prekäres Wissen“ exemplarisch darstellte. Daraus wird deutlich, wer die wahre Last zu buckeln hat, wenn allenthalben die explodierenden Studierendenzahlen als Erfolgsmeldungen die Runde machen.

Sisyphos der Uni

„Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen“, beschreibt Camus seinen Sisyphos und dessen empfundenes Glück, wenigstens seinen zerstörerischen Felsbrocken zu besitzen. Wie weit uns diese Form der Sisyphosarbeit zurückwirft, zeigt sich in der Perspektivlosigkeit, die den blanken Fels noch zum Objekt der Liebe verklärt. Gemeint ist damit, was Soziologe Ullrich die „hohe intrinsische Motivation, eine erfüllende und sinnvolle Tätigkeit auszuüben“, nennt.

Doch verbirgt sich dahinter nicht eine Illusion, welche die eigentlich notwendige Wut gegenüber diesen in Wahrheit gewaltvollen Machtstrukturen an den Hochschulen verschleiert? „Gewaltvoll deshalb, weil sie demütigen, entwürdigen und damit suggestiv psychisch zerstörerisch wirken“, wie eine Erhebung der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin zu dem Thema schließt.

Doch lässt sich an dieser Situation kaum etwas mit hoffnungsvollen Worten ändern. Die Probleme liegen längst offen, an Forderungen, sie zu beheben, mangelt es nicht. Damit sich etwas ändert, muss mit Nachdruck vorgegangen, die verschütt liegende Wut gebündelt werden. Das Bewusstsein bei den Betroffenen – dazu zählen auch die Studierendenschaft und das Kollegium – muss weiter geschärft werden, um diese Zustände nicht länger demütig zu ertragen. Ein erster Schritt ist die Vernetzung unter den vereinzelt existierenden Initiativen bundesweit. Ein Schritt, der am 21. Januar 2017 in einem Gründungskongress in Leipzig besiegelt werden soll und hoffentlich zu weiteren Schritten führt: Ein Streik, am besten zur Klausurzeit, wäre ein adäquates Zeichen und zugleich Fanal für grundlegende Veränderung.

INFO-BOXes:

„Prekäres Wissen“:

Das Netzwerk "Prekäres Wissen" verbindet Initiativen und Interessierte, die sich mit Prekarisierung in Bildungs- und Wissensarbeit beschäftigen. „Prekäres Wissen“ steht als offene Plattform für Austausch, Informationsvermittlung und Organisierung zum Thema Prekarität. Everybody's welcome! Mehr Infos auf dem Vernetzungsblog unter: https://prekaereswissen.wordpress.com/

„Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft“:

Das Netzwerk startete einen Aufruf zur Vernetzung aller akademischer Hochschulbeschäftigten, um endlich kollektiv handlungsfähig zu werden. Erste Etappe wird eine Tagung am 21. Januar 2017 in Leipzig. Ziele dieses Vernetzungskongresses sind: gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, Kampagnenfähigkeit, langfristig womöglich Streikfähigkeit – und zwar bundesweit; darüber hinaus die Anbahnung von Kooperationen mit unterstützungswilligen Fachgesellschaften, Professor*innen und Studierenden. Details und Anmeldung unter: http://mittelbau.net

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Geschrieben von

Passenger

Essayist, Übersetzer (s. torial-Profil unter Homepage)

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