An den Universitäten in Tübingen, Münster und Osnabrück werden ab dem kommenden Jahr Imame ausgebildet. Diese Meldung löste in den vergangenen Wochen auf Leserbriefseiten und in Internetforen heftige, mitunter fast panische Reaktionen aus. Nun würden hierzulande „fundamentalistische und antideutsche Prediger ausgebildet“, es werde eine „islamische Missionierung“ geben, da waren sich fast alle Kommentatoren einig.
In Tübingen soll es im Wintersemester 2011/2012 losgehen. Uni-Rektor Bernd Engler rechnet zunächst mit rund 40 Studenten. Diese werden einige Jahre später zunächst einen Bachelor-Abschluss in islamischer Theologie haben. Eine Karriere als Imam ist damit aber keineswegs vorgegeben. „Ich gehe davon aus, dass wohl eine geringere Zahl der Absolventen als Imam arbeiten wird“, sagt Engler. „Aber das lässt sich schlecht prognostizieren.“
Sechs Professuren sollen in Tübingen Anfang 2011 ausgeschrieben werden: Für Koran und Koranlesung, Koran-Exegese, Hadith-Wissenschaften und prophetische Tradition, islamisches Recht, islamische Glaubenslehre, Religionspädagogik und islamische Geschichte. Die Wissenschaftler werden ausschließlich Muslime sein – so wie an christlich-theologischen Fakultäten nur Christen Professoren sein können.
Die Lehrinhalte werden bis dahin erarbeitet. „Erfahrungen in anderen Ländern können hier Pate stehen. Vor uns liegt ein intensives miteinander Reden und Lernen“, sagt Engler. Er wird einem neunköpfigen Beirat des neuen „Zentrums für Islamische Studien“ vorstehen, in dem auch Vertreter der muslimischen Verbände sitzen. Der Beirat muss nicht zuletzt dafür sorgen, dass die Uni-Absolventen von den Moscheegemeinden später auch akzeptiert werden.
Das zweite von der Bundesregierung maßgeblich finanzierte Zentrum für Islamische Studien wird in Münster/Osnabrück entstehen. In Münster gibt es bereits ein „Centrum für Religiöse Studien“, den Lehrstuhl dazu hält Mouhanad Khorchide. Er erklärt, er stehe dafür, „die traditionelle islamische Theologie kritisch zu reflektieren“, und „eine islamische Theologie aus dem europäischen Kontext heraus zu etablieren.“ Dies wird ein langer Prozess.
„Jetzt geht es an die Arbeit“, sagt Erol Pürlü, Dialogbeauftragter des Verbandes der islamischen Kulturzentren. Der VIKZ wurde 1973 gegründet und ist eine der ersten nichtstaatlichen Organisationen, die sich um die religiöse Betreuung türkischer Muslime hierzulande kümmern. Dem Verband gehören bundesweit rund 300 Gemeinden an, seit den achtziger Jahren bildet er die Imame dafür selber aus. „Die Ausbildung dauert drei Jahre plus ein Praktikum bei einem erfahrenen Imam“, sagt Pürlü.
Anspornen zu studieren
An den Universitäten gehe es erst einmal darum, die islamische Theologie in Deutschland zu etablieren und Religionslehrer auszubilden. Die Ausbildung müsse an die Nachfrage der Verbände gekoppelt werden. „Wir sind da noch ganz am Anfang“, sagt Pürlü. „Aber wir werden die Leute auf jeden Fall dazu anspornen, zu studieren.“
Solche Sätze werden in Tübingen, Münster und Osnabrück gerne gehört. „Wir brauchen eine in der Bundesrepublik beheimatete islamischen Theologie, die auf akademischer Ebene Theologie betreibt, die den hier lebenden Musliminnen und Muslimen Antworten auf ihre vielfältigen Fragen im Leben geben kann und die Integration der hier lebenden Muslime positiv unterstützt“, sagt Martina Blasberg-Kuhnke, die Vizepräsidentin der Uni Osnabrück.
