Lauschangriff 16/03

Kolumne Es ist bestimmt nicht angenehm, manisch-depressiv zu sein. Es ist mit Sicherheit auch nicht besonders schön, wenn viele Leute, die man selbst nicht ...

Es ist bestimmt nicht angenehm, manisch-depressiv zu sein. Es ist mit Sicherheit auch nicht besonders schön, wenn viele Leute, die man selbst nicht persönlich kennt, darüber Bescheid wissen. Sobald in den sechziger Jahren bekannt wurde, dass Pink Floyd´s Syd Barrett krank war, verschwand er für immer von der Bildfläche. Er musste keine neugierigen Blicke ertragen. Daniel Johnston, 42, aus Austin, Texas hat 20 Alben gemacht, die alle mehr oder weniger seine psychische Krankheit dokumentieren. Irgendwann in den achtziger Jahren weigerte sich sein damaliger Produzent Kramer, mit ihm weiter zusammen zu arbeiten, weil er den Eindruck hatte, dass sich Johnstons Zustand durch seine Kunst verschlechterte. Es gibt auch die legendäre Geschichte, dass Johnston einen Flugzeugabsturz verursacht habe: Er flog mit in der kleinen Privatmaschine seines Vaters und setzte sich irgendwann mit Gewalt ans Steuer. Dennoch erscheinen immer wieder neue Platten. Von Zeit zu Zeit geht er sogar auf Tour in Amerika und Europa.

Seine labile Verfassung bedeutet in den Augen der Kritiker gleichzeitig seine absolute künstlerische Glaubwürdigkeit. Das Wesentliche von Daniel Johnstons Musik bilden der Zusammenklang von Klavier oder Gitarre mit seinem fragilen Gesang. Er hat viele Verehrer unter Künstlern, die viel berühmter sind als er. Die Liste seiner renommierten Fans wird täglich länger: Der verstorbene Kurt Cobain, (er trug öfter ein Daniel Johnston T-Shirt). Eddie Vedder (Pearl Jam), Yo la Tengo, Matthew Groening (der Erfinder der Simpsons) und neuerdings David Bowie. Aufgrund seines Kultstatus´ ist er oft darum gebeten worden, bei Projekten anderer Musiker mitzuwirken. Er hat schon mit Sonic Youth, Butthole Sufers und Jad Fair zusammengearbeitet. Seiner Karriere hat das sehr geholfen. Die Fans der erwähnten Künstler haben ihn oft erst durch solche Mitarbeitsprojekte entdeckt. Dennoch hat diese Aufmerksamkeit nie dazu geführt, dass Daniel Johnston in die Charts gekommen wäre.

Trotz alledem hat er gerade ein relativ kommerzielles Werk veröffentlicht: Fear Yourself. Mark Linkous, der Kopf der Lofi-Countryrockband Sparklehorse aus Virginia, bekanntlich ebenfalls ein Riesenfan, hat das neue Album produziert. Linkous hat bereits zwei Daniel Johnston-Songs auf Sparklehorse-Alben gecovert, und vor zwei Jahren die Glamourkönigin Nina Persson von The Cardigans dazu überredet, ein Johnston-Lied, Walking the Cow auf ihrem Soloausflug A Camp zu interpretieren. Es war eine bizarre, aber gelungene Idee, die bewies, dass Johnston, auch im konventionellen Sinne, ein begnadeter Songwriter ist. Auf dem Cover des neuen Johnston Album wird Linkous zitiert: "Daniel ist ein Geschenk für uns." Auch zum Album meint er: "Ich möchte nicht mal sagen, ich hätte es produziert. Ich bin nur begeistert darüber, dass ich irgendetwas damit zu tun hatte, ihn auf Band festzuhalten." Linkous übertreibt ein wenig mit seiner Ehrfurcht. Ich denke eher, dass er es ist, der Daniel Johnston hier einen großen Gefallen getan hat. Denn es stimmt einfach nicht, was Linkous hier behauptet: Es mag sein, dass er als Produzent weniger dominiert hat als etwa bei Nina Perssons A Camp, aber er hat sich sehr wohl produktionstechnisch eingemischt. Einige Instrumente hat er selbst gespielt, alles komplett arrangiert und darüber hinaus Studiomusiker für Violine und Perkussion geholt. Mit der Folge, dass das Album nicht mehr Lofi, sondern wie ein richtiges Singer/Songwriter-Album klingt. Johnston spielt zwar mal Gitarre oder Klavier, aber die Arrangements sind für seine Verhältnisse sehr prunkvoll. Dennoch befindet sich das Album immer noch weit weg vom Mainstream. Die Songs sind zwar nicht "schwierig". Es handelt sich um Pianoballaden oder Poprocksongs im mittleren Tempo, aber der skurrile Gesang ist nach wie vor sonderbar rührend und hebt ihn von dem, was gängig ist, ab. Wer in die Charts will, darf keine so verstörende Wirkung auf den Hörer haben. Dieser komisch-traurige, fast niedliche Gesang ist absolut ergreifend. Die Songs sind voller einfacher, kindlicher Hoffnung. Er erzählt uns: "Love can save you now". Oder: "I love you more than I love myself". Die Furcht, die mit dem Album-Titel Fear Yourself gemeint ist, bezieht sich, so glaube ich, auf die Angst, man könnte die Fähigkeit zum Lieben verlieren, und das wäre der größte Verlust von allen.

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