Die Protokolle der Waisen von Trump

Good Bye, common sense! Einige Betrachtungen zur großen Q-Ahnungslosigkeit und wie Verschwörungszirkel übergehen zur offenen Verschwörungspraxis

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''Haec nugae seria ducent...''

''Diese Narrenpossen führen zu ernsten Konsequenzen...''

Horaz, Briefe

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Tatsächlich sind die närrischen Dummheiten einiger agitierter Spinner, die man einst leichtfertig unter dem Label ''Wirre Verschwörungstheoretiker'' im bewußtseinsinneren Ignoranz-Ordner abzuheften verstand, spätestens am 6.1.2021 vor dem Kapitol in den USA derart ernst geworden, dass man sich fragt, wie sehr man zuvor gepennt haben muss, dass man nicht mitbekam, welche sich formierenden Kräfte im Verborgenen bereits gewaltet und einen okkulten Diskurs geschaffen haben, der nun mit Gewalt und prosperierender Penetranz an die Oberfläche und somit ins Bewusstsein des Massenpublikums drängt.

Der Unterschied zwischen dem Verschwörungstheoretiker des 20. Jahrhunderts und dem des digital hysterisierten und organisierten Verschwörungsmystikers des 21. Jahrhunderts besteht vor allen Dingen in der unfassbar agilen und beschleunigten Realitätsverdrängungsfähigkeit des kontemporären Verschwörungsgläubigen bei gleichzeitig vorhandener ''casual crazyness''. Die ''good old conspiracy theorists'' alter Schule waren relative harmlose (wenngleich extrem nervige) Spinner, von denen es immer einige gab, die aber gerade in vollanalogen Zeiten nicht weiter beachtet wurden und die man in ihrem Verblendungszusammenhang schmoren ließ. Solche Leute vermittelten einem dann meist krude Ideen von einer Weltverschwörung und warum man denn bitte nicht nachvollziehen könne, was sie bereits durchschaut hätten. Ob hinter allem denn nicht unbedingt mehr zu denken sei? ''Helmut Kohl hat sich mit einem jüdischen Geschäftsmann getroffen...ZUFALL?!'' Man winkte lässig ab und ließ, da man nun gerade zufällig keine Zwangsjacke bei sich führte, den Verschwörungsspinner seiner Wege ziehen.

Wo nun jedoch Verschwörungstheorien zuvor allein die ohnehin schon Schizoiden in den Wahnsinn trieben, finden sich in der digitalen Gegenwart, wohl nicht zuletzt vor dem Hintergrund pandemischer Langeweile und rabiater Freidrehkräfte, eine viel größere Anzahl bislang eigentlich geistig gesund geglaubter Adepten schwachsinnigster Verschwörungsmythen (wie man sie nunmehr wohl aufgrund ihres wohlgepflegten re-mythologisierenden Narratives nennen muss). Diese Adepten treiben zwar auch ganz notwendig sich selbst in den Wahnsinn, wenn ihnen nicht zuvor noch eine Abkehr vom konspirativen Dogma gelingt, sie haben es aber ebenso darauf abgesehen, alle! Menschen um sich herum mit dorthin zu treiben.

Diese Fußtruppen der Realitätsverdrehung erkennen zwar auf den ersten Blick durchaus plausible Kausalzusammenhänge in den Vorgängen, denken diese aber konsequent auf ihr falsches Ende hin zu. Man geht an einem Samstag vormittags gg 11Uhr als explizit aufgeklärter Corona-Querdenker und ''kritischer Bürger'' mit Meinungsfreiheitsentschluß auf die Demo und wacht am Tag darauf als antisemitischer Agent mit Zweifel am Klimawandel, Holocaust und der Sphärizität der Erde auf. Das verschwörungsmystische Narrativ der einschlägigen Themenkanäle auf Social Messengers wie Telegram zwingt die Kanalabonnenten und -folger im Grunde wie in einer Kaskade der Notwendigkeit dazu, inkrementell das gesamte Paket dieser Verschwörungsmythen zu abonnieren. Es gibt in diesem Cluster von Lügennarrativen keinen Raum für Rosinenpicker, die nur einen Verschwörungsmythos wählen wollen. Bewahren Sie diesen Gedanken bitte für später, liebe Leser.

