''Eine Großstadt ist keine (wie auch immer imaginierte) ländliche Idylle.''
''Es entsprach meiner Vorstellung: eine Karikatur der Zersiedlung, einer dieser semiurbanen, von Feldern gerahmten Räume, von denen man nicht genau weiß, ob sie noch Land sind oder schon zu dem geworden, was man gemeinhin Banlieue nennt...''
Didier Eribon, Rückkehr nach Reims
Kaum jemand dürfte sich unter dem Begriff jedoch wohl eine grüne Hölle aus Bäumen, Sträuchern und wilden Wiesen allüberall, aber eben auch keine graue Pyöngyang-Beton-Fanatismus-Welt vorstellen.
Dass die (Kölner) Linke im eingangs zitierten und gut gemeinten ''Strategiepapier zum Thema Wohnen'' zum Punkt ''Kommunal preiswerten Wohnraum schaffen und sichern''allerdings die Erkenntnis formuliert bzw wie einen pejorativen Slogan indiziert, dass Stadtgebiet keine ''ländliche Idylle'' darstellt, täuscht Trivialität der Erkenntnis vor, wo in Wirklichkeit höchste Vorsicht geboten ist. Think twice, everybody! Hier wird aus einem Ansatz, den auch Immobilienhaie als Leitspruch zur Bau-Offensive gegen Umweltschützer wählen könnten, einfach eine triviale Erkenntnis gebaut, die sich so paraphrasieren lässt: wer in der Stadt lebt, muss damit leben, dass er größtenteils auf Betonwände zu starren hat. Das aber, was die Linke mit ihrem Papier bezweckt (und wahrlich nicht nur die Linke, sie dient hier nur zum Exempel, wie man im weiteren Verlauf des Textes erfahren wird), nämlich eine Entfesslung der Bauwut und ein Streben hin auf noch mehr ''Verdichtung'' der Innenstädte (Stichwort aus dem Papier, O-Ton: ''die kompakte Stadt'') durch Ausweisung von Wohngebieten, heißt ja eben: aus einem derzeitigen Ist-Zustand (nämlich dass es in vielen Großstädten noch große zusammenhängende Grünflächen und spannend begrünte Brachen gibt) einen Imperativ zu formulieren, der gebietet, eben diese ''Flächen'' als Bauland auszuweisen und plattzumachen. Wofür eigentlich?
Ja, schon klar: aufgrund der hohen Zuzugsraten in die Städte hinein, wird der bestehende Wohnraum dort immer knapper und daher...usw, wir kennen die Argumente. Da wundert es nicht, wenn einer sozusagen Pauperisierung der Ansprüche das Wort geredet wird, u.a. wenn es in besagtem Entwurf zum Strategiepapier heißt:
''Die Flächenknappheit und damit die Flächenkonkurrenz ließe sich etwas entspannen, indem der jeweilige (gestrichen: Flächenbedarf) Flächenverbrauch reduziert wird (...), in Bezug auf Wohnungsbau kann das heißen: kleinere Wohnungen (vor allem im höheren Preissegment).''
Fun Fact: In einem im Entwurf gestrichenen Paragraphen wird sogar vorgeschlagen, Küchen in solchen sozialen Wohnkonzepten gemeinschaftlich zu nutzen, was auf Einwurf eines Referenten hin gestrichen wurde. Solche Maßnahmen zur Einschränkung der Ansprüche sind durchaus gut gemeint und zielen sogar in die richtige Richtung. Wäre da eben nicht der verheerende Aufruf, letztlich doch die Städte zu bebauen wie blöde, um der Gentrifizierung Einhalt zu gebieten und sozusagen Flächen auf sozial zuträgliche Art und Weise zu kolonialisieren, um der Baubourgeoisie zuvor zu kommen. Auch dies sicher ein hehrer Anspruch.
(Und ebenso spannend, wie sich PR-agenturenhaftes Remodellieren der Sprache auch bei den Linken zunehmender Beliebtheit erfreut. So heißt es in einem gestrichenen Entwurf von S. 8 desselben Papieres, Punkt 3.2.2: ''Reduzierung des Flächenbedarfes pro Person.'' Der Begriff ''Flächenbedarf'' wurde dann in einer neuen Fassung gestrichen und durch das Wort ''Flächenverbrauch'' ersetzt. Man will so das aktive Anspruchsdenken von ''Bedarf'' auf den viel konsumptiveren Terminus ''Verbrauch'' umlabeln. Wer verbraucht, sollte ein schlechtes Gewissen haben, dass er Ressourcen verschleißt. Wer dagegen einen ''Bedarf'' hat, könnte ja aktiv auf einen solchen pochen. Die Linken als Vorreiter des Verzichtes...das hat was! In der Sache ist das ja nicht einmal falsch.)
