Lauschangriff 14/05

Kolumne Dublin ist nicht unbedingt der Ort, an dem man ein Revival des West-Coast-Pop im Geiste der sechziger und siebziger Jahre vermuten würde. Aber schon ...

Dublin ist nicht unbedingt der Ort, an dem man ein Revival des West-Coast-Pop im Geiste der sechziger und siebziger Jahre vermuten würde. Aber schon vor ein paar Jahren schaffte die irische Band The Thrills den Durchbruch mit ihrem hochgelobtem Album So much for the City, das Multipel-Harmonien recht eindrucksvoll miteinander verknüpfte. Nun ist das selbstbetitelte Debütalbum der Dubliner Band Hal erschienen; The Thrills scheinen Konkurrenz bekommen zu haben. Das Trio Hal besteht aus den Brüdern Dave (Gesang/Gitarre) und Paul Allen (Gesang/Bass) und Stephen O´Brien (Keyboards). Alle drei sind Mitte 20 und beherrschen jetzt schon ihr Handwerk, zumindest im Studio. Man erzählte mir, dass Hal live noch recht unsicher wirken, was vielleicht auch erklärt, warum noch keine Konzerte für das europäische Festland geplant sind. Aber Queen spielten Bohemian Rhapsody auch ungern live (!), und für Hal ist es bestimmt nicht leicht, die Feinheiten ihrer Arbeit auf einer Bühne vor Publikum effektiv zu vermitteln.

Genauso wenig hatten ja The Beach Boys den Ruf, eine besonders beeindruckende Live-Band zu sein. Das war nun mal eher das Revier von Gruppen wie den Rolling Stones und The Who. Die Musik der Beach Boys war in erster Linie Studiokunst, und in dieser Tradition steht die Musik der jungen Iren von Hal. Ich habe ein bisschen meine Schwierigkeiten, die Platte als Album ernst zu nehmen, weil drei der Songs bereits als Singles veröffentlicht wurden, zwei davon 2004 und der dritte kurz vor dem Erscheinen des Albums. Worry about the wind war ihre Debütsingle und mit Textzeilen wie "I´ll worry about the wind, you worry about the rain" war früh klar, wo der Wind wehte: Von großer Poesie konnte nicht die Rede sein, die Stärke des Songs lag in seiner Unbeschwertheit. Hal sind frisch-fröhlich, und wenn Musik "windig" sein könnte, wäre Hal "windig".

Während ich diesen Artikel schreibe, sind es gerade 33 Grad im Schatten. Ich kann nicht garantieren, dass meine Bewertung dieser Platte nicht von den Wetterverhältnissen beeinflusst wurde. Zur geistigen Abkühlung nämlich ist Hal ein perfektes Album. Zwar gibt es andeutungsweise auch melancholische Stellen wie zum Beispiel die Ballade Keep love as the golden rule, aber die Tendenz des Werks ist luftig sommerlich. Wie ich die Platte bei Eisregen finden würde, müsste ich ein anderes Mal berichten, aber das Timing der Veröffentlichung scheint perfekt, und überhaupt ist es eine gute Idee, die richtige Platte im richtigen Klima zu hören.

Was auf jeden Fall für Hal spricht, ist die Tatsache, dass sie sich gesteigert haben. So war die zweite Single besser als die erste; die dritte Single war besser als die zweite und auf dem Album gibt es ein Lied wie My eyes are sore, das alle drei Singles übertrifft. Es ist mit Abstand das längste Stück der Platte, und, was die Arrangements betrifft, ein wahrer Genuss mit honigsüßen Gesangs-Harmonien vor einer Kulisse von Lap-Steel-Gitarre, Cembalo und Trompete. Das mag wie eine seltsame Kombination klingen, aber es funktioniert.

Die Songs sind ansonsten wenig innovativ; die Beach Boys habe ich bereits erwähnt, man könnte noch viele weitere Vergleiche anstellen; originell sind Hal nicht. In den Arrangements aber zeigt sich ein gewisser Wagemut, und es scheint nicht ausgeschlossen, dass die Band mit der Zeit eine klarere eigene Identität bekommt. Produziert wurde das Hal-Debütalbum von Ian Stanley von Tears for Fears. Die waren einst Experten auf dem Gebiet der "leichten Popmusik mit Tiefgang". Da will Hal wohl auch hin, aber die Leichtigkeit dominiert dafür momentan noch zu sehr. Die aktuelle Single Play the Hits ist ein Ausnahmestück, weil es von Edywn Collins und nicht von Ian Stanley produziert wurde. Woran erkennt man den Unterschied? Play the Hits ist noch überschwänglicher und heiterer als die anderen Songs. Er hört sich ganz nach einem kommerziell ausgerichteten Versuch an, die Charts zu stürmen. Unter der Regie von Ian Stanley klingen Hal verhaltener, reifer, seriöser. Das ist vielleicht zu viel gesagt; genau genommen klingen sie so, als ob sie das Potenzial haben könnten, allmählich verhaltener, reifer und seriöser zu werden. Es ist eben alles noch zu früh. Darin bestehen der Reiz und der Frust von Debütalben. Bleibt noch die grundsätzliche Frage, ob es für die Popmusik gut sein kann, dass junge Bands so viel Ehrfurcht vor der Blütezeit der Hippie-Ära haben.


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