Warum also nutzt die 55-jährige Hausfrau Rosemarie Köpke (Name leicht geändert) aus Naumburg an der Saale auf Ihrem Chatprofil in einem verschwörungsmythischen Kanal einer Telegram-Gruppe ein Portraitphoto von Donald Trump als ihr Profilbild? Warum tut Helga Lübbertz (Name leicht geändert) aus Hessen dasselbe? Warum diskutiert der 58-jährige arbeitslose Automechaniker Hans-Peter Berke (dito) aus Frankenhain mit einer detailversessenen make-believe-Expertise im Telegram-Chat einer Q-Anon-Gruppe über die Frage, ob das deutsche Kaiserreich das internationale Völkerrecht in seiner Verfassung von 1871 anerkannt hatte oder nicht und trägt im Ton zumindest souverän zugleich vor, inwiefern die Verfassungsväter der USA in den Federal Papers dieses und jenes ''political amendment'' abgewiesen haben? Was kann die 42-jährige zweifache Mutter und Friseurin Angela Benthain (Name geändert) aus einer Schwarzwald-Gemeinde zu der Frage beisteuern, inwiefern diverse Corona-Impfstoffe die DNA des Geimpften nun aktiv beeinträchtigen oder nicht?

Nach den Ereignissen des 6.1.2021 begann ich mich, da ich bereits seit der US-Wahl am 4. November 2020 tief in den Recherchen für diesen Artikel steckte und hier in Echtzeit neues Material geliefert bekam, die tieferen Zusammenhänge in Bezug auf Verschwörungstheorien der Neuzeit noch einmal ganz von vorn aufzuwickeln. Vor allen Dingen interessierte mich die Frage, wie der Hype dieser irrsinnigen Theorien plötzlich aufgekommen war. Zudem wollte ich verstehen, worin die psychosozialen Konditionen der Menschen bestehen, die diesen modernen Mythen verfallen und sogar weiter an ihnen weben, bevor viele von ihnen sich irreversibel in all dem Unsinn verstricken und schizophren werden. Was sind die Prozesse dahinter? Warum taugt die Idiotie und die Diversifikation der Dummheit plötzlich zum ubiquitären Diskursthema?

Dieser Text soll zunächst als Fundament dienen und einem Artikel vorausgehen, der in den nächsten Tagen an gleicher Stelle erscheinen und sich das Exempel der tiefen Krise der amerikanischen Demokratie vornehmen wird und zu beantworten beansprucht, inwiefern diese Krise globale Auswirkungen auf die politischen Bestrebungen der Staatsfeinde von rechts in den internationalen demokratischen Staaten (nicht zuletzt in Deutschland) hat.

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Fangen wir einmal so an: anscheinend haben viele Leute in der Pandemie viel (zuviel) Zeit gehabt. Die Zeit also, Fakten und Geschehnisse zunächst zu beobachten, sodann der Versuch ihrer Einordnung, sie dabei falsch oder voreilig aufzufassen und zu verdrehen, den komplexen Kontext einer Nachricht zu ignorieren, alles auseinanderzuschlagen und dann wieder schief zusammenzufügen. In Zeiten, in denen gesicherte Fakten Mangelware sind, feiern Verschwörungsmythen fröhliche Urständ. Die Vertreter der Rationalität in ihrer beflissenen Fact-Check-Willigkeit wissen sich durch die aus Milliarden Kanälen einströmenden Info-Bits und Fake News auch nicht mehr wirklich zu retten und überlassen ihren Kritikern das Feld. Wie aber bleibt man geistig gesund gegen all diese Turbulenzen des herausgeforderten Geistes?

