Fast könnte man ihn gut finden

Christian Lindner Mit seinen Aussagen zur Krim beging der FDP-Chef einen wohlkalkulierten Tabubruch. Das passt ins coole Image des Politikers
Ausgabe 32/2017
Christian Lindner spricht den situativ verantwortungsethischen und leicht zynischen Menschen in uns an
Christian Lindner spricht den situativ verantwortungsethischen und leicht zynischen Menschen in uns an

Bild: Axel Schmidt/Getty Images

Bei Moral geht es ums große Ganze. So ähnlich hat es Niklas Luhmann formuliert. Für einen Politiker ist die Moral so gefährlich wie unverzichtbar. Jetzt hat der Vorsitzende der FDP ein Interview gegeben. Auf Mallorca. Es ist ein sehr langes Interview geworden, in dem Christian Lindner über vieles spricht. Doch nur, was er am Ende sagt, bleibt hängen: Dass man anders mit Russland umgehen müsse. Neu denken muss, um Putin den Raum zu geben, „ohne Gesichtsverlust seine Politik“ zu korrigieren. Dazu gehöre – Lindner bezeichnet es selbst als „Tabubruch“ – die Annexion der Krim als „dauerhaftes Provisorium“ ansehen zu müssen. Paukenschlag, medialer Aufschrei, wie zu erwarten. Nach dem Interview verabschiedete sich Lindner zum Gokart-Fahren, zum Entspannen.

Sollte dieses Vorhaben gescheitert sein, dann lag es an den 36 Grad, die in Las Palmas herrschten, und nicht an seinen Aussagen zu Russland. Christian Lindner wusste, was er tat. Er wusste, dass sein Sprechen über die Krim nicht nur politisch gelesen wird. Dass Moral im Spiel ist. „Ein Bruch des Völkerrechts ist ein Bruch des Völkerrechts ist ein Bruch des Völkerrechts.“ Christian Lindner kannte diese Melodie und sang doch seine eigene Strophe. Wer sein eigenes Reden gleich selbst einen „Tabubruch“ nennt, macht schon einmal vieles richtig. Es ist dann nämlich gar kein so richtiger mehr. Sondern vielleicht eher eine „schmerzhafte Wahrheit“. Letztlich sprach er nur das Offenkundige aus. Er war also ein wenig ehrlicher als andere aus seinem Lager.

Ein Kind der Popkultur

Christian Lindner rechnete mit einem Adressaten, der weiß, dass es in der Politik nicht nur um das „Eigentliche“ geht, sondern auch um Takt, Klugheit und Eigennutz. Er rechnet also mit dem durchschnittlichen Wähler der FDP, dem die Differenz von Moral und Politik in die DNA geschrieben scheint. Diese Differenz lässt sich unterschiedlich fassen. Man kann die Differenz zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik anführen. Hat Lindner also verantwortungsethisch argumentiert? Ein wenig vielleicht. Mit gleichem Recht könnte man nämlich auch sagen, dass Lindner auf das setzte, was Peter Sloterdijk „das aufgeklärte falsche Bewusstsein“ genannt hat: Die Besetzung der Krim war völkerrechtlich bedenklich, aber ist nun einmal nicht zu ändern. Die Realität liegt vermutlich etwa in der Mitte. Lindner zählte also auf den situativ verantwortungsethischen und leicht zynischen Menschen, der sich auch schnell mal empört, wenn etwas gegen seine Moral verstößt. Es ist ein schwieriger Mensch, der gerne Anführungszeichen in die Luft malt: „Tabubruch“, „schmerzhafte Wahrheit“. Dieser Mensch ist ein wenig wir alle.

Lindner ist ein Kind der Popkultur. Popkultur ist Ironie und Pathos. Am besten beides in einer Person, dann nennt man es: Coolness. Diese Coolness drückte sich in Lindners NRW-Wahlvideo aus, dessen Lässigkeit selbst dann faszinierte, wenn man seine Politik nicht teilt. Sie zeigte sich auch bei einem Auftritt an der Universität Bochum, als er über Bildung sprach und von Studenten gestört wurde. Am Schluss stand er als Bewahrer der Bildungschancen da, und die Studenten als unbeholfene Feiglinge. Und so endet dieser Kommentar beinahe da, wo er niemals enden sollte – bei einer Apologie auf Christian Lindner. Da hilft nur ein argumentativer Tigersprung: Jeder, der für mehr Gerechtigkeit steht, jeder, der wirklich für eine andere Politik kämpft, muss ein wenig von diesem Mann lernen. Das gilt natürlich auch für Frauen.

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