''Ist doch auch so! Jeder muss sehen, wo er/sie bleibt, ich muss auch arbeiten, meine Knochen hinhalten, um durchzukommen, da kann ich nicht andere durchfüttern. Jeder muss zusehen, dass er ans Arbeiten kommt! Man muss doch sehen, wo man bleibt.''
Otto ''Pegida'' Normalverbraucher zur Idee, das jemand gar wollen könne, nicht arbeiten gehen zu müssen
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''Compare the best of their days, with the worst of your days
you won't win: with your standards so high and your spirits so low...
So: just do your best and oh, don't worry, oh,
the way you hang yourself is all so unfair...''
Morrissey, Do your best and don't worry
Die Dekadenzform des Süßen ist ja bekanntlich die Klebrigkeit und so kleben wir wie Fliegen im Fliegenleim am süßen Kitt der neoliberal flurbereinigten Welt. Hätten sich die Vordenker der marktwirtschaftlich ''befreiten'' Welt des frühen 20. Jahrhunderts ab ca. 1920ff ihren idealen Modellkonsumenten vorstellen oder beschreiben sollen, sie wären hoch entzückt, den Modellkonsumenten und -marktteilnehmer des Jahres 2015 kennenzulernen: den perfekten glücklich konsumierenden Idioten, der sich als souveräner ''kritischer Konsument'' wähnen darf, um ein perfide austariertes System der Anhäufung und der Profitgier zu erhalten. Dieser idiotische Modellkonsument oder modellierte Idiotenkonsument entspricht in seinen Grundeigenschaften dem Menschenbild der Vordenker der entfesselten Marktwirtschaft: ein dem Naturrecht überantwortetes Individuum, das zuzusehen hat, wo es bleibt.
Nun wird mancher sagen, wie oben aufgeführt: ''Ist doch auch so! Jeder muss sehen, wo er/sie bleibt, ich muss auch arbeiten, meine Knochen hinhalten, um durchzukommen, da kann ich nicht andere durchfüttern. Jeder muss zusehen, dass er ans Arbeiten kommt! Man muss doch sehen, wo man bleibt.''
Sehen Sie, lieber Leser, diese allzu leicht zustimmungsfähige Aussage ist exakt die scheunentorweit geöffnete Hintertür, durch die das Naturrecht in die Ideologie der intellektuellen Befürworter der totalen Marktwirtschaft eindringt und das Thomas Hobbes'sche Diktum ''Jeder Mensch ist seinem Mitmenschen ein Wolf'' zum munteren Motto der ganzen Veranstaltung ''Kapitalismus entfesselt'' gemacht wird. Da gelangt man schnell an die Grenzen der Menschlichkeit der Marktwirtschaft, die mit Menschlichkeit und einem wohlwollenden Menschenbild nichts zu tun hat, da erweist sich der Zivilisationsgrad und das Maß der Fortschrittlichkeit des Denkens der Marktwirtschaft: es ist in Bezug auf das Menschenbild nicht fortschrittlich, sondern degenerativ: der Mensch wird per definitionem zum Naturwesen erklärt, das kämpfen und sich schinden muss, es kann kein Mitleid erwarten. Der Markt entspricht dabei der Natur: es geht hier so zu, wie es nun mal zugeht, man kann und will das alles nicht ändern und wer nicht arbeitet, der wird zugrunde gehen...wer nicht mehr zahlen kann, wer nicht mehr essen kann, der hoffe nicht auf die Hilfe anderer: der hat zu krepieren oder massiv abzusteigen. Der Markt ist die Natur! Keinen Schritt darüber hinaus in Sachen Mitmenschlichkeit möchte das System machen.