Mir hat es in diesen Zeiten der maximalen Konfusion sehr geholfen, das Devianzverhalten der Verschwörungsgläubigen zu analysieren, um am Ende darüber zu schreiben. Auch nahm ich mir vor, gezielt hartnäckig zu bleiben und zu versuchen, mich nicht wie aus gewohntem Reflex gleich genervt abzuwenden beim flüchtigsten Kontakt mit einer Verschwörungstheorie (und käme sie aus dem engsten Freundes- oder Verwandtenzirkel), sondern vielmehr zu verstehen versuchen, was die Person dahinter eigentlich umtreibt oder sie in die Arme solcher Hype-Verschwörungscluster wie Q-Anon treiben lässt.

(Damit Sie mich nicht von vornherein falsch auffassen: das ''Verstehen'' bezog sich hier auf den Erkenntnisprozess für meine Ratio, die Vorgänge zu verstehen also, wie und warum jemand ins Konspirative abdriftet. ''Verständnis'' dafür, also der empathische Ansatz, war nicht das genuine Ziel meiner Analyse. Natürlich taten mir manche der Beobachteten leid, andere dagegen stießen mich nach wie vor ab in ihrer Verblendung und hechelnden Wut).

Der moderne Adept eines Verschwörungsmythos (ich werde im Folgenden der Einfachkeit halber die Verschwörungsgläubigen nur noch als ''Adepten'' bezeichnen) gönnt sich grundsätzlich den Gestus des hyper-aufgeklärten und einigermaßen souveränen Besserwissers, der sein Wissen zudem aus geheiligten autoritativen Quellen schöpft, während die Normalgläubigen, die Mitläufer im System, die Schäfchen (wie die Nicht-Verschwörungstheoretiker, also im Grunde jeder Otto Normalverbraucher der Mediennutzung, im Jargon der Adepten u.a. heißen) ihre Informationen aus dem systemtreuen Mainstream-Medien beziehen, die wiederum das System erhalten. Der Adept dagegen betreibt keine weitere Kritik in Bezug auf seine Quellen, sondern glaubt eben, was man ihm oder ihr so vorsetzt. Konfrontiert man einen Adepten mit etwaiger Kritik in Bezug auf die eigenen Quellen, fällt oft der Satz: ''XY beschäftigt sich extrem viel damit und kennt sich bestens aus! Ich glaube ihm/ihr.'' Keine weitere Frage also, woher denn wiederum die Quelle des Adepten ihre Informationen schöpft (dies übrigens selbst oft genug aus den Mainstream-Medien, wenn es denn gerade opportun erscheint). Konfrontieren Sie den Adepten bitte nicht mit der Tatsache, dass im Grunde auch seine Quellen mittlerweile absoluter Mainstream sind. Einschlägige verschwörungsmythische Kanäle haben inzwischen vergleichbar hohe oder sogar deutlich höhere Followerzahlen wie und als herkömmliche ''Mainstream-Medien''.

Aus diesem unbedingten und naiven Vertrauen auf die eigenen Quellen extrahieren wir ein erstes handfestes Charakteristikum des passiven Adepten: seine extreme Leichtgläubigkeit in Bezug auf Informationen aus dem eigenen ''Lager''. Diese Gutgläubigkeit resultiert aus tiefster Verunsicherung über das Weltgeschehen. Durch die als zusammenhanglos erscheinenden Nachrichten aus einer kontingenten Welt im Fernsehen völlig verunsichert, gerät der Adept an den Verschwörungsmythos, weil er hier die direkte Kausalverknüpfung eines jeden als rätselhaft erscheinenden Phänomens mit jedem anderen vorfindet. Alles kann nicht nur lückenlos erklärt, sondern auch beliebig miteinander verbunden und so eine (naturgemäß extrem fadenscheinige) Kausalkette geknüpft werden. Das aber gewährt dem Adepten wieder mehr Sicherheit in einer komplexen Welt. Ebenso wie in der Welt der psychisch Kranken die Ersatzbildung der Wahnwelt den Kranken überhaupt noch bestehen lässt in der ''realen'' Welt, so hilft der Verschwörungsmythos dem Adepten dabei, in der Welt überhaupt noch klarzukommen. Nicht umsonst nennt sich einer solcher der Q-Anon-Bewegung nahestehender Blogs ''Verknüpfe die Punkte!''. Die Kausalkette, die bei einem Verschwörungsmythiker zusammengeknüpft wird, ist ein Malen nach Zahlen für Illiterate. Ebenso wie ein Kleinkind, das noch keine Zahlen gelernt hat, beim Malen nach Zahlen wohl kaum die vorfigurierte Prinzessin zustandebringen wird, so wird dem Adepten kein zusammenhängendes rationales Bild der Wirklichkeit durch das Verknüpfen verschwörungsträchtiger ''Tatsachen'' gelingen. Dieses Phänomen ist in der Kognitivpsychologie auch als Apophänie bekannt: man will fast mit Gewalt Dinge und Zusammenhänge erkennen, die im realen Leben so nicht gegeben sind. Vom Jesus-Antlitz auf dem verbrannten Toast hin zu Trumps Kampf gegen pädophile Supereidechsen aus dem All ist es derart gar kein so großer Schritt.

