Lauschangriff 9/07

Musik-Kolumne Make another world heißt das aktuelle fünfte Album der schottischen Band Idlewild. Sie sind in der Tat dazu gezwungen worden, sich neu zu sammeln und ...

Make another world heißt das aktuelle fünfte Album der schottischen Band Idlewild. Sie sind in der Tat dazu gezwungen worden, sich neu zu sammeln und eine neue Welt für sich zu schaffen. Nach zehn Jahren hat sich ihre Plattenfirma von ihnen getrennt. Es hieß zwar in gegenseitigem Einvernehmen, aber jeder der jemals seine Stelle verloren hat, erkennt diese Sprache. Wenn man nach so langer Zeit seinen Vertrag bei einem großen Konzern verliert, ist es, als sei das Verfallsdatum abgelaufen. Keiner will das Produkt mehr anrühren. Da ist es das Beste, man gründet sein eigenes Label und tut so, als sei alles in Ordnung.

Die Uhr haben Idlewild auch insofern zurückgedreht, dass sie ihren einstigen Produzenten Dave Eringa engagiert haben, um die raue Euphorie der ersten Schritte der Band wieder aufleben zu lassen. Das hat die Anmutung eines alten Ehepaars, das behauptet, wieder auf Flitterwochen zu gehen. Gelingt es tatsächlich, die alte Leidenschaft wieder zu entfachen? Idlewild´s Folk-getönter Punk war in der Anfangsphase einfach und karg, aber überraschend intelligent. Welche der jüngeren Bands mit Plattenvertrag hat je ein Lied wie Roseability geschrieben, das von der verstorbenen amerikanischen Avantgarde-Schriftstellerin Gertrude Stein handelte?

Unabhängig vom Verlust des Plattenvertrages war eine musikalische Veränderung bei Idlewild vielleicht vorhersehbar. Es ist nicht ohne Ironie, dass viele eingefleischte Fans das letzte Album 2005 Warnings/Promises als kommerziellen Ausverkauf empfanden, obwohl es eher ein kommerzieller Flop war. Die Platte klang gesetzt und reif. Die Bandmitglieder hatten im Vorfeld alte Musik der Byrds oder von Crosby Stills Nash Young gehört. Die Produktion kostete ein Vermögen und klang entsprechend hübsch, besaß aber nicht das nötige Herzblut. Die raue Leidenschaft ihrer schottischen Herkunft schien wie abgestorben. Die Kritik hat sich die Gruppe ganz offensichtlich zu Herzen genommen: das neue Album Make another world ist sehr weit vom letzten Album entfernt. Gezwungenermaßen ist es sehr billig entstanden. Idlewild hatten schließlich kein Geld mehr ohne einen Plattenvertrag im Rücken. Produzent Dave Eringa ist ein alter Freund, der günstig für sie gearbeitet hat, und das Album wurde in ihrem einfachen Heimstudio in Edinburgh aufgenommen.

Wo das letzte Album eindeutig zu glatt und aufpoliert erschien, ist das neue nun eben schlecht produziert. Trotz des schnellen Tempos der Songs (10 Songs in 35 Minuten: das spricht Bände) klingen Idlewild stumpf und nicht wirklich lebendig. Sie streben den Sound ihrer Indierock-Klassiker Hope is important von 1998 oder 100 Broken Windows von 2000 an, aber irgendwie schaffen sie es nicht. Man kann sich eben nicht zurück entwickeln. Es ist bezeichnend, dass die besten Songs die sind, die untypisch für das Album klingen. Das Titelstück Make another world und auch Future Works sind eher ruhig und beschaulich und entsprechen dem Erwachsensein und der Reife des letzen Albums. Auf dem besagten Titelsong liefert Sänger Roddy Woomble im Übrigen vielleicht seine bisher schönste politische Botschaft, die ohne Belehrung auskommt: "Let your tears fall in the shape of every one of the American states". Während die epische Ballade Future Works mit einer Kulisse von traurigen Bläsern erklärt: "You can steal what you love, but you can´t love what you steal." Der Mann ist ein Poet, und er hat von seinem schottischen "Poet Laureate"-Hofdichter-Freund Edwin Morgan viel gelernt. Morgan schrieb ein Gedicht Scottish Fiction für das Album The Remote Part 2002. Die Platte war fast perfekt. Das Songwriting war selbstbewusst und souverän, hatte aber auch noch jugendliche Frische. Damals entdeckten sie die üppigen Streicherarrangements, klangen dabei aber keineswegs wie eine angepasste Mainstreamband. The Remote Part wird möglicherweise als die letzte große Tat von Idlewild in Erinnerung bleiben. Das aktuelle Werk hätte ganz anders werden können. Es war ursprünglich als Doppelalbum vorgesehen. Roddy Woomble filterte aber die ruhigsten Songs aus, und so entstand 2006 sein Folkalbum My secret is my silence. Ich habe den Eindruck, dass er sich inzwischen als folkiger Solokünstler wohler fühlt als mit Idlewild, deren Blütezeit anscheinend vorbei ist. War Make another world Idlewilds letzte Geste, oder unterschätze ich sie vielleicht?


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