Vorreiterin für dieses Unterfangen einer sozial legitimierten Bauwut war zuletzt Bundesumwelt und eben -bauministerin (das kann auch wieder nur die BRD, dass die Umweltministerin zugleich Bauministerin ist) Barbara Hendricks mit ihrer Präsentation einer Novelle für das Bauplanungsrecht. Das Label ''Urbanes Gebiet'' soll fortan bedeuten, dass in mit diesem Label ausgewiesenen Gebieten die Städte verdichtet bebaut werden dürfen, ohne Rücksicht auf bisherige Bauauflagen wie die Umwelt- oder die Lärmschutzprüfung nehmen zu müssen. Es dürfen also zB durchaus sehr weitläufige (und oftmals ja auch bislang durch dazwischengelegene Kleingärten sehr grüne) Innenhöfe zuasphaltiert und bebaut werden, um sicherzugehen, dass fortan auch ja kein Spatz oder keine Amsel mehr in der Stadt ihr Lied in den Innenhöfen pfeifen. Die Aufstockung von Häusern und Wohnanlagen zwecks vermehrten Schattenwurf: kein Problem. Das Bebauen von Industrieflächen und eine Entschärfung der Trennung zwischen Gewerbe- und Wohngebiet, damit man schneller bei der Arbeit ist oder wie die entsprechende Website der Bundesregierung es ausdrückt: ''Leitbild ist eine Stadt mit kurzen Wegen, Arbeitsplätzen vor Ort und einer guten sozialen Mischung.''
Aber gerne doch. Lässt sich dann ja auch gut als Argument dafür nehmen, dass man in den Städten mehr Fahrrad fährt als langwierig aus der Stadt raus zur Arbeit zu pendeln, etc. Wie also wollte man mit einem solchen nahezu humanistischen Entwurf einer Stadtplanung hart ins Gericht gehen wollen?
Andererseits: man beachte das Prinzip der verbauten Aussicht. Da wird dann aus der traumhaften Vedute auf tolle Landschaften blitzschnell bei der baulichen ''Erschließung'' eine deutsche Vorort-Horrorsiedlung mit Straßenanschluss. Kleine Häuslebauer, die sich endlich für ihr hartes Schaffen im System wohnlich ''im Grünen'' belohnen wollen, lassen sich bausparkreditfinanziert neoliberale Fertigschachteln in die Landschaft bauen, wo die eine ausschaut wie die andere, katastrophal egale optische Zumutungen, Siedlungen wie ein Panoptikum der architektonischen Nichtvorhandenheit, Fanale der Herzlosigkeit modernen billigen Bauens im Zeitalter des Immobilienbooms. Im Entwurf zu den ''urbanen Gebieten'' der Bundesregierung klingt es nun so, als wolle man eine solche Zersiedelung der Landschaften vor den Toren der Städte vermeiden, indem nach dem Motto ''In der Stadt ist umwelttechnisch eh schon vieles im Argen, dann jetzt mal richtig los- und zubauen alles'' die Metropolen verdichtet mit Wohneinheiten. Alles soll dafür weichen müssen können: Parks, alte Friedhöfe, friedliche Innenhöfe als städtische kleine Erholungsoasen für Mensch und Tier und Pflanze, überhaupt gilt das Prinzip ''Brachflächen zu Loft-Landschaften''. Statt Lofting zu unterbinden, wird ''sozialer'' Wohnungsbau und somit die weitere Versiegelung ohnehin schon recht rar gesäter innenstädtischer Freiflächen als gangbare Abhilfe gegen Wohnungsnot eingeführt.
So eine Betonisierung der Metropolen passt dann gleich zum Bild einer Bundesregierung, die ohnehin generell kein Problem darin sieht, ihre Bürger wirklich buchstäblich der Atemnot auszusetzen (siehe fehlende Ambitionen bei der konsequenten strafrechtlichen Verfolgung der Verursacher des ''VW-Skandales''. Die Regierung deckt hier durch maximale Trägheit und ''state of denial''-Strategien für den Erhalt von einigen Arbeitsplätzen bei einem Global Player die Machenschaften korrupter Unternehmensmanager, indem sie es für unproblematisch hält, dass Bürger nicht nur beim Autokauf komplett verarscht wurden, sondern auch Dreckschleudern ''Made in Germany'' die Luft mit Stickoxiden vergiften dürfen in einem Ausmaß, dass man sich nur wundert, was dem Bürger so zugemutet wird.)
Zu solcher Zumutung passend dekretiert die Bundesbau- und -umweltministerin in der Novelle par ordre du mufti auch, dass 5 mehr Dezibel durch Industriegebiete und generell (wahrscheinlich durch den Bautumult) im Stadtleben für die Ohren des selbstschuldigen Stadtbürgers schon ok sind. Kein Scherz, können Sie selber hier nachlesen:
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/11/2016-11-30-urbane-gebiete.html
(Imgleichen hat die Bundesumweltministerin in bester Tradition ihrer Partei ohnehin oft kein Problem, der Atemluft der Bürger mehr stickoxidreiche Emission zuzumuten, siehe ihren Zickzack-Kurs bei den Ausnahmeregelungen für die Emissionen bei der der SPD so wichtigen Braunkohle.)