Sei es also nun seitens der Adepten so intendiert oder nicht, so wird man in der Gegenwart einer Disruption der Ratio und des Wahrheitsbegriffes gewahr: während die ''Quellen'' der Adepten die Wahrheit des ''Mainstream-Systems'' im Grunde intentional zerstören und konfundieren wollen, bauen sie darauf, dass ihre Adepten dies schon gewährleisten werden, indem sie die wirren Mythen ihrer Vordenker weiterverbreiten und weiter ausbauen. Sehr gelungen hat daher auch Sascha Lobo in seiner SPIEGEL-Kolumne die Q-Anon-Bewegung als ''Do it yourself''-Verschwörungstheorie bezeichnet. Jeder kann eben mitmachen, there is no limit to the amount of crazy. Wenn zB oben aufgeführte Roswitha Köpke sich so süß fühlt, kann sie auf einer Plattform ihre Videos darüber veröffentlichen, warum der Päderastenkreise zerschlagende Donald Trump schon dafür sorgen wird, dass die Chemtrails am deutschen Himmel über Naumburg wieder ein Ende haben werden. Oder aber sie verhält sich weniger originär und verlinkt stattdessen als 136.586ste Userin eine Fehlinformation einer ihrer autoritativen Quellen, um selbiges zu verdeutlichen. Q-Anon und ähnliche Verschwörungsplattformen arbeiten im Grunde wie ''common sources'': solange man es schafft, dem grundlegenden Wahnsystem treu zu bleiben, kann einfach ALLES behauptet werden und es verhält wirklich so: je realitätsverdrehter eine Ansicht, desto glaubwürdiger erscheint sie den Adepten. Oh, blessed be their gullibility. Die größte Inkongruenz einer ''Meldung'' mit der Realität adelt die jeweilige Mythe als unbedingt wahr in den Augen der Adepten. Das Ganze erreicht dann Formen einer ''Glaube vor Fakt''-Wahrnehmung der Welt: wichtig erscheint es den Adepten, die Wahrheit zu fühlen oder zu glauben (und kein Wunder, dass sich unter ihnen soviele Esoteriker befinden) statt Fakten oder Zweifel kritisch zu prüfen oder anzuerkennen. So meint zB jemand aus den Kreisen auf meine Frage hin, wo denn die schlagenden Beweise seien für den angeblichen Wahlbetrug in den USA: ''Trump hat auf der Pressekonferenz vorgetragen, dass die Demokraten die Wahlen gestohlen haben und er hat dabei so überzeugend geschaut und gesprochen, dass ich ihm das geglaubt habe, da gibt es für mich keine Zweifel mehr. Wer so spricht, der kann nicht lügen.'' Meine Konsternation war maximal.

Letztlich also hat die moderne Bewegung der Verschwörungsgläubigen etwas von einer kollektiven Schizophrenie, bei der der klare und gesundeMenschenverstand durchaus intendiert resigniert hat. Die Adepten dieser Kollektivschizophrenie sind dabei bloß die Fußtruppen einiger sich für besonders auserwählt erachtender Sendungsbewusster. Damit kommen wir zum nächsten Charakteristikum des Verschwörungsadepten: sein missionarischer Charakter. Sei es, dass der einzelne Adept selbst seine Botschaft in die Welt senden und Anhänger finden will, sei es, dass er sich bloß als passiv Wartender auffasst: immer haftet der Bewegung die Form eines mehr oder weniger säkularisierten Messianismus an, die Proselyten unter den verunsicherten Leichtgläubigen machen will, die noch keine Verschwörungspraktiker sind.

