Kultur, Musik

Lauschangriff 2/02 Kolumne

Die Rockmusik aus New York City ist wieder hip: Bands wie The Strokes, The Liars, Songwriter wie Jeffrey Lewis und das Electroclash-Dancephänomen dominieren die Schlagzeilen der kultigen Musikpresse. Jahrelang hatte Hiphop die Stadt beherrscht. Rock´n´Roll war zur bedrohten Tierart geworden. Wir kennen den Rock aber schon lange genug, um zu wissen, dass er Niederlagen nicht tatenlos hinnimmt. Die neuen Künstler bieten das Urbild Lou Reed-artiger Coolness. Der Clubbetreiber Larry Tee sagte mir, dass der Erfolg der neuen New Yorker Szene darauf zurückzuführen sei, dass die jungen Musiker alle begehrenswehrt, "fuckable" seien. Das letzte Mal, dass die Stadt eine solche hektische Aufregung in der Rockwelt verursachte, war Ende der siebziger Jahre mit der Blütezeit von Patti Smith, Blondie, Television, Talking Heads. Zwar gab es immer wieder vereinzelt spektakuläre Bands wie Sonic Youth, aber momentan ist das einheitliche Feeling in NYC so eifrig und jugendlich wie lange nicht mehr.

Firewater, die Band um Tod A, kommt aus New York, hat aber mit alledem nichts zu tun. Tod A ist zu alt, um als Jugendkultur verstanden zu werden. Dennoch schreibt er, meiner Meinung nach, die besten Songs New Yorks. Trotz seines hohen Alters (Ende 30), vermag er die Frische der Punkattitüde mit einer Kompetenz zu verknüpfen, die man eher von konservativen Virtuosen kennt. Als ob Sex Pistols und Dire Straits befreundet wären. Er war der Kopf der neunziger-Jahre-Band Cop Shoot Cop. Tod war also schon vor der neuen Hipness da. Als man mir damals erzählte, es gäbe keine guten Rockbands mehr in NYC, habe ich immer gerne geantwortet: "Es gibt aber Cop Shoot Cop!" Übersetzt bedeutet der Bandname "Heroin besorgen, Heroin spritzen, nochmal Heroin besorgen." Cop Shoot Cop war der wahre Geist von Brooklyn. Tod A war nicht der reiche Sohn, der als Student in Manhattan rebellieren wollte. Als ich ihn in den Neunzigern kennenlernte, kokettierte er gerne damit, dass seine Band ihren Proberaum in einem rattenverseuchten Keller hatte. Musikalisch war die Band rauh, rigoros und dennoch präzise. Am Anfang waren sie eine "Industrialnoise"-Band, nur mit Bass, Perkussion und Samples. Später gab es auch Gitarren und fanatische Keyboard- und Bläserarreangements. Tod löste die Band auf, weil sie sich selbst "künstlerisch in die Enge getrieben hatten". Er hatte bereits Songs geschrieben, die er bei einem neuen Projekt ausprobieren wollte. So entstand 1996 das Debütalbum von Firewater Get off the cross, we need wood for the Fire. In der ersten Phase war Firewater von folkloristischen Einflüssen durchdrungen. Das Debütalbum war ein unmittelbarer Angriff auf die Trägheit des organisierten Christentums im Angesicht des Elends auf der Welt. Nach dem Motto: Wir brauchen Taten, nicht fromme Sprüche. Erst beim zweiten Album The Ponzi Scheme fand Tod A wirklich seinen Songwritingschwung. Seine Inspiration findet er in seiner Heimatstadt: "Man kann in New York die ganze Welt erleben. Man riecht indisches Essen, läuft ein bisschen weiter, hört südamerikanische Musik, geht die Straße noch ein bisschen weiter und wird in eine Schlägerei mit einem Europäer verwickelt! New York ist die am wenigsten amerikanische Stadt in Amerika. Die Leute in Kansas City zum Beispiel hassen New York, weil die Stadt ihrer Ansicht nach nur aus Ausländern besteht." Das aktuelle, dritte Album Psychopharmacology ist beinahe straighter Rock, aber Violine, Klavier, Orgel, Cello finden dennoch ihren Einsatz. Tod´s Gesang klingt zwar sanfter als damals bei Cop Shoot Cop, aber immer noch rauh genug, so dass man seine Aufrichtigkeit nie in Frage stellen muss. Er ähnelt einem Wolf, der seit längerer Zeit nichts gefressen hat. Die Lieder offenbaren einen Menschen, der die Zerstörung der Seele durch Tablettensucht kennt, und der öfter von Selbstmordgedanken geplagt war. Das Stück Fell off the Face of the Earth stellt den Selbstmord einer Freundin aus der Perspektive der Frau dar. Er fühlt sich selbst inzwischen stabiler: "Gerade weil diese Freundin sich das Leben nahm, sah ich hinterher das Leben positiver. Jetzt denke ich, ich habe meine 10 Dollar bezahlt; nun will ich den Film zu Ende sehen." New York ist wieder jung, hip und cool. Das ist auch gut so. Aber vergessen wir nicht, dass es Bands wie Firewater gibt, die nicht so amüsant und "fuckable" wie die Jugendlichen sind, dafür aber schlauer und spirituell reicher. Ach ja, und die Songs sind besser.

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