Weiter. Was man zu alledem auf der offiziellen Seite der Bundesregierung zur Bundesbaunovelle liest, klingt so schön nach idealistischer Stadtplanung vom Lobbyisten-Reißbrett, selbst eine umweltfreundliche Tünche gibt man sich dabei. Was aber alles naturgemäß kompletter Humbug ist. Man will in der Stadt die Versiegelung weiterer Flächen durch Komprimierung vorhandener vermeiden, andererseits propagiert man zur Freude der Bauindustrie und auch sonstiger Immobilieninvestoren verschiedenster Couleur in der sogenannten ''Wohnungsbau-Offensive ''die beschleunigte Erschließung und Freigabe von ''Flächen'', siehe hier:
"Unser 10-Punkte-Programm schafft die Voraussetzungen, um den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum rasch zu decken", sagte Hendricks. Das Programm sieht unter anderem die Bereitstellung von Bauland, steuerliche Anreize, eine Vereinfachung von Bauvorschriften sowie Mittel für den sozialen Wohnungsbau vor.''
Bundesbau (und -umwelt) Ministerin Barbara Henricks vom März 2016
„Weil ich dazu berufen worden bin. Ein anderes Ministeramt hätte ich ebenfalls angenommen.“
https://www.greenpeace-magazin.de/barbara-wer
...da hat sie ihr SPD-Vorgänger Sigmar Gabriel also ein wenig reingeschubst und nun ist sie halt Umwelt- und Bauministerin. Es ist sehr klar, dass ein SPD-Umweltminister fast notwendig viel dafür tun wird, dass die ''Umwelt'' im Wesentlichen als nutzbar zu machende, zu disponierende und zu erschließende Größe erachtet wird, um Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist nach der reinen Lehre in der Wachstumsgesellschaft ein wundervolles Totschlagargument, um ökologische Bedenken einfach wegzuschmettern. Hängen Arbeitsplätze dran, das passt dann schon. Von Lebensqualität und dem Schutz von Naturräumen, egal ob im ''urbanen Gebiet'' oder auf dem Land will man sich keine Vorstellung machen, dazu reicht die Phantasie nicht mehr.
Ist aber nicht nur ein Problem der SPD, um mal von den Nicht-Öko-Parteien konservativer Prägung ganz zu schweigen. Die Linke, siehe oben, sieht es nicht deutlich anders und die Grünen widersprechen sich munter. Hier zunächst eine erwartbare Position, die dem Ursprungsmythos der Öko-Partei alle Ehre macht:
http://gruene-siegen-wittgenstein.de/gruene-vor-ort/bad-laasphe/bauland.html
...während Martina Feldmayer, stellvertr. Fraktionsvorsitzende und Sprecherin der Grünen in Hessen für eigentlich alles (auch hier wieder der Clash: Sprecherin für u.a. Wald und Wohnungspolitik. Da darf der Wald bangen.), Baulandbeschleunigung aktuell eine prima Sache findet, da sie sozialen Wohnungsbau beschleunigt (so die Mär). Laut Feldmayer müssen Flächen ''entwickelt'' werden, um sozialen Wohnungsbau zu befördern, aber dazu mal an dieser Stelle die Frage an die Öko-Partei: wenn man ein Flächenstück Wald ''entwickelt'': was bedeutet das? Kettensäge und Bagger statt Baum und Borke.
http://www.gruene-hessen.de/landtag/pressemitteilungen/bauland-offensive-hessen-gmbh-hilfreicher/
Hier schafft es eine Grüne über die Beschleunigung von Wohnungsbau zu parlieren, ohne auch nur ein einziges Mal wesentlich auf dazu kontrastierende ökologische Konflikte zu sprechen zu kommen.
Aber es passt eben auch zum Gesamtbild der bebauten Parteienlandschaft: man betont den sozialen Aspekt der Ausweitung von Bauvorhaben und vergisst darüber, dass der Mensch atmen muss. Eine Welt aus Beton und Atemluft aus Stickoxiden scheint der Preis zu sein für das Leben im neoliberalen System. Dahinter hat jedes Stück Natur nur seine Daseinsberechtigung als ''Fläche'', die es bald zu ''erschließen/entwickeln'' gilt. Dazu kann man dann pro forma ein paar Hektar Land hier und da zur Augenschein-Kompensation als ''Naturschutzgebiet'' oder gar ''Nationalpark'' deklarieren, derweil man ansonsten baut und baggert wie blöde und sämtliche Hindernisse schleift, damit die Bauindustrie, die Immobilien-Lobby und System-Profiteure eine gute Zeit haben, die in Zeiten des Nullzinses nicht wissen, wie sie ihren Profit sonst anlegen sollen, außer in die Phantasielosigkeit des Bauens zu investieren (als habe das Immobilienkredit-System, das überhaupt die Finanzkrise von 2007/8 auslöste, nicht schon genug Landschaftsverschandelung zu verantworten, siehe u.a. die bereits wieder verfallenen und meist nie je auch nur bewohnten Geisterimmobilien in den USA und Spanien).
...dazu nächstens mehr...
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