Dabei kann besagter Messianismus sich sowohl auf einen erwarteten radikalen Umbruch der Gesellschaft, einen ''Great Reset'', nach dem die Dinge komplett anders werden sollen, beziehen, er kann aber auch völlig problemlos auf eine Erlöserfigur wie (ausgerechnet!!) Donald Trump projiziert werden. Weil in den Augen der Q-Anon-Anhänger Donald Trump die Welt rettet, indem er unschuldige Kinder davor bewahrt, vom Establishment sexuell missbraucht und verspeist oder als Rejuvenalisierungs-Droge genutzt zu werden, taugt er zugleich zur universalen Erweckerfigur in Hinblick auf wirklich ALLES mögliche.

Dazu koppelt sich an diesen Messianismus noch ein Millenarismus, ein dunkelraunendes Sehnen nach der Offenbarung nach Johannes, nach einer reinigenden Apokalypse, welche die Spreu vom Weizen trennt und nach welcher zB Deutschland wieder eine Monarchie wird, in welcher freie (Reichs-) Bürger Militärtribunale (''...so schonend wie möglich und so hart wie nötig'', O-Ton!) halten, um das Establishment endgültig zu richten und zu zerschlagen. Diese Heilserwartung einer großen, durch Verschwörungsnarrative zusammengehaltenen, chiliastisch geprägten Gruppe muss allerdings den Kummer einer jeden Erweckungsbewegung aushalten: es muss ungefähre Richtdaten geben, an die man sich klammern kann, um etwas Evidenz zu bekommen für das, an das man da zu glauben meint. Passiert am jeweiligen Richtdatum das Herbeigewünschte nicht, so muss die Gruppe ein deutlich vernehmbares Zweifeln ertragen. Zur Absicherung gegen etwaige Enttäuschungen entwickelt die Verschwörungsgruppe neben einem Rückgrat aus extrem flexiblem Gummi noch maximales Enttäuschungs-Teflon, indem sie Korrektivnarrative in den gruppeneigenen Diskurs einbringt: ''Wird schon alles nach Plan laufen im Sinne unserer Agenda. Wenn nicht jetzt, dann später.''

Man sollte in Bezug auf chiliastische Bewegungen daran erinnern, dass sie das Nichterscheinen ihres Messias anders als jeder Dating-Partner nicht als Versetzen wahrnehmen, sondern recht relaxt mit Enttäuschungen umgehen. Wer auf die Offenbarung nach Johannes wartet, ist nicht enttäuscht, wenn sich Jesus und die apokalyptischen Reiter monumental verspäten. Ein Offenbarungsgläubiger verhungert nicht so bald am langen Arm. Es erfordert seitens der Bewegung allein ein gutes Erwartungsmanagment aufgrund der stetigen Oszillation zwischen Vorfreude und Enttäuschung ihrer Anhänger.

Da findet dann erstaunliches Reaktanzverhalten statt (wie überhaupt der Trotz ein weiteres wesentliches Charakteristikum des Adepten darstellt: wenn man den Verschwörungsmythikern das Impfen, das sie ja in Bausch und Bogen ablehnen, demonstrativ verwehren würde, wäre der Aufschrei groß und sie würden umgehend geimpft werden wollen! Für sie ist alles eine reflexartige Umkehrung der Vorzeichen, um unbedingt antagonistisch zum System zu stehen, egal um welchen Preis). Aber weiter zur Reaktanz: als zB am späteren Abend des 6.1.2021 klar wurde, dass Trump nicht Präsident bleibt und kein Militärputsch stattfinden wird (und dies, nachdem die Adepten noch Stunden zuvor in den einschlägigen Chats mit schauriger Freude die Live-Lage bei Erstürmung des Kapitols gefeiert hatten), der die Lage noch irgendwie wendet, wurde direkt am neuen Narrativ gestrickt, dass das alles ja nur der Auftakt zum eigentlichen Umsturz gewesen sei. Habe ja keiner vorher behauptet, dass Trump sich direkt wieder zum Präsidenten krönen würde. Sei alles so geplant...''trust the plan'' ist nicht umsonst die Parole der Adepten. Trump könnte sich auch vor die Kameras stellen mit ausgestrecktem Mittelfinger und ''Fuck Q-Anon and the Proud Boys forever!'' sagen und seine Adepten würden immer noch einen tieferen Sendungsauftrag darin erkennen wollen.

