Das wilde Herz gegen die Marktdiktatur

Empfindsamkeit Wenn wir vom Herzen schweigen, reden wir über das Falsche

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''Aber ich habe auch niemals auf mein Herz Rücksicht genommen, dachte ich, deshalb ist es ja mit meinem Herzen so weit gekommen, weil ich darauf niemals Rücksicht genommen habe, von Kindheit an nicht, eine solche Natur wie die meinige hält ein Herz nicht aus, sagte ich mir, es wird früh krank, geschwächt, weil es von Kindheit an mißbraucht worden ist, mein Herz wurde von frühester Kindheit an mißbraucht und immer überanstrengt, dachte ich, ihm wurde niemals die Ruhe gegönnt. Mein Herz hat die Ruhe, die es haben müßte, niemals kennengelernt, dachte ich, jetzt ist es kaputt.''

Thomas Bernhard, aus: Die Auslöschung

Wenn man sich an das Unterfangen macht, einen mutwilligen Text über das Herz als größten noch möglichen Raum der menschlichen Freiheit zu schreiben, hört man natuerlich vorab schon die resignierten Rufer in der Werbeweltwüste: ''Komm, du da, du schraeger beschäftigungsloser Typ! Was stellt das vor?! Lass mal, hau mir ab mit deiner Herzscheiße. Außerdem: Romantik verkaufen sie sowieso im Ein-Euro-Shop mit Duftkerzen, Plastikrosen und süßen kleinen Teddies aus.''

Ein anderer Leserfreund vermutet dagegen schon im Vorabgespräch zu diesem Text in diesem Unterfangen einen schlecht getarnten Akt der Kundenbindung in Richtung weiblicher Leserschaft, ihm wird allerdings erwidert, dass der vermeintliche Autor dieser Zeilen nie den Anspruch darauf erhoben hat, seine Leser auszurichten, sich nach seinen Leser/innen zu richten oder diesen hinterher zu schreiben.

Nun also frage ich jeden, der dem Ansatz, der Herzraum sei einzige mögliche Gegenwelt zur modernen Total-Marktwelt, konträr antworten möchte:

Was hast denn du mir zu bieten als möglichen Raum für unsere Freiheit in dieser Welt? Doch wohl nicht die digitalisierte marktwirtschaftliche Welt oder die Restrumpf-Natur ''da draußen'' (wo ist ''da draußen'' noch?!)...was also hast DU mir zu bieten, der du vom Herzraum sprichst, als sei dieser nur noch eine willkommene Deponie für gebrochene Träume?

In einer Welt, die sich nur noch ums Kaufen, Verkaufen, Geld, Preise, Markt, Werbung, Digitalisierung und Marktbefähigung, Ratings und Wachstum, Konjunktur und Marketing dreht, wohin verortest du da die letzte Chance auf wahres Gefühl, Liebe, nicht korrumpierbares aufrichtiges Gefühl oder den Raum der Freiheit für das Schöne, das nicht an Geldwerte gebunden ist? Wo soll denn noch der Raum für all dies sein, wenn nicht im Herzen?

Aber was ist das überhaupt, das Herz? Wir reden ja hier nicht allein über die physiologische Maschinerie im Organismus, die ja auch nur gleich einer rhythmisierten Maschine einen Takt vorschlägt, den es einzuhalten gilt. Davon allein kann nicht die Rede sein, davon ist nicht die Rede, nicht dieses fürchterlich naturrechtliche Herz, das sich daher nicht zu unrecht so süßlich profan auf ''Schmerz'' reimt.
Der Mythos fast aller Völker und Zeiten hat indes immer schon das Gefühl und die Liebesbefähigung in diesen organischen SchlagRaum projiziert und das analytisch-rationale Denken dagegen in das Hirn und warum dies?

''And don't fear, if you hear, a foreign sound to your ear---it's alright, Ma, I'm only sighing...''

Bob Dylan, It's alright, Ma

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Liegt dies am getragenen schweren Seufzen, das wir oft äußern, wenn wir eine Situation der Spannung durchstanden haben und unser Herz erleichtert ist, indem wir zB etwas aussprachen, was uns schwer um selbiges hat fühlen lassen? Was ist denn das Seufzen, wenn nicht die Weitung des Herzens, bevor es friedlich sich auf eine es sanft tragende warme Hand zu senken scheint?

