Billy Bragg kann nicht wirklich singen; er klingt im schlimmsten Fall wie ein Nebelhorn. Dennoch ist er einer der wichtigsten britischen Songwriter seiner Generation. Kein anderer hat das politische Klima seines Landes so rigoros mit seiner Musik kommentiert. In der Bibel steht "Es sind die toten Fische, die mit dem Strom schwimmen". Denn musikalisch war Bragg in den achtziger Jahren, während der "New Romantic"-Bewegung, völlig deplaziert; politisch jedoch war er während der langen Thatcher-Jahre die Stimme der Unterdrückten und Benachteiligten. Bragg kämpfte bis zum letzten für die belagerten Bergarbeiter, er trommelte andere Popstars wie The Style Council zusammen um Red Wedge zu gründen, eine Organisation, die junge Menschen dafür mobilisierten sollte, sich für die Labour Party einzusetzen.
Politisch gesehen ist Bragg heute immer noch einer der scharfsinnigsten Musiker Großbritanniens, dennoch ist die Situation anders als noch vor 20 Jahren: "Ende der achtziger Jahre passierten einige wichtige Dinge: Die Berliner Mauer fiel, die Sowjetunion löste sich auf, Margaret Thatcher wurde entfernt, und ich wurde Vater. Ich musste einen neuen Weg finden, um mich auszudrücken, weil die Landschaft sich verändert hatte. Der Dauerfrostboden des kalten Krieges war vorbei, New Labour ging aus den Wahlen in England siegreich hervor, und ich war nicht in der Lage, immer neue Lieder über turbulente Liebesbeziehungen zu schreiben. Zwar spiele ich heute noch die alten Songs live, aber ich selbst habe ein neues Kapitel angefangen. Ein Künstler wie Morrissey etwa versucht immer noch den Zeitgeist von 1983 in seiner Musik zu vermitteln, ich halte das für nicht authentisch. Er kann sich doch in seinem jetzigen Zuhause, Clark Gables alter Villa in Los Angeles, unmöglich genau so fühlen wie damals als Jugendlicher im Arbeiterviertel Whalley Range in Manchester."
Bragg kam aus dem Punk-Umfeld, und er trat am Anfang seiner Karriere allein mit einer E-Gitarre und Verstärker auf; seine spätere Musik zeigt dagegen eine Vielseitigkeit, die man früher von ihm nicht erwartet hätte. "Ich hörte viel Country Western, Reggae, viel Folk- und schwarze amerikanische Musik als Kind in London. Der Mainstream in England war damals sehr vielseitig. Eine monothematische Kultur ist letztendlich inzestuös, und zerstört sich selbst. Es ist die Vielfältigkeit, die die Kultur eines Landes interessant macht." The Clash seien, so Bragg, ein gutes Beispiel dafür. "Sie waren am Anfang sehr vom frühen amerikanischen Rock´n´Roll beeinflusst, aber dann ließen sie sich von jamaikanischen Dub und Reggae inspirieren, und dennoch war stets eine dicke Scheibe Londoner Arbeiterkultur in ihrer Musik; eine sehr kraftvolle Mischung."
Obwohl Billy Bragg in Deutschland nicht gerade zu den bekannten Popstars zählt, war sein Konzert vor einigen Monaten in der Großen Freiheit in Hamburg ausverkauft. Bragg hat heute noch einen großen Kultruf, eine kurze Zeit war er zumindest in seiner Heimat ein richtiger Popstar. Den Gipfel der Popularität erreichte er 1991 mit seinem vierten Album Don´t try this at home, das für seine Verhältnisse ein Hochglanzprodukt war. Ganz nebenbei beinhaltete das Album aber auch einige der besten Songs, die er jemals geschrieben hat. "Der Versuch ein Popstar zu sein, führte für mich in eine Sackgasse. Mit der Single Sexuality, die ich zusammen mit dem ehemaligen Gitarristen der Smiths, Johnny Marr aufnahm, war zugleich das Ende erreicht: Wir drehten allein drei Videoclips für das Album und warfen das Geld der Plattenfirma regelrecht zum Fenster raus. Ich konnte den Popstarstatus einfach nicht aufrechterhalten. Auf Dauer hätte ich keine Freude daran gehabt, alle paar Monate eine neue Single zu veröffentlichen." In Braggs eigenen Augen handelt es sich bei Don´t try this at home zwar um ein brillantes Album, aber seiner Meinung nach ist William Bloke, das Album, das er danach aufnahm, mindestens genau so gut, wenn auch es keinen ganz so raffinierten Pop mehr enthält. Don´t try this at home sei der Versuch gewesen, die Devise "Mehr Stil als Substanz" auf die Spitze zu treiben, William Bloke dagegen sei ein "richtiges Billy Bragg-Album, intim und persönlich".
