Lauschangriff 14/07

Musik-Kolumne Ich will mich nicht wiederholen, aber ich habe keine andere Wahl. Es gibt nämlich eine neue wichtige Working-Class-Band aus der Mitte Englands. Beim ...

Ich will mich nicht wiederholen, aber ich habe keine andere Wahl. Es gibt nämlich eine neue wichtige Working-Class-Band aus der Mitte Englands. Beim letzten Mal (Freitag 32/07) hieß die neue wichtige Working-Class-Band The Twang aus Birmingham. Nun rede ich von The Enemy aus Coventry. Natürlich gibt es eine lange Tradition dieser britischen Musik, aber es ist schon ungewöhnlich, dass zwei so ähnliche Bands - fast aus dem selben Ort, mit einer vergleichbaren Attitüde - im selben Sommer solch große Spuren hinterlassen. Das Debütalbum von The Twang Love it when I feel like this erreichte Platz 3 in den britischen Albumcharts. Das Album von The Enemy We´ll live and die in these towns stieg sogar auf Platz 1. Beide Platten erscheinen erst in den kommenden Wochen in Deutschland.

Wenn The Enemy Abitur gemacht hätten, dann wären die Jungs gerade damit fertig geworden, aber natürlich besuchten sie kein Gymnasium. Es ist nicht ohne Ironie, dass der schnelle Erfolg ihre Glaubwürdigkeit jetzt schon in Frage stellt. Sänger Tom Clarke singt nämlich vom tristen Coventry, wo Jugendliche aus Arbeiterfamilien kaum Aussichten haben und sich für den Mindestlohn halbtot schuften. The Enemy werden dieses Leben wohl nicht richtig kennen lernen, eben weil sie schon jetzt Rockstars sind. Sonst dauert es ein paar Jahre, bis Musiker so weit aufgestiegen sind, dass sie sich nur noch schwerlich mit ihrem Publikum identifizieren können. The Enemy ist das im Prinzip passiert, bevor sie richtig angefangen haben.

Ihre Eltern hatten offensichtlich The Jam in der Plattensammlung, und die Jungs bewundern The Specials sehr, die einzige berühmte Band, die bisher aus der Stadt Coventry kam. Anscheinend hat The Enemy kein Problem damit, diese Einflüsse deutlich nach außen zu tragen: Auf der Website der Band gibt es eine Coverversion des Specials-Songs A Message to you Rudy. Und die Texte wirken wie eine Mischung aus dem Sozialrealismus ihrer Vorfahren Terry Hall (The Specials) und Paul Weller (The Jam). Das Titelstück We´ll live and die in these towns (Wir werden in diesen Städten leben und sterben) zeigt es beispielhaft: "Spending time in smoky rooms while hagged old women wearing cheap perfume say ›It never happens for people like us‹. Dirty dishes from a TV meal that went cold from the wind, from a smashed up window. We´ll live and die in these towns. Don´t let it drag you down." Konstatiert wird, wie kümmerlich das Leben sich für viele Leute anfühlt mit einem Blick, der Trost spendet, sich an politischer Aktion aber nicht interessiert zeigt.

Musikalisch ist das Stück sehr ambitioniert. Die Bläserarrangements stellen die Authentizität der britischen Arbeiterkultur unter Beweis, die akustischen Gitarren und Streicher geben hingegen eine Vorstellung davon, wie diese Band sich entwickeln könnte. Allerdings ist dieses Lied musikalisch eher die Ausnahme als die Regel. Schließlich verdankt sich der rasche Erfolg von The Enemy den vier Hitsingles, die für Begeisterungswellen sorgten:40 Days and 40 Nights, It´s not ok, Away from here und Had enough sind alle auf dem Album vertreten. Vier brillante Pop-Punksingles, das heißt musikalisch sehr einfach gestrickt. Auf Details legen solche jungen Bands wenig Wert. Wenn sie sich als musikalisch ungeschickt erweisen, dann tun sie das immer noch mit Herzblut. Der Gesang von Tom Clarke erscheint so intensiv, dass man sich als Hörer fast sorgt, ob er das Leben nicht zu schwer nimmt. Das geht bis zu der Vermutung, Tom Clarke kann unmöglich eine Freundin haben, dann würde er nämlich gute Laune bekommen müssen und nicht mehr so verbissen singen können.

Natürlich weiß niemand, was in Zukunft sein wird. Es kann sein, dass The Enemy ihr Pulver schnell verschießen. Es kann aber auch sein, dass die Band prägend für unsere Rock-Zukunft wird. Als das erste Jam-Album 1978 erschien, hätte auch keiner gedacht, dass der zornige Punk Paul Weller 30 Jahre später als unentbehrlicher britischer Songwriter gelten würde. The Enemy sind jung und haben viel Zeit.

The Enemy auf Deutschland-Tour: 18.11 Berlin (Magnet Club), 19.11 Hamburg (Knust).


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