Es ist das Gefühl der Beschwerung des physiologischen Herzens, das zunächst dafür sorgt, dass um diese Gegend der Schwere herum der Gefühlspol des Menschen verortet wird. Das Herz, je nachdem wie es beschwert ist, wird zum Gefühls-Container oder, wenn sich die Stimmung hebt und sich ''die Seele weitet'', zum weiten Raum einer Freiheit, die unser Körper fast nicht zu fassen vermag. Das Herz fühlt sich je nach Zustand dann schwer klamm an oder so, als habe es Flügel, die die Seele am liebsten aus uns hinaus ins Weite trügen.

Die alten Ägypter kannten den Topos des Wiegens des Herzens nach dem Tode. Der Unterweltgott wog das menschliche Herz eines Verstorbenen auf einer Waage, in deren einer Schale eben das Herz, in der anderen die Feder der Ma'at (Symbol der ausrichtenden Ordnung und Gerechtigkeit der Welt) zum Aufwiegen einander gegenueberlagen. Wurde das Herz für zu schwer befunden, wurde der Verstorbene von einem Dämon aufgefressen und seiner Seele kein postmortales Heil zuteil. Nur wenn sich sein Herz mit der Feder der Ma'at die Waage hielt, hatte der Verstorbene die Chance, ins selige Jenseits überzugehen.

Wenn wir das Gefühl haben, unser Herz wird uns zu schwer (wenn wir dieses Gefühl(!) überhaupt noch haben), wünschen wir uns die Läuterung desselbigen, seine Erleichterung, seine Reinigung...die Leichtigkeit des Herzens wird als erhebend schöne Macht empfunden.

In einer Zeit dagegen, die dem Markt nicht nur den Vorzug vor dem Gefühl und dem Herzen gibt, sondern den Markt als ausschließlicher Größe weisende Macht über alles verleiht, wird konsequent daran gestrickt, den Markt in unsere Herzen einziehen zu lassen.

Warum also das Herz als utopischer Gegenentwurf? Warum diese kitschverdächtige Entität? Warum liegt einem selbst, der die ziemlich ausgenudelte Herz-Metaphorik und klebrigen Allusionen dazu nicht besonders schätzt, ein Text dazu dennoch im wahrsten Sinne des Wortes am Herzen?

Das mag daran liegen, dass das Herz, als nur gedachter Gefühlsträger, bei alledem dennoch eine belastbare Zuflucht, ein Aufbewahrungsort für die Utopie der alles überwältigenden Macht der Schönheit und der Gefühle ist. Ein Refugium, eine entlegene Welt, ein werbe- und marktfreier Sehnsuchtsort...

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Wenn wir ein Stethoskop greifen und es an unser eigenes Herz halten, dann hören wir ein dröhnendes lautes Schlagen wie aus galaktischer Ferne, aus der sich dieses Schlagen wie aus ewiger Dunkelheit aus fernem All, schält. Das Herz als der uns so nah schlagende so unendlich ferne Welt-(Innen)Raum. Die unendliche Weite einer Welt, in uns eingeschlossen...diese wie galaktische wirkende Ferne zum eigenen Lebenszentrum.

Die Suche der Utopie in unserem eigenen Herzen wirkt wie eine bemühte Versuchsanordnung, aber doch wird uns kein anderer Raum als der Herz-Raum bleiben, uns in dieser Welt das unvernünftige, das Gefühl, das wilde, das schöpferische, zu erhalten.

Wenn wir vom Herzen schweigen, reden wir über das Falsche. Denn der Kopf und das Denken allein verkommen nur notwendig zum Gespenst des Kapitalismus und erhalten uns nicht die Freiheit, derer wir so dringend bedürfen in marktliberalen Zeiten.

Das rationale Denken ist verkommen zum Konstrukt der Notwendigkeit und die Vernunft, dynamische Kraft der Aufklärung, hat nur bewirkt, dass der menschliche Geist die Erkenntnis seiner selbst in seine eigene Marktdisposition steckt. Berechnend war sie von allem Anfang an, die Vernunft...sie hat dem Menschen die Freiheit geraubt, indem sie ihn über Zwecke frei machen wollte, die immer schon über ihn hinausgewiesen haben.

Das Gefühl muss als Hemmschuh gegen das überall fast nur noch herrschende Kalkül und die Berechnung der Welt und die Fremdverfügbarkeit des Selbst gesetzt werden. Das Herz soll schlagen als unverfügbares wildes Ding: letzter Raum der unendlichen Freiheit in uns, an die viele von uns schon gar nicht mehr glauben mögen, so sehr sind sie bereits eingesperrt in die Welt medial mitgeteilter Notwendigkeiten, alternativloser Politik, die sich in ihre Leben schleicht und von ihrem Lebenshunger zehrt.