Dabei wird das neoliberal ''befreite'' Individuum, das in Wahrheit im rauhen kalten Wind der Marktwirtschaft um seine Existenz zu kämpfen hat (wobei ''Freiheit'' hier ohnehin immer: ''Recht des Stärkeren, wirtschaftlich Vermögenderen'' bedeutet) dressiert und geschliffen, um schon früh zu verinnerlichen, was Scheitern und Hängenbleiben im System bedeuten. Wo die Ansprüche hoch sind, jedoch der Ehrgeiz und jeder Ansporn dagegen nur gering (um mal den Tenor des oben zitierten Morrissey-Songs aufzunehmen), da wirds schwer mit dem heiligen Erfolg und im Vergleich zu den glitzernden Anderen, den idealen Konsumenten, den ''perfect achievers''', den VIP-Halbgöttern, steht der prekäre Unterambitionierte schnell nicht nur da wie der komplette Systemverlierer, sondern wie etwas, das abgeschafft, zumindest aber an den Stadtrand beseitigt gehört. ''Vergleich doch mal bitte dich an einem schlechten Tag mit IHNEN, wenn sie einen guten Tag haben (also eigentlich immer, denn sie sind ja Gewinner!) : das kannst du knicken! DU schaffst das nicht. Und wie du dich jetzt hängen lässt, das ist echt nicht fair: gib jetzt endlich dein Bestes und mach Dir keinen Kopf darüber, wie es anders oder besser sein könnte, das sind ohnehin alles nur Blütenträume, Du ruminierender Spinner! Wir müssen das System erhalten. Keiner kann und wird dich am Ende durchfüttern.''
Und so schleppt sich das neoliberal befreite Selbst, das ja auch kaufen und zugewinnen will, um mitspielen und mitreden zu können, irgendwohin und beutet sich selbst fortwährend gegen seine Interessen und besseres Wissen aus. Es weiß gar nicht wirklich warum, es fragt sich auch nicht weiter, warum es sich ausbeuten lässt und wer es eigentlich ausbeutet, wer es überhaupt hierhin getrieben hat. Es spürt nur dumpf wie eine Ameise, das es eben muss, weil es sonst hängen bleibt. (Es bleibt aber so oder so hängen!)
So kann sich das neoliberal befreite Selbst zumindest in seiner Überforderung noch mit der eigenen Überforderung als Auszeichung dekorieren. Die Überforderung wird dann nicht als Problem erkannt, sondern erzwungenermaßen zum lohnenden Opfer für und im Sinne des ertüchtigenden Systems erklärt und in diesem Sinne an Dritte kommuniziert (was weiterhin das System konfirmiert) : man ist zwar komplett überfordert, nur ist das wahrscheinlich auch gut so. Der Anschein macht was her, so kann einem später keiner vorwerfen, man würde etwa eventuell ''nichts tun''. Der Anschein des Arbeitens am absoluten Limit hat etwas System-Authentisches. Das eigene Leistungsethos brizzelt vor Vergnügen: auch die totalitäre Marktwirtschaft kennt ihren ''Helden der Arbeit''.
Im Hintergrund lachen die ThinkTank-Intellektuellen der marktwirtschaftlichen Naturrechtes zu alledem ihr gebleachtes Gewinnerlächeln. Lachen darüber, was für einen Scheiß sie der Politik in den letzten Jahrzehnten zur Realisation angedreht haben und wie gut das funktioniert hat. Jeder denkt jetzt in Euro und Dollar und Yuan. Jeder denkt jetzt allein noch in marktwirtschaftlichen Kategorien, denn alles ist möglich und der Absturz lauert an jeder Ecke. Nicht, dass die am Ende alle noch ins Nachdenken kommen.
Die exekutierende Politik hat man nachhaltig gut verarscht: ''Hartz IV, um mal in Deutschland zu bleiben, ist das Perpetuum mobile zum andauernden Heranschleusen prekärer und billiger Ausbeutungskräfte, die jeden Scheiß machen müssen. Wenn die sich ausruhen zu müssen meinen, soll der Staat das arbeitsscheue Pack zwei, drei Monate bezahlen, wenn sie wieder frisch sind, dann schnell wieder hinein mit den ''explorable Human Ressources'' ins Amazon-Lager, die ganzen hyperintellektuellen, aber grundnaiven ''mechanical turks'' kommen ins Legehennenzellen-Büro in die Call-Center, PR-und Werbeagenturen und dann skimmen wir deren Kreativität aber mal sowas von ''underpaid'' ab! Dazwischen simuliert ihnen mal die angestrebte Auszahlung eines Mindestlohnes, liebe Exekutivpolitiker. Unsere PR-Lobby wird euch dann schon ein Modell aufzeigen, wie wir diesen Mindestlohn maximal unterlaufen und sabotieren können. Und so mit allem...''
