Lauschangriff 13/03

Kolumne Catatonia war eine walisische Band, die in den neunziger Jahren in Großbritannien großen Erfolg hatte. Zwei ihrer Alben waren auf Platz Eins in den ...

Catatonia war eine walisische Band, die in den neunziger Jahren in Großbritannien großen Erfolg hatte. Zwei ihrer Alben waren auf Platz Eins in den britischen Charts. Sie hatten diverse Hitsingles, und in den englischen Zeitschriften war ständig etwas über die Band zu lesen - man bildete nämlich sehr gerne die Sängerin Cerys Matthews ab, die wie eine Indiepop-Version von Sharon Stone aussah. Deren Stimme hatte etwas Eigentümliches - sie sang englisch mit walisischem Akzent; Catatonia´s Musik wirkte dadurch skurriler als sie eigentlich war. In Wirklichkeit handelte es sich bei ihren Kompositionen um herkömmliche Gitarrenpopsongs.

In Deutschland spielte Catatonia nur in kleinen Clubs, in England dagegen in großen Hallen. Die Konzerte in Deutschland genoss die Band deshalb besonders, fühlten sie sich doch an ihre Anfangszeit erinnert, als das Leben noch einfach und ihre Motivation klar war - nämlich die Liebe zur Musik und nicht der Glamour der Aufritte im britischen Fernsehen. Bei einem Hamburger Konzert von Catatonia lief mir ein Werbemensch ihrer Plattenfirma über den Weg. Er stand unter enormen Druck, Catatonia in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen. Ich fragte ihn, wann Catatonia hier endlich groß rauskäme. Er schüttelte resigniert den Kopf und meinte: "Mit der Stimme bestimmt gar nicht." Und so war es auch. Es reichte hier nicht aus, wie Sharon Stone auszusehen. Cerys war dafür bekannt, viel zu trinken; sie galt als etwas zu sensibel für das Rampenlicht. Einerseits wollte sie ein Star sein, aber wer zu sehr Richtung Sonne fliegt, kann sich schon mal die Flügel verbrennen. Cerys brach zusammen, und die Band trennte sich 2001. Wenn ich ein definitives Catatonia-Album für Einsteiger empfehlen würde, dann wäre es Equally cursed and blessed von 1999.

Inzwischen ist Cerys Matthews wieder genesen, schwanger, frisch verheiratet und hat ihr erstes Soloalbum Cockahoop herausgebracht. Die große Überraschung besteht darin, dass sie keine reine Pop-Platte gemacht hat, sondern ein Folk/Country-Album. Es sollte ursprünglich ein Album voller Traditionals werden. Als sie aber einige Monate in Nashville verbrachte, wo das Album entstanden ist, fing sie, ganz gegen ihre eigenen Erwartungen, selber an zu komponieren. Nun sind ungefähr die Hälfte der Songs ihre eigenen.

Ich habe Cerys vor Kurzem getroffen, und fragte sie nach ihrem neusten Hobby, nämlich der Beschäftigung mit der reichhaltigen Folk-Tradition Amerikas. "Wenn Du mich so ansprichst, macht es den Eindruck, als sei das akademisch, was es nicht ist. Ich forsche gerne über Musik, aber am Liebsten gehe ich dafür in bestimmte Kneipen und höre mir dort Lieder von alten Menschen an, die noch uralte Songs von ihren Vorfahren kennen. Das war ein Grund, warum ich mich in Nashville aufhielt. Ich habe mir die Einwandererrouten von früher angeschaut, und ich finde es sehr interessant, wie zum Beispiel die keltische Folkmusik irgendwann im Appalachiangebirge angekommen ist. Mir ist das Menschliche an der Musik wichtig. Eine Chartssendung wie Top of the Pops ist bloß berechenbar und eben nicht besonders menschlich." Cerys ist ganz offensichtlich froh ihre Glamourperiode hinter sich zu haben.

Ihre Stimme hatte der Band Catatonia damals einen Tiefgang verliehen, die diese vielleicht nicht wirklich verdient hatte, war sie doch letztendlich eine reine Popband. Dass Cerys das Potenzial dazu besaß, eine richtige Künstlerin zu werden, war allerdings schon damals klar. Hatte sie keine Angst, dass man das neue Projekt nicht ernst nehmen würde? Immerhin ist sie ein walisischer Popstar und keine amerikanische Countrysängerin. "Ich habe mich, was diese Platte betrifft, in keiner Weise unter Druck gesetzt gefühlt. Ich wusste genau, was ich wollte. Ich wollte auf keinen Fall mit einer Art ›Pastiche‹-Platte zurückkommen, die sich wie Tammy Wynette´s Greatest Hits anhört. Ich bin nach Nashville gefahren, um alten Songs einen neuen Kontext zu geben. Auch meine eigenen Popmelodien wollte ich mal ganz anders arrangieren, als ich es bisher getan habe. Das Album ist mit viel Liebe zur Sache entstanden. Produzent Bucky Baxter ist ein Freund geworden (ehemaliger Pedalsteelgitarrist von Bob Dylan); wir hatten acht der skurrilsten Nashville-Sessionmusiker aufgetrieben. Unter diesen Umständen hätte es niemals eine Countryparodie werden können."

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