Die Seelenruhe wohnt allein im Herzen. Die Marktgetriebenheit dagegen frisst sich durch unsere immer anfälligeren Köpfe in unser Herz, wenn wir es nicht dagegen abschließen und uns die Schönheit und die Freiheit bewahren. Da haben wir einen Welt-Raum nah unserer Halsschlagader in uns und bemerken dies nicht einmal mehr...wenn uns das Herz über aller Getriebenheit kaputt geht, haben wir keinen Behälter für die Gefühle mehr. Unser Herz ist dann kaputt, unsere Freiheit dahin und unsere besten Teile stecken wir dann nur noch in fremden Willen und einer kalt berechnenden Macht, die über uns verfügt, uns zerschlägt, uns notwendig macht und dadurch: berechenbar. Das Reich der Notwendigkeit entspringt unserem Kopf, der schon in Symbiose lebt mit den digitalen Kräften...soll nun auch das Herz im Takt der Marktdynamik schlagen?

Wo aber suchen wir denn sonst noch die Freiheit, wenn nicht an einem Ort, der unsere Sehnsüchte allein zu fassen vermag und von dem es klar ist, dass wir DORT keine unsere Befindlichkeiten kaufen und kontrollieren, investieren oder versichern können...das Herz als der Generatorenraum der Freiheit. Da wird entweder geschreddert, was heil hineinging oder heilgemacht, was geschreddert eintraf, klar ist nur: das Ding schlägt Freiheit...

Das Herz ist ein zu proklamierender Sehnsuchts- und Rückzugsort für unser Gefühl und die Schönheit, von dem wir vielleicht schon ahnen, dass wir es zu schützen haben werden, weil irgendwas ''da draußen'' uns sonst leer macht. Damit wir die Seelenruhe bewahren können, müssen wir die Unruhe der aufwiegelnden Gefühle irgendwo verortet wissen...ein schönes Behältnis dafür wäre der Herzraum. Nicht umsonst haben fast alle Kulturen gewusst, wohin sie ihre tiefsten Gefühle verorten...

Wenn uns das Herz kaputt geht, ist unsere Seelenruhe dahin und wir sind lenkbare liquide Willen, die keine Ausrichtung aus sich selbst heraus mehr kennen, sondern allein noch danach sich ausrichten lassen, was das Medium Markt uns weist, wie wir uns auszurichten haben.

Oder möchten Sie noch, lieber Leser, ständig die Wirtschaft über fehlende Absatzmärkte, Ausfallzinsen, soziale Netzwerke als Experimentierfelder der Konsumentendynamik, Werbebefähigung, die Werbewirtschaft als hohe Priesterschaft des Marktgottes Rendite, Karrierepositionierung bereits im Grundschulalter, Fiskalklippen, credit default swaps, Staatsanleihenrückkäufe als Finanzbazookas, Gewinnwarnungen, den enttäuschten Einzelhandel über den rückläufigen Weihnachtskonsum, die Tariffreiheit oder Wachstumsmärkte, ressourcenreiche Schwellenländer, Entwicklungspotentiale und dergleichen endlos mehr schwadronieren hören, bis ihnen darüber end-gültig jegliches Fühlen und Lieben vergeht, weil das Empfinden den Notwendigkeiten dieser Ausrichtung der Welt nichts entgegenzuhalten hat. Das Mitgeteilte und das Mitteilende zugleich ist zunehmend allein noch der Markt...alles Schöne wird an den Preisen und seiner Vermarktbarkeit ausgerichtet, so dass es entsprechend konsumiert werden kann. Über all das also geht uns das Herz kaputt...und am Ende unsere Träume und unsere Aussicht auf ein ganz anderes LEBEN.

Achten Sie einmal darauf, wie stolz Ihr Herz schlägt und seufzen sie auf nach Feierabend und wie da ein kleines Glück Sie erfassen wird, von dem Sie vielleicht nicht einmal wissen, wie es zu Ihnen gelangt ist, denn Sie haben es ja nicht gekauft. Und doch ist es da: Sie haben nur Ihr Bewusstsein ausnahmsweise einmal auf das Wesentliche gelenkt statt auf den Markt und seine ihn legitimierenden Lügen, er allein sei noch das ganze, sich rechnende Leben und nichts mehr außer ihm.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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