Wie notwendig das ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Rund vier Millionen Muslime leben hier, davon sind rund 2,7 Millionen Türken. Dem Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung zufolge bezeichnen sich gut 90 Prozent von ihnen als religiös, etwa 41 Prozent als hochreligiös.
Solche Zahlen stoßen bei vielen Deutschen auf Verwunderung, Ablehnung oder gar Angst. Sie machen aber deutlich, wie wichtig gut ausgebildete und in Deutschland sozialisierte Imame sind. Denn in den rund 2.000 deutschen Moscheen erreichen die Imame mit ihren Freitagspredigten bis zu 600.000 Menschen, wie der Sozial- und Religionswissenschaftler Rauf Ceylan Anfang des Jahres in einer Studie feststellte.
Gesamtnote mangelhaft
Ceylan arbeitet in Osnabrück als Professor für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt islamische Religionspädagogik. Er beobachtete jahrelang die Arbeit in den türkischen Gemeinden im Ruhrgebiet und konstatierte: „Imame üben einen großen Einfluss auf die muslimischen Gemeinden aus. Sie sind die theologische Instanz und stellen wichtige gesellschaftliche sowie politische Multiplikatoren dar“. Das Verständnis, das Muslime von ihrer Religion haben, geht also zum großen Teil auf ihren Imam und dessen Freitagspredigten zurück. Ein türkisches Sprichwort lautet: Der halb ausgebildete Imam nimmt den Menschen den Glauben, wie der halb ausgebildete Arzt den Menschen die Gesundheit raubt.
Ceylan stellte fest, dass es zwar durchaus Beispiele für gute Predigten gibt, diese aber die Ausnahme sind. Er schreibt: „Sollte ich wie in der Schule eine durchschnittliche Gesamtnote für alle von mir erlebten Freitagspredigten geben, dann würde das Ergebnis mangelhaft lauten.“ Die meisten Predigten gingen schlicht an der Lebenswirklichkeit der Muslime in Deutschland vorbei. So wurde er einmal Zeuge, wie ein Imam vor seiner Gemeinde, die vorwiegend aus Arbeitern, Hartz-IV-Empfängern und Schülern bestand, die Steuersätze für die muslimische Sozialsteuer, Zakat, errechnete – allerdings speziell für Bauern.
Ein Imam hat in seiner Gemeinde noch viele andere Aufgaben jenseits der Freitagspredigt. Viele davon ähneln denen eines christlichen Pfarrers oder Priesters. Dazu zählen zum Beispiel die Seelsorge der Muslime, Trauungen, Hochzeiten und Dialogveranstaltungen, alles rings um die religiöse Bildung. Besonders wichtig ist hierbei das Rezitieren und Auswendiglernen von Korantexten. Außerdem leitet der Imam das tägliche Gemeinschaftsgebet, das gläubige Muslime fünf Mal täglich zu verrichten haben.
Ceylan zieht den Schluss, dass nur Imame zur Integration beitragen können, die selbst integriert sind. Die derzeit hier tätigen Imame seien dies nur zu einem geringen Teil. Denn die meisten kommen aus dem Ausland, nicht wenige von ihnen aus finanziellen Gründen. Sie wollen so viel Geld wie möglich verdienen und dann zurück in ihr Heimatland. Wer so denkt, zudem selbst einen Kulturschock überwinden muss, wird kaum zur Integration der ihm anvertrauten Gemeindeglieder beitragen können. Etwa drei Viertel der Imame sind türkischstämmig. Sie erwartet eine Gemeinde mit anderer Lebenswirklichkeit und anderen Ansprüchen als in der Türkei. Dort beschränkt sich die Rolle des Imam auf die des Vorbeters. Hierzulande verlangt die Gemeinde auch sozialpädagogische und sozialarbeiterische Fähigkeiten, die haben derzeit nur wenige. Offenbar wird sich das nun ändern – wenn auch nur langsam.
Patrick Hemminger hat in Bamberg, Kairo, Berlin und Damaskus Orientwissenschaften studiert. Er arbeitet als freier Autor. Zuletzt schrieb er im Freitag über den Hungerstreik von Firas Maraghy
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.