Lauschangriff 10/06

Musik-Kolumne Wenn sich Geschwister schon in der Kindheit nicht gut verstehen, kommt es selten vor, dass sie als Erwachsene zusammenarbeiten wollen. Bei Matthew ...

Wenn sich Geschwister schon in der Kindheit nicht gut verstehen, kommt es selten vor, dass sie als Erwachsene zusammenarbeiten wollen. Bei Matthew und Eleanor Friedberger aus Chicago aber war es anders: Kaum aus dem Elternhaus raus gründeten sie das Duo The Fiery Furnaces und zogen nach New York, wo sie schnell zum Bestandteil der hippen New Yorker Szene wurden - ohne jedoch ihren New Yorker Zeitgenossen The Strokes, Interpol oder Yeah Yeah Yeahs vergleichbare populistische Elemente in ihre Musik zu integrieren. Fiery Furnaces sind erfrischend anders. Kinder, die sich nicht besonders mögen, gründen eine Band, um sperrige Musik zu machen, die sich nicht verkaufen lässt!

The Fiery Furnaces sind auch viel fleißiger als in der Branche üblich. Das neue Album Bitter Tea ist ihr viertes Album in vier Jahren! Aus geschäftlicher Sicht gilt es als wenig ratsam, mehr als ein Album alle zwei Jahre zu machen. Man fürchtet den Übersättigungseffekt und damit eine Entwertung der Band. Dazu noch ist die klassische, empfohlene Länge für eine Platte 40 Minuten; mit dieser Länge hoffen die Bands Direktheit und Unmittelbarkeit zu erzielen, Qualität und nicht Quantität. Das neue Fiery Furnaces Album dagegen ist 72 Minuten lang. Wie ich schon sagte, bei The Fiery Furnaces ist alles erfrischend anders.

Eben auch ihre Musik: Sie ist wenig eingängig. Es handelt sich oft weniger um richtige Songs als vielmehr um Songfragmente, die sich irgendwann mit verzerrter Percussion in Dissonanz auflösen. Die Texte sind häufig so obskur, dass man gar nicht erst versuchen sollte, sie zu entschlüsseln. Wie im Stück Darling black hearted boy: "See the smoke from your skin, pine boughs burn the bricks dead, hard in their fog as I stand cold with my back broke by the boy". Ich hätte ja fast darauf getippt, dass diese Texte von einem Ausländer verfasst worden seien, der in einer Fremdsprache versucht poetisch zu sein. Aber nein, englisch ist durchaus die Muttersprache der Fiery Furnaces.

Amerikaner klingen normalerweise wie Amerikaner, aber Eleanor Friedbergers Stimme klingt eher englisch, ganz so, als sei sie auf einem britischen Mädcheninternat gewesen. Sie singt ausgesprochen deutlich, was auch gut ist, weil der Gesang ansonsten im Mix etwas untergeht. Friedbergers Stimme ist nicht wirklich etwas Besonderes, aber trotz der geringen Variationsbreite relativ ausdrucksstark. Manchmal spricht sie fast mehr, als dass sie singt. In einigen Stücken läuft der Gesang rückwärts, wie zum Beispiel im Eröffnungslied In my little thatched hut, aber auch in The Vietnamese Telephone Ministry oder Nevers. Experimente mit Rückwärts-Gesang war eine Erfindung der Psychedelia-Bewegung in den sechziger Jahren. Auch der Einsatz des Moog-synthesisers auf dem Album erinnert an diese vergangene Ära. Das Hauptinstrument der Fiery Furnaces ist allerdings ein gewöhnliches Klavier. Aber die Ähnlichkeit mit den experimentellen Bands der späten sechziger Jahren ist nicht zu überhören. Sie wollen Grenzen sprengen, anders sein, einzigartig sein, keine Zugeständnisse machen, verrückt sein. Am Ende des Songs The Vietnamese Telephone Ministry wiederholt Eleanor Friedberger die Telefonummer "3232217625". Zu fragen, was das soll, ist überflüssig. Rock ist gutbürgerlich geworden: Man hat inzwischen fast vergessen, dass Rockstars eigentlich "anti" sein wollten. Auf ihrem letzten Album Rehearsing my choir gastierte übrigens die Großmutter der Friedbergers als Sängerin. Die 83-jährige Oma ist Leiterin des Kirchenchors in einem Vorort von Chicago. Der Sound der Band wurde durch den Gesang der Großmutter nicht poppiger.

The Fiery Furnaces sind eben eigenwillig. Gleichzeitig eignet ihnen eine Zurückhaltung, die dafür sorgt, dass ihre Experimente nicht allzu sehr irritieren. Sie sind das Gegenteil von penetrant; ihre Musik plätschert so vor sich hin ohne unliebsam aufzufallen. Es gibt sogar relativ poppige Stellen in Songs wie Waiting to know You oder Teach me, Sweetheart. Mit der Unterdrückung des Pop-Potenzials klappt es eben nicht immer. The Fiery Furnaces sind eine Herausforderung, aber sie sind keine Unmenschen.


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