Lauschangriff 28/04

Kolumne Die englische Nation ist untröstlich. Sogar Tony Blair hat sein Bedauern über den Tod des kürzlich verstorbenen Indierock-Papstes John Peel ...

Die englische Nation ist untröstlich. Sogar Tony Blair hat sein Bedauern über den Tod des kürzlich verstorbenen Indierock-Papstes John Peel ausgesprochen. Er wurde 65 Jahre alt. Peel starb während seines Urlaubs in Peru an einem Herzinfarkt, kein spektakulärer Rock´n´Roll-Tod. Dass Peel weit weg von zu Hause verschied, ist nicht ohne Ironie. Er war als Workaholic bekannt, sein Chef musste ihn überreden, überhaupt Urlaub zu nehmen. Vermutlich wusste Peel, dass ihm die Arbeit besser bekam als Freizeit. Aber nach Peru wollte er schon immer.

Bis zum Schluss hat Peel dreimal die Woche eine zweistündige Sendung beim britischen Popsender BBC Radio One moderiert. Durch den britischen Soldatensender BFBS wurde Peel auch in Deutschland bekannt, arbeite für Radio Bremen, den SFB und zuletzt für Radio Eins in Berlin. Weltweit kannte man Peel dank seiner wöchentlichen Sendung beim BBC World Service. Er wurde nicht nur geliebt. Gerade auf die World Service-Sendung hin bekam er viele Hassbriefe von Menschen, die seine rigorose Musikauswahl nicht nachvollziehen konnten.

Es ist ein großes Kompliment, wenn man über einen Radiomoderator sagen kann, er hätte eine ganze Generation beeinflusst. In dieser Hinsicht sprengt John Peel jeden Rahmen. Er war 40 Jahre lang ohne Unterbrechung Radio-DJ beim Radio One der BBC, folglich hat er nicht nur eine Generation geprägt. Ein englischer Freund von mir schwärmt noch heute von Peels Sendungen in den sechziger Jahren. Damals entdeckte Peel Bands wie T.Rex, zu einem Zeitpunkt, als die noch Tyrannosaurus Rex hießen. In den siebziger Jahren erschien Peel als einer der Befürworter des Punk. Es gab großen Widerstand gegen Punkmusik in den britischen Medien. Die alteingesessen Journalisten fühlten sich bedroht und wollten sich ihre Hippie-Werte nicht kaputtmachen lassen. John Peel dagegen erkannte die epochale Bedeutsamkeit des Punk, er fühlte sich davon so erfrischt wie damals, als er zum ersten Mal Gene Vincent und Eddie Cochran gehört hatte. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre hatte Peel Progressive Rock in seinen Sendungen gespielt, aber die ewigen Gitarrensoli und die aufwändigen Plattencovers der Zeit gingen ihm allmählich auf den Geist. Der Rock war zu opulent und üppig geworden. Er sehnte sich nach den einfachen Strukturen des frühen Rock´n´Roll.

John Peel ist in Liverpool aufgewachsen, und auch wenn er bei seinen Moderationen so geklungen haben mag, er kam nicht aus der Arbeiterklasse. Im Gegenteil: Seine Eltern hatten viel Geld und schickte ihn aufs Internat. Er hasste diese Zeit und kassierte öfter Prügelstrafen, weil er sich nicht an die Regeln hielt. Peel war überhaupt ein schlechter Schüler. Ein Universitätsstudium kam nicht in Frage, dafür waren seine Zensuren zu mies. Sein Vater schickte ihn zur britischen Armee, um einen "Mann aus ihm zu machen". Während seiner Militärzeit war er in Dallas stationiert. Dort bekam er das erste Mal die Chance, bei einem lokalen Sender Radio zu machen. Er legte seine Rhythm´n´Blues-Sammlung auf. Dabei wurde ihm klar, was er vom Leben wollte. Peel war ein schüchterner junger Mann, das Radio musste das perfekte Medium für ihn sein, weil er mit keinem Publikum in Berührung kam. Er musste nur mit einem Mikrofon reden. Zurück in England bekam Peel einen Job beim ersten bedeutenden Piratensender Radio Caroline, bevor er Mitte der sechziger Jahre ein unentbehrlicher Bestandteil von BBC Radio One wurde. Ist Popkultur nicht Jugendkultur? Wie konnte Peel als DJ alt werden? Die Antwort: "Guten Abend, hier ist John Peel. Ich bin fett, alt und hässlich, aber die Musik wird gut sein!" Peels Selbstironie machte ihn liebenswert, sein Instinkt für ursprüngliche, wahrhaftige Musik verließ ihn nie. Dabei war er privat eher konservativ: 30 Jahre verheiratet, vier Kinder, ein Haus auf dem Lande und zwei Hunde.

Die John Peel Sessions waren legendär. Jede junge Band hoffte, bei Peel live im Studio spielen zu können, und viele Gruppen wie The Smiths und The Fall haben ihren Durchbruch Peel zu verdanken. Zugleich war er stolz darauf, Bruce Springsteen und U2 abgelehnt zu haben, als sie ihn um eine Session baten. "Ich konnte bei beiden leider kein Potenzial erkennen!", sagte er lachend. Sein allerliebstes Lieblingsstück war Teenage Kicks von The Undertones. Das war John Peel: der ewige, aber glaubwürdige Teenager.


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