''If you must write prose or poems The Smiths, Cemetry Gates Jeden willkommenen Leser bitte ich zunaechst, nach Moeglichkeit diesen Text zu lesen: Ich konnte mich nicht enthalten, ein bereits einmal zuvor in diesem Blog angefuehrtes Zitat (aus dem ''The Smiths-Song ''Cemetry Gates'') ob seiner unglaublichen Aktualitaet noch einmal anzufuehren. Treffender kann man die Problematik des uebel erwischten Karl Theodor minus Doktor von und zu Guttenberg nicht zum Ausdruck bringen. Im Guttenberg-Skandal, wenn er denn als solcher empfunden wird, entdecken wir zwei bedeutend wichtige Konstanten des neu anbrechenden digitalen Zeitalters, das zwei zunehmend antiker werdende Essentials mit der unglaublichen Wucht und Selbstverstaendlichkeit dessen, was einfach geschieht, fortspuelt. Es sind dies die Begriffe des ''Urheberrechtes'' (bzw dem ''geistigen Eigentum'') und der individuellen Originalitaet. Ein anderer Begriff dagegen, der dem digitalen Zeitalter der totalen Transparenz so charakteristisch zukommt ist die Zurueckverfolgbarkeit einer Quelle auf ihren Ursprung hin (''trackability''). Diese Zurueckfuehrbarkeit, durch die moderne Technik und Suchlogarithmen unglaublich beguenstigt, ist die Technik der zwanghaft intendierten Recherche, der Nachstellung, auch der Zensur und des Schnueffeltums, auch das Wort ''Petzen'' liegt hier nicht fern. Anwaelte, die sich an der Verfolgung der vermeintlichen Verletzung des ebenso vermeintlichen Urheberrechtes eine goldene Nase verdienen, wissen, wovon die Rede ist. Jedes fremd-angeeignete Text- oder Bildelement kann dank Internet und Computer aufgespuert werden und die Originalitaet eines Autoren komplett zerfleddern. Ueber diese Moeglichkeiten moderner Trackability stolperte der gute Guttenberg also nun. Unglaublich, was fuer Kompilationen, Ueberschreibungen, und vielfaeltige Variationen und Plagiatisierungen die moderne Suchtechnik an seiner Doktorarbeit ausmachte. Der Verteidigungsminister, der in seiner Jugend, wie wir alle mehr oder weniger Gelehrten wohl moeglichst kraeftesparend seinen Abschluss dank einem Schelmenstueck erringen wollte, sieht sich ploetzlich mit fremdgeluepfter Unterhose im rauhkalten Abendwind stehen und weiß von nicht viel. Die große Petze Internet hat alles offengelegt, einmal mehr...sollte das im Zeitalter von Google und Wikileaks verwundern? Handeln wir zunaechst von der Originalitaet. Die Originalitaet in der akademischen Welt bezeichnet den Anspruch eines frei Schreibenden oder Schaffenden, seine auszufuehrenden Ideen so aufs Papier oder an den Leser oder den Betrachter oder den Hoerer zu bringen, dass es ihm nach bestem eigenem Vermoegen erscheint, als sei er und ER ALLEIN, ''auctor'' (lat.), also: Autor, Schoepfer SEINES Werkes. Das lateinische ''auctor'' bedeutet ''Stifter'', ''Schoepfer'', ''Mehrer'', bezeichnet also jemanden,der die Ideen und ihre Zusammenhaenge neu schoepft, die Ideenwelt mehrt und bereichert. ''Auctor'' wiederum kommt vom lateinischen Verb ''augere'', das ''mehren, bereichern, schoepfen'' bedeutet. Wenn man anderen etwas wegnimmt aus dem geistigen Fundus, setzt man gemeinhin Anfuehrungszeichen als Ausweis eines erfolgten Zitates. Anfuehrungsstriche oben und unten heißt dann zu gut Deutsch: ''Das hier habe ich mir nur geliehen, es kommt aber urspruenglich von...''