Was ich gedacht hätte: Fortschritt (übrigens auch der so heiliggesprochene technische Fortschritt) mache sich irgendwann vor allem auch daran fest, dass der Mensch es schafft, nicht mehr der Sklave der Erhaltung der Bedingung seiner Existenz zu bleiben, sprich: nicht arbeiten zu MÜSSEN, um zu essen. Dass es jedem frei steht, ob er arbeiten gehen mag oder nicht. Dass man ihn aber auch zur Arbeit ''zwingen'' kann, dass man ihn zur Kompensation für diesen Zwang dann aber konsequent gut! bezahlt. Dass der Staat den Bürger aber da, wo er nicht arbeiten mag, auch bezahlt (wenn auch weniger gut). Ich spreche von einer Grundsicherung durch den Staat, die dem Menschen die Würde schenkt und ein Leben, das diesen Namen auch verdient, in dem nicht der Großteil seiner Lebensenergie aufgezehrt wird durch das Abrackern für die gemietete Behausung und den Erwerb von Lebensmitteln. Fortschritt wäre es, wenn wir nicht mehr uns selbst überlassen wären, nur weil wir nicht arbeiten wollen oder nicht so hart oder weil wir weniger arbeiten wollen: Fortschritt wäre eine Grundsicherung der Existenzbedingung. Wahrer Fortschritt bedeutet, über den Naturzustand hinauszukommen.
Der neoliberale Fortschritt dagegen ist statt an das Menschenbild an die Entwicklung von Geräten und Maschinen gekoppelt: wenn diese immer funktionaler werden, nennt man das Fortschritt. Wenn der Mensch in dieser Marktnatur leidet und knechtet und zum Ding wird, das sich permanent selbst ausverkaufen muss: das nennt man neoliberalen Fortschritt. Dass, wenn ich nicht arbeite, ich verrecke und das keinen schert, weil ich ja nicht gearbeitet habe, es mich also zurecht trifft: das nennt man neoliberalen Fortschritt. Wenn einen der Staat zur billigen Arbeitskraft abstempeln kann, die gefällligst dem kalten marktwirtschaftlichen System ihre warme Lebenskraft zu opfern hat: das nennt man neoliberalen Fortschritt.
Ich aber nenne Fortschritt das Recht des Menschen auf seinen Grunderhalt unter jeder erdenklichen Bedingung! Den Menschen so weit es geht aus dem Naturzustand zu lösen, nenne ich Fortschritt. Die Zivilisation und die Regierung ist einzig und wahrhaft fortschrittlich, die ihren Bürgern die Existenzangst abnehmen kann. Sie garantiert ihren Bürgern natürlich nicht fortwährenden Zugewinn und Konsum, sondern sie sichert ihm die wichtigste und radikalste Basis für seinen Seelenfrieden: eine unbedingte Grundsicherung, die ihm die ärgsten Nöte des Lebens abnimmt und die seine Subsistenz sichert. Dafür greift sie weder in sein Freiheitsrecht ein, sodass sie ihn nicht zur Ertüchtigung oder zur Simulation von Ertüchtigung zwingt, wie das derzeitige sogenannte ''Sozial''modell, noch erwartet sie dafür eine Kompensation: eine solche Bedingungslosigkeit der Subsistenz hebt das Menschenbild gewaltig.
Hier hört man die Konservativen und ewigen Betonköpfe aufstöhnen: ''Und das soll Fortschritt sein?! Dann geht nichts mehr voran und keiner geht mehr arbeiten. Soweit kommt es noch, dass die Faulen sich einen schönen Lenz machen!''
Diese Betonkopf-Stimmen trauen dem Menschen keine Eigeninitiative zu, die unabhängig von Zwang und ''incentive'' erfolgt. Soviel wird überall herumexperimentiert und Kreativität ist der Abgott der Marktwirtschaft des silicon-valley-Kapitalismus, aber den Mut hat man nicht, den Menschen aus der Pflicht zur Arbeit zu entlassen? Und auf die Grundsatzfrage, ob man mit dem Menschenbild überhaupt irgendwohin wollen darf, kann ich nur antworten, dass man unbedingt mit den Menschenbild irgendwohin wollen darf: anders als die Neo-Darwinisten, die der totalen Marktwirtschaft nach dem Munde reden, und die den körperlich und geistig gestählten Idealkonsumenten heranzüchten wollen, will ich lieber vermuten: veredelt den Geist des Menschen, stärkt das Soziale und die Wohlfahrt! Sorgt dafür, dass der Mensch auch ohne Arbeit gut! leben kann. Dies mögen die Blütenträume des humanistischen Idealismus sein, mir bedeuten diese Träume jedenfalls alles!!
