Lauschangriff 27/05

Kolumne "Die Liverpooler halten sich für so schlau, aber in Wirklichkeit haben sie nichts drauf!", sagte mein Vater immer. Er kam aus Manchester. Die ...

"Die Liverpooler halten sich für so schlau, aber in Wirklichkeit haben sie nichts drauf!", sagte mein Vater immer. Er kam aus Manchester. Die Rivalität zwischen den beiden dicht beieinanderliegenden Städten ist bekannt. Echo the Bunnymen kommen aus Liverpool. Der Sänger der Band, Ian McCulloch gehört zu jener Art von Person, die meinen Vater zur Weißglut treiben würde. McCulloch pflegte Dinge zu sagen wie: "Ich weiß, dass wir die beste Band der Welt sind". Ok, er war damals sehr jung, aber bescheidener ist er im Laufe der Jahre nicht geworden. Vielleicht würde er sich heute etwas milder ausdrücken und sagen: "Eine der besten Gruppen der Welt". Ein großes Ego ist mit zunehmendem Alter (McCulloch ist jetzt 45) schwerer zu rechtfertigen, weil man sich nicht mehr auf die Jugendsünde hinausreden kann.

Beim aktuellen Album von Echo the Bunnymen, Siberia handelt es sich um ihr zehntes Werk. Kurz bevor es veröffentlicht wurde, erzählte McCulloch, es sei ihr Meisterwerk. So etwas zu sagen, ist eigentlich immer unklug: Die Erwartungen steigen, und Enttäuschungen sind vorprogrammiert. Dabei würde sich niemand ernsthaft von einer Rockband über 40 einen impulsgebenden Meilenstein erhoffen; die Fans sind froh, wenn das Album ganz hübsch geworden ist. So haben eingefleischte Echo the Bunnymen-Anhänger die Hoffnung im Grunde längst aufgegeben. Die Lieblingsplatten der Fans der ersten Stunde sind älteren Datums: Crocodiles (1980), Heaven up Here (1981), Porcupine (1983), Ocean Rain (1984) - das waren bedeutende Alben. Echo the Bunnymen´s Aufstieg verlief parallel zu dem von U2. Sie waren Post-Punk-Zeitgenossen mit ursprünglich ähnlichem Publikum. Sehr bald stellte sich U2 als die kommerziellere Variante heraus. U2 gewann massiv an Popularität, verlor aber für immer den Hip-Status. Echo the Bunnymen dagegen streiften die Charts nur am Rande und erschienen umso hipper.

Basis ihrer Musik war der verträumte, schimmernde Gitarrensound von Will Sergeant und der Gesang von McCulloch, der wie ein Drittel Bowie, ein Drittel Jim Morrison, und ein Drittel Lou Reed klang. Seine Baritonstimme variierte zwischen gedämpftem Flüsterton und Jaulen. Die Songs waren von schmerzhafter Melancholie, die Manieren der Band aber stets draufgängerisch. McCulloch erwies sich als genialer Selbstdarsteller, "Cool as fuck", wie man damals zu pflegen sagte. Er schuf die spannende Ambivalenz der Band: traurig, aber extrovertiert.

Auf die vier ersten und bedeutenden Alben folgte ein selbstbetiteltes Album Echo the Bunnymen (1987), das vor allem in Amerika erfolgreich war und den Versuch darstellte, radiotauglicher zu werden. Sie hatten eine große Hitsingle, Lips like Sugar (die heute gerne von Coldplay live gecovert wird), fühlten sich aber bei solchen kommerziellen Ausflügen nicht wirklich wohl. Und plötzlich ging alles schief. Drummer Pete de Freitas kam bei einem Motorradunfall ums Leben. McCulloch verließ die Bunnymen, um eine blasse Solokarriere zu starten. Der Rest der Band machte als "The Bunnymen" weiter, ohne Erfolg. 1995 kamen Sergeant und McCulloch für das Projekt Electrafixion wieder zusammen, hinterließen damit aber kaum Eindruck. 1997 dann feierten sie als Echo the Bunnymen Wiedervereinigung. Das kam sehr überraschend, aber seitdem haben sie bereits vier Alben produziert.

Die Band hat sich konsequent weiter entwickelt und entsprechend auf das eigene Älterwerden reagiert. Die Songs der letzten Jahre sind oft Midtempo-Balladen, sanft und sentimental, was früher für sie undenkbar gewesen wäre. Sie handeln von der Liebe und vom Reifungsprozess. Das aktuelle Album Siberia versucht das Feeling der frühen Achtziger wieder zu beleben. Sicherlich ist es kein Zufall, dass Hugh Jones, der 1981 Heaven up Here produzierte, für die Platte engagiert wurde. Songs wie Parthenon Drive und Scissors in the Sand hätten tatsächlich vor 20 Jahren geschrieben werden können. Man kann den Zauber von damals aber genau so wenig zurückgewinnen wie die eigene Jugend. Was bleibt, ist eine Art Essenz: Siberia ist unmissverständlich der Bunnymen-Sound. Heaven Up Here Teil 2. Der Kreis schließt sich halt.


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