. Lassen wir diese Anfuehrungszeichen fort und erwaehnen keine Quelle, machen wir uns der Aneignung grob verdaechtig. Aber derjenige, der zitiert, ohne zu zitieren, ist dennoch kein Dieb. Das liegt daran, dass es kein geistiges Eigentum gibt. Die digitale Technik wird dafuer sorgen, dass jeglicher Text ''open source'' wird. Das ist auf lange Sicht nicht zu vermeiden. Ein gewaltiges Textkonvolut waechst heran, dass es irgendwann unmoeglich machen wird, die trackability eindeutig zu fuehren. Das Zitat des Zitates des Zitates des Zitates, variiert mit dem Zitat des Zitates, kommt in einer Rueckkopplung irgendwann nur noch bei sich selber an. Die ganze Welt wird Text und ein gigantisches Palimpsest, eine Ueberschreibung ueber der Ueberschreibung und das immer wieder neu. Auch das uebrigens eine Folge der vermuteten Schwarm-Intelligenz, die natuerlich jederzeit auch zum Massen-Bloedsinn umschwenken kann. Deshalb nun zurueck zur Originalitaet. Auch hier hilft wieder ein kleiner etymologischer Ausflug zum Ursprung dieses Begriffes aus dem Lateinischen ''origo'', eben: ''Ursprung, Herkunft, Urheberschaft''. Der Ursprung der Ideen ist so raetselhaft wie nicht und nicht mal ansatzweise einwandfrei rueckverfolgbar. Es ist eine Grundessenz des Denkens und der Ideen, dass sie fluechtig sind und schwer zu fassen. Wenn eine Idee in einem heranwaechst, vermag einem niemand, nicht einmal man selbst sich selbst, zu sagen, wieviel Anteil an dieser Idee aus eigener Originalitaet geboren wurde und wieviel Fremd-Vorhandenes dagegen in die Idee reinspielte, unbewusst Eingang fand in die Idee. Das Internet zeigt uns Tag fuer Tag auf, dass originell geglaubte Ideen in der ein oder anderen Weise immer schon zuvor irgendwo aufgetaucht sind, wenn auch vielleicht in einer anderen Variation. Da hilft oft bereits das einfache Googlen, um dies zu erfahren. Der Autor dieser Zeilen selbst googlet oft bereits im Vorfeld den angedachten Titel fuer den jeweiligen Eintrag, um auszuschließen, dass er einen Titel verwendet, den es andernortes schon gibt. Weniger aus Angst, einem anderen Autoren eine Idee oder Inspiration zu klauen (denn das ist Quatsch), denn aus Anspruch, zumindest im Ansatz originell sein zu wollen. So erledigten sich zwei pointierte Ideen, die ich im Vorfeld hatte, bereits durch EINEN einzigen Google-Treffer. Ich wollte diesen Eintrag zunaechst mit Botho Strauß' Text ''Die Fehler des Kopisten'' benennen, fand dann aber, dass es schon einen Eintrag zu Guttenberg mit exakt diesem Titel gab. Auf derselben Seite erledigte sich dann schon meine (zugegeben schwaechere) Anschlussidee fuer einen Untertitel ''Summa cum claute'', einen Titel, der exakt so in einem Verweis auf einen anderen Blog dort auftauchte. Im Reich der Ideen gibt es sicher Menschen, die sich gern mit fremden Federn schmuecken, aber sie sind keine Diebe, sondern allein Nutznießer. Und wenn sie eins zu eins abschreiben, sind sie Kopisten, aber keine Diebe (denn der Ursprungstext wird nicht entwendet, sondern im Gegenteil: verdoppelt, vervielfacht (womit wir wieder auf dem Feld der Multiplikation und des quantitativen Mehrens angelangt waeren). Dann ist ihre hoechste Strafe ihr Ehrverlust, wenn sie dabei aufgespuert werden. Sie sind dann so sehr feige Ideen-Aneigner, dass sie neben dem INHALT, also der Idee, es noch aufgrund ihrer eigenen Minderbemitteltheit (und/oder Faulheit) fuer noetig befinden, sich sogar die reine FORM der Ursprungsidee anzueignen. Aber auch dann sind sie keine Diebe, sondern Parasiten, Aneigner, und bloß quantitative Mehrer. Das einzelne Kunstwerk ist Kunst, seine beliebigfache Vervielfaeltigung dagegen reines Handwerk. Und dennoch kann man keine Ideen klauen, denn eine Idee kann man sich nur aneignen, wenn man sie irgendwo gelesen, gesehen, gehoert hat. Dazu aber gehoert, dass der originäre Ideengeber diese Idee veroeffentlicht, publiziert haben muss. Da es mit den publizierten Ideen dann aber gemeinhin so geht wie es dem Baum mit seinem Laub im Herbstwind widerfaehrt, so sollte auch der Schoepfer einer Idee (der sich gemeinhin fuer einen solchen haelt) wissen, dass ihn allein das privatisierte Arbeiten, die Nicht-Veroeffentlichung seiner Idee, davor schuetzt, dass sich andere seine Idee fremdaneignen. Aber was taugt dann die Idee, wenn er sie still und heimlich in seiner Schublade abschließen wollte, statt sie allen zu uebereignen, wenn sie groß ist, wenn sie gut ist. Es verhaelt