Klar, im Hyperium, wie ich das sich global entfaltende Imperium des marktwirtschaftlich totalitären ''Schneller, Höher, Weiter!!'' auch weiterhin konsequent nennen werde, im Hyperium jedenfalls wird weiterhin von der Profitseite her auf das ''Hyper'' hinzugestrebt: mehr Macht, mehr Ressource, mehr Ausbeutung, mehr Produkt, mehr Wirtschaftsleistung, mehr Technik (die Technik hat der Mehrung des Konsums und des Profites zu dienen, nicht eigentlich dem Menschen selbst), mehr Konsum, mehr Wachstum...
Das Hyperium stellt ein Imperium der gelebten dynamischen ''Vorwärts!'-Idiotie/Ideologie dar. Es werden dem Menschen keine anderen Ziele mehr vorgeschlagen als wie er es irgendwann schaffen wird können, die perfekten Konsumentscheidungen zu treffen. Das ist das Leben im Jahr 2015, im Zeitalter des Hyperiums, einer hysterischen Gegenwart, die ultradynamische Zukunftsvorstellungen nur simuliert und fortlaufende Gegenwart reproduziert, als schüfe das die Zukunft. Es gibt da keine Benennung wesentlicherer Ziele als die der permanenten Entwicklung von ''gadgets and devices'', so als vollzöge sich mit der Evolution der digitalen Welt automatisch die Fortentwicklung des Menschenbildes.
Stattdessen werden wir aus Richtung der digitalen Welt fortwährend manipuliert und in unseren Status rekonfiguriert: ''Du bist und bleibst neoliberal zu befreiendes Selbst, du hast zu arbeiten und dich ausbeuten zu lassen, damit du kaufen kannst und damit du etwas, (andere dagegen richtig viel) dazugewinnen können, Du hast zu mehren und anzuhäufen. Schau, wir stellen dir die optimale Technik bereit, weiter zu konsumieren, weiter bewusst zu werden in Bezug auf Produkte, das ist der immerwährende Glanz, der dich dein Leben lang weiterlocken wird, sofern Du nur deinen Beitrag leistest: ertüchtige dich im System, reib Dich auf, häng dich rein, sei nicht unfair, lass dich nicht hängen und häng dich nicht auf. Du sollst brennen, aber wenn du brennst, dann brenn bitte für das System, und bitte brenne nicht aus! Dein Burn-Out nimmt nur das Gesundheitssystem unnötig hart in Anspruch. Dann mach lieber ein projektbezogenes Sabbatical, lass Dich von den anderen neoliberal befreiten Individuen crowdfunden, wenn dich sonst keiner mehr bezahlt oder sonst keiner dir mehr was ermöglicht. Das haut dann zwar auch nur so gerade hin und du wirst betteln müssen, aber das ist nun mal die conditio sine qua non der Welt im Hyperium: schlag Dich auf dem Zahnfleisch durch und lerne es, dieses Sich-Durchschlagen, deine systemimmanente Zähigkeit allen als spannendes Abenteuer zu verkaufen: denn ums Verkaufen geht es ja!''
Nun, Sie haben verstanden, was ich mitteilen wollte, lieber Leser: es ist ein erbärmliches Menschenbild. Es ist gar kein Bild vom Menschen, beim näheren Hinschauen entpuppt es sich als verpixelte Oberfläche. Das ''Menschenbild'' der totalitären Marktwirtschaft und der politischen Systeme, die dieses in den letzten sieben Jahrzehnten infiltriert hat, ist eine Ideologie der ausschließlichen Marktbefähigung, bei der partizipative Modelle einer Souveranität des Bürgers nur imitiert werden und die Freiheit im Modell nur simulative Option ist. Freiheit heißt in dieser Welt ausschließlich ''Freiheit des Marktes''. In Bezug auf den Menschen dagegen ist sie eine Freiheit ex negativo, kältestes Naturrecht, archaischer Einschnitt in die Moderne, Rückschritt in den common sense des Mittelalters (''Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.''), die Freiheit allein des drohenden Niederganges des neoliberal befreiten Selbsts bei ausbleibender Anstrengung und fehlender Ertüchtigung.