Bloß, welcher Plan? Damit sind wir beim nächsten essentiellen Charakteristikum des Verschwörungsadepten angelangt: seine maximale Ratlosigkeit bei gleichzeitig ostentativer Zurschaustellung vermeintlicher Gewissheit in Bezug auf die Weltlage. In den Tagen nach den Geschehnissen des 6.1. zB konnte man auf den Verschwörungsforen in Echtzeit Zeuge davon werden, wie viele der Adepten in die Runde fragten, was denn nun los sei, nachdem der Putsch und die avisierten Militärtribunale nicht stattgefunden hätten. Mutigere Kritiker fragten sich, ob Trump wohl doch nicht so mächtig sei oder drohten gar, von ihm abzufallen. Dann passierte im Narrativ der Verschwörungsmystiker etwas sehr Spannendes: das Gewebe ihrer Lügenmärchen wurde in Echtzeit neu gestrickt. Plötzlich erklärte man sich untereinander, das alles sei ja nur ein Spektakel gewesen, um die ''Schäfchen'' zu ärgern und aufzuwühlen, das sei ja alles geplante Desinformation seitens der Verschwörer, um das Establishment noch weiter zu verunsichern. Plötzlich konnten sich alle ängstlicheren unter den Adepten wieder hervortrauen und sich wechselseitig versichernd auf die Schultern klopfen und die digitalen Daumen heben als Claqeure der neuerfundenen Geschichte: ''Liegt doch alles im Plan. Es wäre doch jetzt noch zu früh, zuzuschlagen. Trump hat den Plan. Wir werden bald mehr wissen!'' (Dazu mehr in meinem nächsten Text).

Aber es ist dies nun einmal das Problem aller chiliastischer Sekten, zumal wenn ihre Anhänger in Zeiten digital maximal beschleunigter Ungeduld leben, die nicht mehr in Jahrtausenden rechnet, sondern in Millisekunden Belohnungshormone erwartet: ''Wait and see!'' ist im Zeitalter der digitalen Hysterie kein attraktives Motto für die Gesamtheit der Adepten mehr. Jede Enttäuschung in der Zeit stellt die Geduld vieler Anhänger einer Sekte mehr und mehr auf die Probe und es droht die Apostasis des einzelnen Adepten, sein Abfall vom Glauben. Und wenn Sekten eines hassen, dann sind es Apostaten.

Halten wir für den Moment ein kleines vorläufiges Psychogramm des Adepten fest: der Anhänger der Verschwörungsmythen ist überfordert von der Komplexität der wie in Myriaden von Facetten zerschlagenen Welt. Diese Überforderung erzeugt Unsicherheit, die ihn nach einiger derart überwältigt, dass er große Angst empfindet. Der Adept empfindet die Zusammenhänge als Machinationen einiger ihm übel mitspielen wollender Mächte und sucht nach Gleichgesinnten dieser Meinung, da Gemeinschaft in der Verwirrung im Zweifel Trost spendet. Die Gleichgesinnten sind gemeinsam dazu bereit, die moderne Welt als ein konstruiertes Lügengefüge aufzufassen. Sie sind ebenso dazu bereit, in einer wahnwitzigen ''reductio ad absurdum'' des Verstandes die Komplexität der Zusammenhänge herunterzubrechen auf die einfachsten ''Wahrheiten''. Fortan herrscht in ihrem Denken und in ihrem Blick auf die Welt nicht so sehr der Verstand als vielmehr der Instinkt als Reflex, der nicht bis zur Vernunft vorzudringen vermag. Der Aberwitz feiert einen heiligen Kult unter den Adepten.

