Lauschangriff 2/04

Kolumne Alex Chilton hat ein schweres Schicksal. Viele kennen seinen Namen. Sie wissen, dass er sehr gut Gitarre spielen kann. Wenn er irgendwo in einem ...

Alex Chilton hat ein schweres Schicksal. Viele kennen seinen Namen. Sie wissen, dass er sehr gut Gitarre spielen kann. Wenn er irgendwo in einem kleinen Club auftritt, hört man ihn im Bewusstsein, einer lebenden Legende beizuwohnen. Dennoch kennen sich die Wenigsten mit seinem Werk wirklich aus. Seine Soloarbeit war schon immer unberechenbar, und im Grunde muss er in Kauf nehmen, nur noch wegen seiner Band Big Star überhaupt wahrgenommen zu werden.

Big Star aus Memphis, Tennessee, existierte nur drei Jahre lang, von 1972 bis 1975. Die Gruppe war seinerzeit völlig erfolglos, angeblich wegen ihres schlechten Vertriebs. Erst nach der Trennung haben sich ihre Platten besser verkauft. Was hauptsächlich daran lag, dass ein paar schottische Bands, Primal Scream und Teenage Fanclub unentwegt Big Stars Bedeutung betonten. Teenage Fanclub hört man das auch an. Eine gewisse amerikanische Band aus Athens, Georgia, REM waren auch nicht gerade zurückhaltend mit Lob. Auch hier merkt man eine musikalische Ähnlichkeit.

Die meisten Besitzer von Big Star-Platten dürften also im Alter von Alex Chiltons Kinder sein und auf Empfehlung ihrer Lieblingsbands seine Alben gekauft haben. Auch ich habe zuerst für die Glasgower Band Teenage Fanclub geschwärmt, bevor ich irgendwann Big Star entdeckte. Nun gibt es ein neues Compilation-Doppelalbum The Big Star Story. Es soll Einführung und Überblick geben und eine Art späte Gerechtigkeit für Alex Chilton und seine Kollegen darstellen. Für Chiltons engsten Verbündeten und Co-Songwriter Chris Bell kommt die Gerechtigkeit definitiv zu spät. Er starb 1979 in einem Autounfall.

Die Kritiker von einst pflegten stets die Originalität von Big Star zu betonen - aber was ist schon wirklich neu? Sicher war ihre Musik sehr erfrischend, trotzdem sind die Einflüsse von Moby Grape, The Byrds und The Beatles deutlich herauszuhören. Die ersten beiden Alben, #1 Record und Radio City waren sich musikalisch sehr ähnlich: Die Songs klangen erbaulich und optimistisch, amerikanisch und englisch zugleich. Ganz so, als ob The Byrds und die Beatles sich zusammengetan hätten, um ein Album zu machen. Es ging um "pure pop", der beinahe etwas Tugendhaftes und Engelgleiches bekam. Das zweite Album Radio City klang noch genau so positiv und selbstbewusst, was allerdings schwer nachzuvollziehen war, da das erste Album sich als Riesenflop erwiesen hatte und Chris Bell während der Aufnahmen für die zweite Platte die Band verließ. Eigentlich hätte die Stimmung trübe sein müssen. Doch erst beim dritten Album Third machte sich das bemerkbar. Das Feeling der Songs wurde düsterer und vergleichsweise schwer zugänglich. Im Grunde war es das erste Alex Chilton Soloalbum. Ein Song wie Holocaust wäre davor undenkbar gewesen. Das Album Third ist im Ganzen ein interessantes Phänomen: experimentell, und trotzdem geradezu üppig produziert.

Mittlerweile sind alle drei Alben auf Wunsch von Primal Scream, Teenage Fanclub, und REM-Fans längst wieder veröffentlicht worden. Hinzu kam noch das Album Nobody Can Dance mit Liveaufnahmen und Outtakes - wen will man also mit der Big Star Story noch erreichen? Dazu noch gibt es ein paar seltsame Aspekte an diesem Album: Die Songs sind nicht chronologisch angeordnet, also erzählt die Platte nicht wirklich die "Big Star Story", zumindest nicht in der richtigen Reihenfolge. Schon stimmungsmäßig passen die Stücke von Third (s.o.) nicht zwischen Songs der ersten beiden Alben. Dazu noch gibt es zwei Coverversionen, auf die man hätte verzichten können, denn wer interessiert sich bei einer solchen kurzen Band-Karriere schon dafür, dass Big Star die Zeit fanden, Loudon Wainright IIIs Motel Blues und T.Rexs Baby Strange zu interpretieren? Mit dem Geist von Big Star haben diese Songs nichts zu tun. Und das "neue" Lied Hot Thing, das während einer misslungenen, kurzen "Reunion" in den neunziger Jahren geschrieben wurde, ist nicht gerade der beste ihrer Songs und bestimmt kein passendes Epitaph für eine Band, die nie den Platz in der Popwelt einnahm, den sie verdient. Übrigens kann man sowohl #1 Record, als auch Radio City und Third in besseren Plattenläden noch kaufen!


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