Erst wenn es der Mensch gelernt hat, sich und seinen Mitmenschen eine existentielle Grundsicherung zu garantieren und zu gönnen, die nicht ausschließlich und unbedingt an die Aufnahme von Arbeit gekoppelt ist, wird er wahrhaft fortschrittlich wirken können. So aber sind wir knechtende Tiere, archaisch um ihren Lebenserhalt kämpfende, in Existenzangst verglühende Kreative, mickrige Spinner, die, während sie groß das Maul aufreißen, von hinten der eiskalte Wind des Abstiegs zugig anweht und denen schon die Wölfe heulen...
Gönnen Sie mir, gönnen Sie sich, gönnen Sie vor allem aber Ihrem Mitmenschen das Grundrecht auf eine Grundsicherung seiner Existenz, ohne jede Bedingung. Das ist millionfach sozialer als jedes Netzwerk, das ist ein Menschenbild, das hebt die Stimmung, den Geist, den Mut und das Herz in herzlosen Zeiten...
...nächstens mehr...
Kommentare 5
Dazu ein ausgezeichneter Artikel von Ulrich Bröckling aus Gegenblende: Die Arbeit des unternehmerischen Selbst.
Erfordert allerdings Konzentration und ein wenig Zeit, ggf. auch die eine odere andere Lese-Wiederholung.
@ "der Mensch wird per definitionem zum Naturwesen erklärt" Was ist denn falsch daran? Eben nur das, daß man "Marktwirtschaft" oder gar "Freiheit" (des Stärkeren) mit "Natur" gleichsetzt.
Dazu vergisst man, daß die Natur und viele Lebensformen der Lebewesen auch Altruismus oft genug anbieten, vielleicht - wäre eine Statistik möglich - sogar öfter als Egoismus. "Survival of the fittest" ist oft durch Altruismus und Gemeinschaftssinn eher zu erreichen als durch Egoismus. Man kann natürlich auch meinen, ein "optimierender Altruismus" ist wiederum auch ein "gruppenbezogener Egoisumus"... Aber zumindest sollte man dem Menschen die Freiheit zum Altruismus ebenso wie zum Egoismus zugestehen, oder?...
@ Grundeinkommen: Es ist weder ein neues, noch ein nicht-menschliches Konzept. Man sehe sich nur die Stammeskulturen vor 10000 Jahren an. Nicht, daß dort alles super wäre, aber schon da wurde oft Altruismus als beste Überlebensstrategie gepflegt. Übrigens: Wenn man sich heutzutage viele, viele Menschen als Individuen ansieht, deren tägliches handeln, sieht man durchaus noch sehr viel Altruismus, Hilftbereitschaft, Freundlichkeit, Brüderlichkeit. Schimpfen über den Egoismus ist schon okay, aber dabei sollte man im selben Maß all die Menschen loben, die es dennoch nicht so machen.
Hallo lieber Pleifel!
Exzellenter Beitrag, auf den Sie da verlinkt haben. Die Länge des Textes steht seiner Aussage nicht entgegen.
In diesen Liveticker-Infohäppchen Zeiten ist so eine differenzierte und auch textlich raumgreifende Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema sogar sehr nötig und wohltuend anders! Auch gg eine Lesewiederholung spricht nichts!
Besten Dank!
Lieber Lukasz,
was so falsch daran ist, dass der Mensch ein Naturwesen ist, haben Sie oben ja selbst schon benannt bzw wird mir nicht ganz klar, wieweit Sie meiner zitierten Stelle da noch folgen und wo Sie es schon anders sehen.