Ende der neunziger Jahre gab es zwei Billy Bragg-Platten, Mermaid Avenue1 2, die aus Woody Guthrie-Songs bestanden, die er mit der Band Wilco einspielte. "Ich sehe mich nicht als eine Reinkarnation von Woody Guthrie, aber ich bin Teil der selben Tradition. Er war der Vater der politischen Songwritertradition. Zwar gibt es da auch Dylan und The Clash, aber es fing mit Woody an. Ich dachte, ich bin es Guthrie schuldig, ihm auf diese Weise die Ehre zu erweisen." Zwei Jahre lang habe er sozusagen die Rolle von Woody Guthrie gespielt. "Ich glaube, die Leute wussten zwar von Woody Guthrie, aber wussten nicht, wie wichtig er war. Ich denke, dass ich dazu beigetragen habe, dass er wieder hip geworden ist. Wir waren es, die dafür sorgten, dass seine Songs radiotauglich wurden. Die alten Aufnahmen aus den vierziger Jahren sind nämlich sehr rau. Sie klingen wie von einem anderen Planeten, unsere Version von California Stars aber lief im Radio."
Billy Bragg ist jetzt 47, und er ist immer noch ein zorniger junger Mann. "Es ist schön und gut, ein politisches Lied zu schreiben, aber wenn man ein Publikum durch Musik dazu überreden will, politisch aktiv zu werden, muss man auch zeigen, dass man selbst dazu bereit ist, den Arsch hoch zu bewegen." Nach den Songs England, Half English und Take down the Union Jack 2002 wurde Billy Bragg in England viel Aufmerksamkeit zuteil, denn damit mischte er sich in die Diskussion über die wahre "englische Identität" ein, die dort ein Dauerthema ist. Der rechte Flügel fürchtet, dass die englische Identität verblasst, während die schottische und walisische stärker wird. Die englische Skepsis der EU gegenüber ist notorisch, genauso wie die verbreitete Skepsis gegenüber den Deutschen. "In Bezug auf Deutschland wird immer noch eher über die vierziger Jahre gesprochen, als über das, was im 21. Jahrhundert passiert," fasst es Bragg zusammen, der mit seinem England, Half English-Album ein Licht auf die englischen Zustände werfen wollte. "Die englischen Faschisten, die British National Party, verwenden auf ihrer Website viel angelsächsische Metaphorik. Aber das Wort "anglo-saxon" zum Beispiel hat einen Bindestrich und das sagt mir, dass mein Land daraus hervorging, dass Menschen unterschiedlicher Rassen zusammenkamen. Absolut zentral für die englische Identität ist also eine multikulturelle Vergangenheit. Das finde ich interessant."
Braggs aktuelles Album heißt Must I Paint you a Picture? The Essential Billy Bragg und enthält eine Zusammenstellung alter Songs. Wie es sich für ihn gehört, gibt es dafür einen politischen Anlass: "Ich habe festgestellt, dass viele sehr junge Leute aus der Anti-Irakkriegsbewegung zu meinen Konzerten kamen. Und die konnten sich gar nicht mehr vorstellen, wie ich einst Benefizauftritte für Labour habe geben können. Sie sehen eben den Zustand der Partei und Blair heute. Außerdem ist der britische Bergarbeiterstreik gerade 20 Jahre her. Ich dachte, das Album könnte zur Aufklärung beitragen."
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