Lauschangriff 2/07

Musik-Kolumne Normalerweise gewinnt eine dermaßen "gehypte" Band wie Arctic Monkeys niemals den englischen Prestigepreis Mercury. Der Gewinner ist in der Regel ein ...

Normalerweise gewinnt eine dermaßen "gehypte" Band wie Arctic Monkeys niemals den englischen Prestigepreis Mercury. Der Gewinner ist in der Regel ein Künstler, den man für seine hochwertige Kunst schätzt, der aber nicht zwingend viele Platten verkauft. Nun lieferte im Jahr 2006 das Debütalbum der Arctic Monkeys nicht nur die kommerzielle Erfolgsgeschichte des Jahres, sondern die Band bekam tatsächlich auch den Mercury-Preis. Man diskutiert die Gruppe als glorreiche Erben der großartigen nordenglischen Arbeiterkultur. Sie kommen aus Sheffield in der Grafschaft Yorkshire, und das heißt, dass nun alle Augen und Ohren auf Sheffield gerichtet sind, und das zum ersten Mal seit Anfang der achtziger Jahre. Zwar gab es eine Underground-Szene um das Elektroniklabel Warp Ende der Achtziger, aber The Human League und ABC waren die letzten wirklich berühmten Bands aus der Stadt. Nun erwartet und hofft man mehr von Sheffield als nur Arctic Monkeys, und siehe da, es gibt mehr: nämlich The Long Blondes.

Wenn man Britpop als einen Gesamtzusammenhang betrachtet, sind Arctic Monkeys mit ihrem proletarischen Charme die Wiedergeburt von Oasis und The Long Blondes, mit ihren schlauen, sozialkritischen Beobachtungen bilden die Neuversion von Pulp. Allerdings sind drei der fünf Mitglieder Frauen. Die Sängerin Kate Jackson ist dabei die dominante Persönlichkeit, sie strahlt eine aggressive, emanzipierte sexuelle Attraktivität aus. Ihr Gesang passt zum Image; sie stößt eher Schreie aus, als dass sie normal singt. Sie klingt trotzig, leidenschaftlich, resolut. Das Debütalbum der Band Someone to drive you home dokumentiert das Leben von jungen Menschen, die aus diversen Gründen die Schnauze voll haben. Auf Lust in the Movies singt Kate: "All I have here with me are the records and books that I own." Die Textzeile spricht Bänder. Das Album handelt von Menschen, die ihren Weg noch suchen, die sich behaupten wollen, die ihren eigenen Stellenwert noch nicht erkannt haben. Beim Song Once and never again berät Katie ein Mädchen: "19, you´re only 19 for God´s sake, you don´t need a boyfriend." Die Melodie ist extrem ansteckend, und der Text ist repräsentativ für Long Blondes: Man begreift sofort, worum es hier geht. Auch die Songs, die etwas komplizierter verlaufen, wie You could have both beinhalten keine verschlüsselten Botschaften. Es ist klar, dass es sich bei dem Song um ein Versöhnungsversuch zwischen Mann und Frau handelt.

The Long Blondes brauchten drei Jahre, bis sie einen Plattenvertrag bekamen, kokettierten mit der eigenen Labellosigkeit und haben gewiss davon profitiert, als die "beste Band in Großbritannien ohne Plattenvertrag" bekannt gewesen zu sein. Ganz gezielt sind sie dann zum eigenwilligen Indie-Label Rough Trade gegangen und haben den großen Konzernen die kalte Schulter gezeigt. Es hat etwas Heuchlerisches, oder zumindest etwas Opportunistisches an sich, die Indie-Attitüde zu nutzen, um die Karriere zu fördern, aber wer kümmert sich um solche Moral im neuen Jahrhundert?

Dennoch fehlt den Long Blondes zur Größe ihrer Sheffielder Vorfahren Human League und ABC noch Einiges. Ihr Sound ist noch nicht verbindlich genug und Kates Gesang ist auf Dauer etwas penetrant und abwechslungsarm. Gewiss sind die stärksten Songs die furiosen, aber über ein ganzes Album verteilt wird es anstrengend. Ich war daher nicht überrascht, dass die Band mir live besser gefiel als auf Platte. Das Konzert war eigentlich fehlerlos. Der Schreigesang und die drängenden Gitarren waren ein garantierter Partyspaß. Beim Konzert sehnt man sich nicht unbedingt nach subtilen Momenten. Zumal Kate Jackson eine Frau ist, die für Männer und Frauen gleichermaßen attraktiv ist. Männer finden sie hübsch und wahrscheinlich ein bisschen einschüchternd, aber das macht sie gerade reizvoll. Frauen sind von ihr begeistert, weil sie eine starke Figur abgibt, schön und tough. Es würde mich nicht wundern, wenn Fechten ihr Hobby wäre. The Long Blondes haben also durchaus Potenzial; wie groß es ist, wird sich mit der Zeit herausstellen. Aber solange Kate die Band nicht verlässt, können sie sich auf ihre Glückssträhne verlassen. Sie ist ein Star. Wir verdanken es jedoch der Stadt Sheffield, dass wir wieder eine schöne Britpop-Phase genießen dürfen.


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