Ich sage es nochmal expliziter: der Mensch darf gern (weil und wo er es notwendig so muss) da Naturwesen sein, wo es um seine unabschaffbaren Grundbedingungen geht: Essen, Trinken, das Ausscheiden von Essen und Trinken, Ausruhen (gern auch mal auf der faulen Bärenhaut liegen, denn auch das Faulsein und Ausruhen gehören hier und da zu seiner Natur), sich fortpflanzen, etc...die Vorstellung vom Menschen als Naturwesen endet bei mir nun aber definitiv da, wo einem das agonale Prinzip als ''incentive'' des Menschenbildes vorgemacht und eingedrillt werden soll. Das agonale Prinzip, der Überlebenskampf nicht nur als Bedingung, sondern als fortwährendes Handlungs-Postulat für die Hebung des Menschenbildes (und des Profits) taugt nicht für ein aufgeklärtes Menschenbild. Ich weiß, dass Nietzsche grad wieder unglaublich sexy ist und er taugt bestens, ein hysterisch-zynisches Zeitalter zu verwöhnen, aber...
Jedenfalls helfen auch keine biologistischen Ausflüge in die anthropozooische Menschengeschichte, um dort Anflüge von Altruismus zu entdecken (den Sie ja selbst als eventuell sogar aus im Grunde doch wieder egoistischen Motiven entspringend erwähnen, wobei das natürlich auch wieder Steilthesen aus der ''interessierten'' Wissenschaft sein können). Schauen wir in Sachen Menschenbild also lieber nach vorn als, aus welchen Gründen auch immer, zurück in die Natur.
Nun haben Sie ja vor kurzem einem Candide-ähnlichen Beitrag zu einer glücklichen Vorstellung vom Menschen im 21. Jahrhundert verfasst und da muss Ihnen mein hier und da misanthropisch ausfallender Beitrag ja auf die Füße treten. Sie haben die Menschen gelobt, die nicht so handeln, und dafür gebührt Ihnen alle Ehre. Ich schimpfe aber übrigens nicht über den Egoismus des Einzelnen an sich, sondern ich schimpfe auf die systematische Implikation eines profitdynamischen Egoismus, die sich als höchste Form des Zivilisationsgrades verkleidet hat und der schon die Lehranstalten durchsetzt, um zu garantieren, dass er schon früh in alle jungen Köpfe gerät.
Ein solcher von oben, aus wirtschaftsliberalen ThinkTanks dekretierter Egoismus ist zu bekämpfen. Und da appeliere ich, bei all meiner Misanthropie oben im Text im versöhnlichen Ausklang an exakt dieselben Menschen, die Sie loben und die übrigens auch ich lobe, dem etwas entgegenzusetzen, Mit-Menschlich zu sein, hilfsbereit, freundlich (da ist Ihnen übrigens doch ein bisschen was gegen den Latz geschlagen seitens des ein oder anderen Lesers bei Ihrem Eintrag, da Sie die Freundlichkeit als hohes Gut in der Welt sahen, wobei ich diese selbst loben wollen würde!)
Soviel Pessimismus schlägt bei mir, dies nun mal wirklich naturgemäß aber durch: ich sehe vorerst nicht das Zeitalter des Altruismus oder wie immer wir die Mitmenschlichkeit benennen wollen heranbrechen. Zumindest aber behalte ich mir einige utopische Reserven vor, dass es auch anders gehen mag. Sonst schriebe ich keine Plädoyers.
Danke für die ausführliche Antwort, und ich glaube, ich bin in meinen Ansichten meist bei Ihnen. Egal ob es um Pessimismus/Optimismus, Altruismus/Egoismus geht, oder um den Punkt "einen Menschen sehen" und "das System sehen". Auch sehe ich den Menschen an sich und sein "Naturwesen" wie Sie. Wo ich nicht ganz zustimmen will, ist "der Blick nach vorne". Stimmt, man solle nicht zu sehr in die Vergangenheit schauen ("reaktionärer Blick"?), aber bei Zukunft bin ich mindestens ebenso ein Skeptiker (Gegner eines "linken Fortschrittsglaubens"?). Denn ich sehe den Menschen und seine Entwicklung nicht linear (zum besseren) - aber auch nicht als "im Kreis". Es sind eben viel mehr und viel komplexere Dimensionen, und dennoch kann man - wie man an Ihrem wie meinem Beistrag sieht - an vielen Stellen einiges besser als schlechter machen.