Das oben beschriebene direkte Umschreiben der Deutungsnarrative am Beispiel des 6.1. hat natürlich einen leicht nachvollziehbaren Grund: die Adepten müssen bei Laune gehalten werden, denn Zweifel ist der absolute Gottseibeiuns der Verschwörungspraktiker. Gerade die neu entstanden verschwörungsmythischen Bewegungen benötigen den unbeirrbaren Glauben ihrer Adepten: der größtmögliche Verblendungszusammenhang aller muss erhalten werden. Dabei ist das theoretische Gebäude der Verschwörungsmythologen so fragil wie ein sandiger Ameisenhaufen auf der Wiese und daher müssen die Adepten auch ebenso schnell wie Ameisen in Aktion treten, sobald die Außenwelt einbricht (''Die Realität hat wieder zugeschlagen!'') und ihr Gehäuse zerstört: schon müssen sie emsig und unmittelbar neu daran wirken und aufbauen. Dass ja keiner der vorübergehend Unbehausten in der Zeit des Rekonfigurierens zum Nachdenken kommt und abfällig wird. Davor schützt aber ein wesentlicher, glücklicher Umstand die Bewegungen: ihre einzelnen Adepten lassen nicht gern ab vom Kultus des Aberwitzes, da das Eingeständnis ihres Irrlaufes dem Eingeständnis einer Lebenslüge gleich käme. Das aber will man sich doch nicht ernsthaft vorwerfen müssen (wo man doch als Verschwörungspraktiker ohnehin alles unheimlich ernst und hart auffasst), in all der verlorenen Zeit an einer Lebenslüge gestrickt zu haben.

Etwas weiter gefasst, könnte man auch behaupten, dass der Glaube an Verschwörungstheorien eine Umkehr der Aufklärungssituation bedeutet: Immanuel Kants ''Sapere aude!'' (''Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!''), wird zum ''Sapere non aude''. Bediene dich nicht deines eigenen Verstandes, begib dich direkt dorthin. An die Quelle(n) der bereitschaftsfreudig Gutgläubigen, die sich als die größten Skeptiker wähnen. Zugleich weisen sie eine große Ungeduld gegenüber der Zeit auf, die es eigentlich benötigen würde, sich nach eingehender Beobachtung einer Situation und kritischem Abwägen auf den gewöhnlichen Effekt zu verlassen, dass der Erkenntnisprozess schon einsetzen wird und man dann die Dinge besser durchschaut. Stattdessen wählt man als Adept lieber die direkte, instinktive Einordnung und fällt unter dem Druck der prä-emptiven Paranoia, damit man keine Unsicherheit empfindet, ein missgünstiges und ungeduldiges (Vor-) Urteil gegenüber den Verhältnissen. Der Kausalzwang ist dabei obligatorisch, alle Dinge, Phänomene, Ereignisse und Reize müssen einen zwingenden Kausalnexus bilden und in diesem Sinne Erklärbärhaftigkeit (sic) erlangen.

Ein weiteres Kennzeichen des Adepten eines Verschwörungsmythos ist sein konstanter Informationsstress. Dies meint nicht nur, dass er durch den Hyperkonsum von Informationen und Nachrichten dauergestresst ist, sondern auch ständig sich Nachrichten und Informationen zuführen muss (hierin wieder ganz Paranoiker), um mit den Verhältnissen und Machinationen auf Augenhöhe zu bleiben und bloß nicht überwältigt zu werden, nur weil einem einmal eine Information entgangen ist. Hier entsteht ein veritabler Teufelskreis: um keine Angst haben zu müssen, dass ihm eine Information entgeht, konsumiert der Adept Nachricht auf Nachricht. Dies wiederum zerschießt sein datenüberfrachtetes hysterisch-paranoides Hirn komplett, er empfindet Angst, sodass er wieder auf Informationen zurückgreifen muss, um die Verhältnisse vermeintlich noch besser zu durchdringen. Auf einschlägigen Foren findet der Adept Zugang zu barrierefreien Informationen, zu deren ''Einordnung'' nicht weiter viel IQ erforderlich ist. Man denkt ihm vor und er konsumiert (Aus-) Gedachtes. Seine eigenen Ruminationen darüber kann er dann selbst, s.o, wieder in den ohnehin schon informationsverstopften Raum sozialer Netzwerke einbringen und fördert somit weitere Konfusion, die es doch eigentlich zu bewältigen galt.

