Lauschangriff 18/05

Musik Zu Gast beim "Provinssi"-Rockfestival

Ich hatte schon so eine Vorahnung, als ich Anfang des Jahres zum Lunch-Büffet ins finnische Konsulat in Hamburg geladen wurde. Es konnte nur mit meiner Radioarbeit zusammenhängen. Ich hatte immer wieder, wenn auch nur sporadisch, finnische Musik vorgestellt, aber nicht als "Experte", sondern als "Fan des Ungewöhnlichen", der zwar nicht genau weiß, was er da spielt, aber denkt, dass es interessant ist. Tatsächlich kam dann die Referentin für Kultur und Öffentlichkeitsarbeit des Generalkonsulats von Finnland auf mich zu und machte mir einen Vorschlag. Ich sollte im Juni zum "Provinssi"-Rockfestival nach Seinäjoki fahren, um zu prüfen, ob es in Finnland mehr als Saufen und Sauna gibt. Das waren nicht genau ihre Worte, sondern meine Interpretation. Wenn ich Lust hätte, würde sie es mit dem "Außenministerium klären"! Das Außenministerium war begeistert von der Idee, mich auf Kosten des Staates nach Seinäjoki zu schicken, und binnen Kurzem war alles abgesegnet.

Ich fühlte mich so geschmeichelt, dass ich die Nachteile der Reise gar nicht bedacht hatte. Es ist nicht üblich, drei Tage allein auf einem Festivalgelände zu verbringen. Normalerweise nimmt man seinen gesamten Freundeskreis mit. Ich dagegen lag allein in einem Hotelzimmer. Möglicherweise war ich in dieser Zeit der einsamste Mensch in ganz Finnland. Draußen vor meinem Fenster feierten die Bewohner der umliegenden Zelte jede Nacht eine Party. Ich überlegte mir, was "Bitte Ruhe!" auf finnisch heißen könnte, dachte aber, dass es nur bedingt etwas bringen würde, wenn ich es wüsste. Dazu noch ging die Sonne wieder auf, bevor sie unterging: Ohne Augenklappe und Ohropax hätte ich kein Auge zugetan. Finnische Musiker erzählten mir, dass ihre Landsleute im Winter viel und im Sommer wenig schlafen. Finnen sehen zwar wie Menschen aus, aber sie verhalten sich eher wie Vögel.

Glücklicherweise gab es genügend Interessantes, das mich für meine Isolation entschädigte. Ein schöner Fluss mit kleinen Wasserfällen fließt direkt durch die Mitte des Festivalgeländes. Die unterschiedlichen Bühnen sind rechts und links von diesem Fluss aufgebaut. Kleine Brücken verbinden die beiden "Seiten" des Festivals. Eine solch hübsche Location für ein Festival habe ich bisher noch nirgendwo gesehen. "Provinssirock" gibt es schon seit 1979; es ist das wichtigste Rockfestival in Finnland und genießt dort einen Stellenwert ähnlich dem von Roskilde in Dänemark. Eine gewisse Kreetta Luoma, Mutter von Zwillingen, organisiert das Ereignis jedes Jahr. Den Rest des Jahres hat sie nichts mit Musik zu tun; ihr Mann ist Bauer in Seinäjoki.

Seinjäjoki liegt 700 Kilometer von Helsinki entfernt. Der Flug von der Hauptstadt dauert zwei Stunden. Zwar zählt die Stadt 70.000 Einwohner, aber sie wirkt wie eine hochmoderne Geisterstadt. Das Festivalgelände befindet sich vier Kilometer außerhalb. Tatsächlich wird während der drei Tage viel getrunken. Ein häufiges Bild waren Gruppen von Menschen, die alle ein Bier in der Hand hielten und zusätzlich eine Wodkaflasche herumreichten. Backstage gab es eine riesige, sehr üppig ausgestattete Bar und eine Sauna (!) für die Bands. Es war also nicht gerade leicht für mich, meine Klischees ganz loszuwerden.

Die Finnen sind bekanntlich Melancholiker. Kein Musiker, mit dem ich sprach, wollte dieser Behauptung widersprechen. Die Headliner des Festivals sprachen da ebenfalls Bände: Marilyn Manson, Nine Inch Nails und die finnische Star-Band Nightwish, die ihren Gothrockmetal zum Besten gaben. Ich traf eine Brasilianerin, Schönheitschirurgin von Beruf, mit nur einer Woche Urlaub im Jahr, die extra von Sao Paulo nach Seinajöki geflogen war, nur um Nightwish zu sehen. Ansonsten waren aber wenige ausländische Touristen dort.

Das Programm zeigte eine souveräne Mischung aus internationalen Interpreten und finnischen Bands. Letztere singen auffallend häufig auf finnisch; sie scheinen nicht damit zu rechnen, auch woanders Erfolg zu haben. Bands wie Kotiteollismus und Kuolleet Intiaanit haben wohl allein schon wegen ihrer Namen kaum eine Chance außerhalb von Finnland. Die englisch singenden Finnen 22-Pistepirkko und die Newcomer-Band Disco Ensemble waren jedoch brillant. Nach drei Tagen Seinäjoki fühlte ich mich schon fast heimisch. An Konsulatseinladungen könnte man sich gewöhnen.


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