Kameras auf dem Alex sind falsch 🎥

Überwachung Vor einiger Zeit wurde am Alex, ein Jüngling von Jugendlichen angegriffen. Der Tagesspiegel, hat darauf seinen Redakteur Björn Seelig nach mehr Überwachung bellen lassen.

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https://www.teleschirm.info/blog/wp-content/uploads/2015/08/Cameras_innercity_London_2005-280x188.jpgGewalt ist kein Wert, den wir in einer so großen Stadt haben wollen, schon gar nicht in einer Stadt, die das Mantra der Weltoffenheit und Toleranz, wie ein Geisteskranker hinaus plärrt. Ich bin hier aufgewachsen und wundere mich wirklich oft über die Naivität derjenigen, die neu in diese Stadt kommen. Bisweilen habe ich das Gefühl, dass sie mit einer weltfremden Sicht in die Stadt kommen – klar in den Kuhkäffern, aus denen die meisten kommen, gibt es so etwas nicht und die Welt ist in Ordnung.

Gestern war mal wieder so ein Tag. Ich konnte mir nur an den Kopf fassen, als ich den Artikel des Herrn Björn Seelig in der Onlineausgabe des Tagesspiegels entdeckte. Es wurde getitelt „Hängt endlich Kameras am Alex auf!“. Das war eine Reaktion auf den Vorfall vom Wochenende, als mal wieder ein junger Mann am Alexander Platz krankenhausreif geprügelt wurde und er am Ende seinen Verletzungen erlag und starb. Gott hab ihn selig, Herr Seelig!

Ohne wirklich konstruktiv auf den Vorfall einzugehen schrieb der Tagesspiegel Redakteur einen ein Artikel, der falscher nicht sein könnte. Ich mischte mich bei Facebook in die Diskussion ein und erfuhr viel Zustimmung zu meiner Meinung, dass die Kameras ein falscher Schluss sind. Schnell kamen aber auch diejenigen, die die Welt gern in Schlagworten verbuchen. Da gab es beispielsweise den Typus der inhaltlich sagt, dass die Kameras ja einen Sicherheitsgewinn darstellen, da sie solche Vorfälle verhindern würden, dann gab es den Typus der sagt, dass die Kameraüberwachung dazu dienen würde die Täter „dingfest“ zu machen und dann zu langen Freiheitsstrafen (vllt. sogar nach dem Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn den Tot wünschen) zu verurteilen. Das ist aber leider etwas kurz gedacht. Es ist gut, dass die staatlichen Kameras am Alex mit dem Regimeumsturz in der DDR 1989 verschwanden, denn solche Überwachung macht unfrei. Und ich möchte lieber in Freiheit leben. Allerdings ist es richtig, dass Freiheit mit Risiken und Nebenwirkungen einher geht. Man muss sich selbst um seine Dinge kümmern, es gibt keinen Kümmererstaat oder einen großen Bruder, der alles für mich erledigt. Und es gehört eben auch dazu, dass man das Risiko in Kauf nimmt ein gewisses Maß an Unsicherheit zu haben.

Nüchtern betrachtet bringen Überwachungskameras auf dem Alexander Platz nichts

Aber, warum das Ganzen auch aus einer nüchternen und unemotionalen, unideologischen Argumentation heraus Unsinn ist, das will ich hier nun kurz beleuchten. Jeder, der schon einmal einen Computer gekauft hat weiß es: IT Geräte – wenn sie auch etwas leisten sollen – sind teuer. Für solche Überwachungsmaßnahmen braucht man nicht nur die Kameras, die relativ teuer sind, nein, man braucht auch Server, die die Daten dann speichern und verarbeiten. Diese Kameras brauchen Strom, also auch neue Stromleitungen. Aber was vermutlich um einiges teurer ist, das sind die Datenleitungen. Datenleitungen für die Kameras werden benötigt um die Bildsignale der Überwachungskameras überhaupt erst mal in ein Rechenzentrum zu bringen um dort dann auch auf den bereits erwähnten Servern landen zu können. Diese Leitungen müssten Datenschutzkonform gesichert werden, was eben auch eine Sicherung gegen Physischen Zugriff bedeutet.

Diese Videodaten, welche dann gesichert übertragen werden, müssen auf einem Server gespeichert werden. Eine Stunde HD Film im H.264 Codec (das was u. a. Youtube nutzt) benötigt ca. 24 MBit/s, also 11.4 GByte Speicher. Zur Erinnerung pro Stunde. Wird nun nach 24 Stunden gelöscht, so sind das am Tag 273.6 GByte für eine Kamera. Bei drei Tagen Speicherfrist sind das 820 GByte, also fast schon ein Terrabyte (TByte). Nun ist es aber nicht so, dass man am Alex nur eine einzige Kamera bräuchte um den gesamten Platz zu überwachen. Ich vermute, dass zwanzig Kameras eine gute Zahl wären um jeden Winkel zu überwachen. Das wiederum sind dann bei einem Tag Speicherfrist allein 5.472 TByte und bei drei Tagen 16.416 TByte Speicherplatz.

Bei einem aktuellen Server, der dafür ausreichend wäre, sind das zurzeit Leasingkosten in Höhe von ca. 500€ pro Server (Kaufpreis ca. EUR 8’000.-) davon bräuchte man aber zwei und um redundant zu sein sogar vier. Auch diese brauchen wieder Strom – viel Strom. Und das ist eine optimistische Rechnung. Wartungskosten, Informatiker, die sich um den laufenden Betrieb kümmern (Informatiker sind sehr teuer.), der reine Platz in einem TIER 4 Rechenzentrum kostet auch noch einige tausend Euro. Sicher, Berlin betreibt sein eigenes Rechenzentrum ist in der Hinsicht vielleicht ein bisschen billiger.

Aber ist jemandem mit dem vielen Geld geholfen? Nein, ich denke nicht. Denn man bräuchte wieder jemanden, der vor den Bildschirmen sitzt und sich die Videostreams live ansieht – 24 Stunden, an 7 Tagen die Woche. Will man es nur haben um es zu speichern, gut, dann entfallen diese Personalkostenstellen.

Personal statt Kameraüberwachung

Was wäre nun eine Maßnahme um die Sicherheit wirklich zu erhöhen? Die Antwort ist einfach: Personal. Die Berliner Polizei hat 6’000 Stellen abgebaut seit einigen Jahren will Frank Henkel wieder mehr Stellen und hat 2’500 neue Stellen geschaffen, die nun besetzt werden sollen. Das ist nicht mal die Hälfte der gestrichenen Stellen.

Wenn sechs Polizisten an den Wochenendtagen (die sind offenbar die „Gewalt-Zeit“) in drei Paaren sichtbar über den Platz striffen, wäre das Signal eindeutiger. Polizei ist vor Ort und könnte vor Ort sofort eingreifen, Tote Jugendliche verhindern, ggf. Verstärkung rufen und Rettungskräfte alarmieren. Das können Kameras nicht. Damit wäre wirklich geholfen, aber nicht mit Kameras. Kameras schaffen es nicht Gewalt zu verhindern, sie schrecken Affekttäter nicht ab und am Ende ist das Opfer dennoch tot oder zumindest sehr schwer verletzt. Niemand hätte etwas davon, außer vielleicht den Firmen, wie Siemens und anderen, die mit Überwachung Geld verdienen.

Dieser Text erschien zuerst am 4. August 2015 beim Teleschirm.

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