Lauschangriff 30/04

Kolumne Eine midlife crisis ist nicht vorprogrammiert. Nick Cave gehört mit 46 Jahren zu den glücklichen Menschen, die davon nicht betroffen sind. Warum ...

Eine midlife crisis ist nicht vorprogrammiert. Nick Cave gehört mit 46 Jahren zu den glücklichen Menschen, die davon nicht betroffen sind. Warum auch? Er hat gerade eine erfolgreiche Tournee in Deutschland absolviert. Nicht Hunderte, sondern Tausende von Fans gehen hierzulande wie überall auf der Welt zu seinen Konzerten und zahlen 40 Euro für das Vergnügen. Mit 50.000 verkauften Exemplaren innerhalb der ersten vier Wochen nach der Veröffentlichung einer Platte kann er in Deutschland immer rechnen. Cave kann es sich sogar leisten, Gospelsänger mit auf Tour zu nehmen. Er ist der Bob Dylan des Post-Punk geworden. Wir können uns auf ihn verlassen, er kann sich auf uns verlassen. Dabei hätte ich 1980 eine solche Entwicklung nie für möglich gehalten. Damals war er mit seiner ersten Band The Birthday Party von Melbourne nach London gezogen, im Glauben, dass die Straßen dort mit Gold gepflastert seien. Das Gegenteil war der Fall: Die Jungs wohnten die ersten Jahre zu fünft in einem Zimmer und dachten vor allem darüber nach, wie sie nicht verhungern müssten. Ihre Musik war nicht unbedingt von der Art, dass sie die Charts stürmen würde. The Birthday Party spielten ausgefransten Avantgarde-Punk ohne erkennbare Melodien, mit hektischen Strukturen, jederzeit vom Absturz bedroht, Caves Texte waren düster und eine Übung in Bosheit. Kurz: Die Band hatte einen Freak-Appeal, der die Möglichkeit zum Kultstatus offen ließ. Die Jungs zogen nach Berlin und arbeiteten mit Lydia Lunch und den Einstürzenden Neubauten zusammen.

Seit genau zwanzig Jahren ist Nick Cave "Solokünstler", allerdings hatte er immer seine Begleitband The Bad Seeds. Festes Mitglied darin war bis zum vergangenen Jahr Blixa Bargeld von den Neubauten, der mit einem großen Hipness-Faktor prahlen konnte. Die charismatische Kombination von Cave und Bargeld hat zum Erfolg zweifellos beigetragen. Cave ist es gelungen, ein wichtiger Songwriter zu werden. Es kommt nicht häufig vor, dass ein Künstler konventioneller wird, aber musikalisch interessanter. Die Erklärung ist: Cave und seine Musiker haben sich handwerklich verbessert, sind in der Beherrschung der Instrumente solider geworden, während die Arrangements vital und herausfordernd geblieben sind. Das haben Cave und The Bad Seeds jüngst bei ihrem Konzert in Hamburg unter Beweis gestellt. Dort sind keine müden Männer aufgetreten, sondern Menschen, die von der Wichtigkeit ihrer Kunst überzeugt waren. Ich habe Nick Cave anlässlich des Auftritts gesprochen, 18 Jahre nachdem ich ihm das letzte Mal begegnet bin. Damals hing er bekanntlich in der Drogenszene, mittlerweile ist er clean und fit. Er meinte, dass die Leute seine erste Phase als die "dunklen" Jahre betrachten und die heutige Zeit als die "Lichtjahre". So sei es nicht gewesen. Er habe sein Leben immer geliebt, und immer ein erfülltes Dasein geführt.

Die Basis seiner Soloarbeit ist Blues, Country und Gospel unter den Vorzeichen von Punk. Cave beschäftigt sich seit langer Zeit mit der Bibel, ihn interessiert die Diskrepanz zwischen der Frömmigkeit, die der Mensch anstrebt, und der Verderbtheit, die der menschlichen Natur eigentlich ist. Seine Karriere ist in dieser Hinsicht eine spirituelle Reise. Obwohl er ein Problem mit dem Begriff "Lichtjahre" hat, stimmt er zu, dass seine neueren Songs eine "erlösende, rettende" Qualität haben, die es früher nicht gab. Auf seinem neuen Album hat er den London Community Gospel Choir engagiert, um die "Erlösung" noch dramatischer inszenieren zu können. Das aktuelle Werk besteht aus zwei CDs mit zwei verschiedenen Titeln: Abbatoir Blues und The Lyre of Orpheus. Die erste CD ist dynamisch und rigoros, die zweite ist von der Stimmung her sanfter. Dort erzählt er im Titelstück die Sage von Orpheus. Nick Cave hat die Ideen für Songs schon häufiger aus den Büchern gehabt, die er gelesen hatte. Er hat sogar selbst eins geschrieben, den Roman Und die Eselin sah den Engel (im Original: And the Ass saw the Angel), der von manchem Kritiker mit William Faulkner verglichen wurde. Nick Cave ist der belesene Punk, der nicht die Selbstsicherheit eines Akademikers hat: "Ich war nie wirklich sicher, ob meine Arbeit gut sei, bis Johnny Cash mein Lied Mercy Seat gecovert hat. Da wusste ich: Irgendetwas muss ich richtig gemacht haben!"


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