sich naemlich auch so, dass die Ideenhueter ein wenig wirken wie die Geizhaelse mit ihren klimpernden Muenzen in den Sparstruempfen, von denen sie nichts abgeben wollen. Ideen verbreiten sich im digitalen Zeitalter mit einer egalisierenden Vehemenz, die unklar und von Tag zu Tag unschaerfer macht, wer der wirkliche Auctor eines Textes ist und es darf bezweifelt werden, dass es in Zukunft noch einen anderen wahren Auctor als das Netz selbst geben wird...das digitale Palimpsest ist der neue Hyper-Text der Welt. Der Glaube an einzig rueckverfolgbare Autorenschaft einer Idee oder eines Textes auf EIN Individuum und geistiges Eigentum ist ein aussterbender Sonderweg des Possessiv-Denkens. Ins Altern geratende Albernheiten, wie das suchlogarithmen-unterstuetzte Aufspueren von ''fremdangeeigneten Elementen'' in einem Text werden dann bereits auf der Schulbank verlacht. Gesucht wird der beste und originellste Kompilator, der bekannte Inhalte in eine neue, originell nur scheinende Form bringt und zusammenwebt. Kopie und passt. Es waere ja auch ein sonderliches Wunder gewesen, wenn im befohlenen Zeitalter der Vernetzung, nicht auch alle Texte dieser Welt zu einem neuen unentwirrbaren Gewebe verwuechsen. Die ''Bibliothek von Babylon'' ist kein so großer Traum mehr... ...naechstens mehr... und bitte bedienen Sie sich an diesem Text, falls Sie es so moegen, Sie lieber Leser...
the words you use should be your own,
don't plagiarise or 'take on loan',
there is always someone somewhere with
a big nose who knows, who will take you up
and he'll laugh...when you fall...''
Klar ist, dass die Originalitaet nur und ausschließlich qualitativ zu verstehen ist, doch wer sagt eigentlich, dass das (Ver)Mehren und Bereichern unbedingt qualitativ aufzufassen ist? Wenn es sich um ein bloß quantitatives Element handelt, waere dies auch eine Schoepfung, allerdings eben eine Variation der Schoepfung oder auch eine Multiplikation des schon Gewesenen. Das ist alles solange vertretbar, wie der Mehrende sich nicht den falschen Anschein der Originalitaet gibt. Und DAS ist die einzige Verfehlung Guttenbergs.
Frueher gab es die sich sehr selbstbescheidende Vorstellung vieler Gelehrter, auf den Schultern von Riesen (also all der großen Vor-Denker) zu stehen. Aber recht eigentlich besehen sollte man doch fragen duerfen, ob man nicht eher auf den Schultern von Menschen wie dir und mir gestanden hat, die alle auch nur die Ideen aelterer Zeiten und ihrer Zeitgenossen zu einer augenscheinlich neueren Erhebung gefuehrt hatten.
Dieses schwer zu Fassende der Idee, ihre Fluechtigkeit und All-Verbreitetheit, macht aus, dass Ideen nicht wirklich gestohlen werden koennen. Guttenberg war mehr Parasit als Dieb, und mehr dumm und faul. Einen nur aus ihm selbst sich verifizierenden Anspruch auf Originalitaet jedenfalls scheint er ganz offensichtlich nicht im Blick gehabt zu haben.
Es gibt unzaehlige kreative Koepfe auf dieser Welt und die Ideen liegen so viel naeher, als wir es einst vermeinten. Das Internet erst fuehrt alle Ideen soviel schneller und durchgreifender zusammen, dass alles so nah beieinander liegt, dass die Originalitaet eines Individuums schwerer zu behaupten ist, als einst.
Die sehr intellektuelle Internet-Seite TED, auf der man sehr inspirierende ''open lectures'' internationaler Gelehrter verfolgen kann, traegt als Untertitel das Motto: ''ideas worth spreading' und nicht etwa: ''ideas worth keeping (to yourself)''...
Im Uebrigen wissen auch die Akademiker alter Schule nur zu gut, wie sehr auch sie bereits Kompilatoren und Flickschuster althergebrachter Texte waren, nur dass sie eben noch das Ehrbewusstsein aufbrachten, Anfuehrungszeichen zu setzen.
Der ausbleibende Untergang des gelehrten Abendlandes
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Geschrieben von
Paul Duroy
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