Lauschangriff

Fußball und Musik Lauschangriff 17/06

Fußball und Musik. Das sind die beiden Themen, die die nordenglischen Nachbarstädte Manchester und Liverpool verbinden. Es sind die beiden hauptsächlichen Freizeitaktivitäten der Menschen dort, wobei man unter "Freizeit" normalerweise lockeren Spaß und Entspannung versteht. Die "Mancunians" und die "Liverpudlians" lachen zwar viel und gerne, aber bei Fußball und Musik werden sie todernst, und die Rivalität zwischen den Städten, die nur eine Dreiviertelstunde auseinander liegen, ist nicht zu unterschätzen. Wer diese Verbissenheiten der Menschen aus dem Nordwesten Englands kennt, konnte deshalb nur ungläubig den Kopf schütteln, als laut wurde, dass die seit Jahren wichtigste neue Manchester Band beim Liverpooler Label Deltasonic einen Vertrag unterschrieben hat. Repräsentiert das Label doch gewissermaßen das neue Gesicht der Liverpooler Musik. Deltasonic entdeckte nämlich The Coral und The Zutons. Ich dachte sofort, es kann nur eine Erklärung für die Entscheidung der Gruppe The Longcut geben: Sie kommen nicht wirklich aus Manchester.

Ich hatte Recht. Manchester ist lediglich ihre Wahlheimat. Sie waren dort zusammen auf der Uni und sind einfach geblieben, deshalb empfinden sie anders und haben keine Berührungsängste mit dem Liverpooler Label Deltasonic. Musikalisch sind sie völlig anders als ihre Labelkollegen. Von der konventionellen Popsong-Produktion distanzieren sie sich, wenn auch vielleicht unbewusst. Auf jeden Fall hat man den Eindruck, dass ihnen das Herz bis zum Hals schlug, als sie ihr Debütalbum A Call and Response aufnahmen. Es klingt wie ein ständiges Bombardement von Gitarrenakkorden und elektronischen Beats durchtränkt mit Synthesizer-Streichern. The Longcut ist Post-Rock für den Dancefloor. Eigentlich wirken sie wie eine Mischung aus drei Manchester Generationen: Die düstere, karge Intensität von Joy Division, die hedonistische, schlaflose Partymentalität der Happy Mondays, und die dunklen aber euphorischen Hymnen von Doves. Man könnte auch eine Verbindung mit der New Yorker Attitüde herstellen: Die trance-artigen Gitarrenpassagen erinnern nämlich an die Sonic Youth Blütezeit auf Daydream Nation von 1988, aber das verwirrt vielleicht nur, also bleiben wir in Manchester ... Letztendlich ist es nämlich eine echte Manchester Platte. Woher die Bandmitglieder wirklich kommen ist deshalb eigentlich völlig egal. Sie leben dort und fühlen sich zu der Stadt magisch hingezogen. Ihre Texte sind überraschend banal. Zeilen wie "You say you don´t know me, the recognition in your eyes gives you away" sind nicht gerade inspirierend, aber man achtet als Hörer nicht wirklich auf ihre Texte. Der Gesang von Stuart Ogilivie gleicht eher einem Instrument. Sein jaulender Stil trägt zur Spannung bei; er ist offenbar bereits am Siedepunkt angelangt, bevor er das Studio betreten hat. Obwohl die Band gar nichts über Manchester in ihren Songs berichtet, kommt in ihnen das Feeling der Stadt zum Ausdruck. Stuart Ogilivie ist im Übrigen gar kein richtiger Sänger, der richtige Sänger verließ die Gruppe, bevor sie das Album aufgenommen haben, und nun hüpft Ogilvie zwischen Keyboards, Drummachines, echtem Schlagzeug und dem Gesangsmikrofon hin und her. The Longcut sind jetzt nur noch ein Trio. Allerdings ist der Einfluss des Produzenten Johnny Dollar nicht ohne Bedeutung. Er produzierte Massive Attack´s Blue Lines und deshalb kann man sich fragen, ob der Triphop-Bass auf dem Stück The Kiss off nur Zufall sei. The Longcut klingen jedoch nie so entspannt wie Massive Attack, aber in der Schlussphase des Albums versuchen sie immerhin ein wenig aufzuatmen. Auch hier vermutet man die Handschrift von Johnny Dollar.

Woran es The Longcut noch fehlt, ist die Variationsbreite. Wenn sie versuchen ihren Sound zu wechseln, etwa das Tempo zu verlangsamen, klingen sie sofort eher ziellos. Auch sind die Songs teilweise sehr lang und gelegentlich langatmig. Aber trotz alledem gilt, dass es die ersten Schritte der Band sind und es sich alles in allem um ein überragendes Debütalbum handelt. Als Band gibt es The Longcut schon seit 2001. Sie warteten solange, bis sie sicher waren, so weit zu sein. Beim Hören des Albums musste ich an die ersten Male denken, als ich The Strokes, Bloc Party oder Franz Ferdinand hörte: Dieser drängende Sound der ganz wichtigen jungen Bands, die es nicht abwarten können, auf die Welt losgelassen zu werden.


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