Der Verschwörungsadept lebt also fortwährend in einer Melange aus Angst, Zweifel, Wut, Irritation und Ratlosigkeit. Der ständige Infostress trägt nicht zur Beruhigung seines Seelenhaushaltes bei: kaum durch verschwörungsmythische Texte ausgerichtet, findet sich in der realen Welt direkt wieder ein Widerspruch zu seiner Lebenslüge, die er deuten muss oder gedeutet haben möchte. Die Abhängigkeit von diesen Informationen wächst. Damit einem die Abstrusität der meisten dieser lügenhaften Schauermärchen nicht allzu sehr auffällt, muss man sich in der Gruppe bewegen, dann wirkt alles gleich plausibler. Bloß jetzt in dieser Filterblase bleiben und sich abschotten gegen alle Aufklärungsversuche aus der ''normalen'' Welt der Mitläufer. An dieser Stelle setzt das Sektenverhalten ein. So ist das Einschlagen in die große Kurve hin zur Welt der Verschwörungsmythen für den einzelnen auch eine große Wette auf die Belastbarkeit des eigenen Verstandes unter höchstem Einsatz, nämlich dem möglichen Verlust seines gesunden Menschenverstandes.

Insgesamt also lässt sich feststellen, dass die neuen plattformbasierten Verschwörungstheorien auf einer Kombination aus führenden Distributoren und ihren teils ebenso sendungsbewussten Adepten beruhen. Was nun die Unterscheidung zwischen den Hauptdistributoren und den eher rezipierenden Adepten der Verschwörungsmythen betrifft, so fällt einem beim Aufenthalt auf den einschlägigen Foren der Q-Anon-Anhänger auf, dass die Hauptdistributoren sich zugleich auch als Translatoren verstehen, die der ahnungslosen und oft der englischen Sprache nicht mächtigen ''Menge'' ihrer Adepten oft völlig kritikfrei aus den amerikanischen Chat-Foren der Q's übernommene Links posten und im Zweifel übersetzen (mit dem Google-Translator, was oftmals für extrem schiefe Übersetzungen und weiterer Verwirrung aller führt). Dadurch stellt sich bei den Hauptdistributoren ein spürbarer Dünkel ggüber den konventionellen Adepten ein. Viele der Distributoren sonnen sich in ihrem vermeintlichen Privilegstatus und deuten ihren Anhängern die Zusammenhänge auf Nachfrage gern und mit gönnerhaft herablassender Geste im Sinne der Verschwörungs-Exegese nach Q aus. Sie erreichen dabei übrigens nie intellektuelles Niveau, sondern ihre Ausführungen sind teils eklektische Belehrungen in Richtung ihrer Adepten, teils simpelste und sich selbst widersprechende Meinungen, dazu immer vorgetragen (ich beziehe mich hier auf ihre Podcasts) unter merklicher Überforderung bei komplexeren Themen, fälschlich angewandten Fremdwörtern, an denen man sich schnell verhebt und sehr häufigem Einlaufen ihrer nicht allzu belastbaren Eloquenz in rhetorische Sackgassen, wirklich oft wörtlich: ''Ehm, was wollte ich jetzt eigentlich gerade sagen damit?''. Suchen Sie einmal im Telegram-Chat als exemplum commune den User-Namen ''Yggdrasoul''. (Das haben Sie jetzt aber nicht von mir.) Immer klingen die Texte und Podcasts der Distributoren so, als erlebe der jeweilige Autor einen erheblichen 'struggle' mit dem, was er mitteilen will. Der fortwährende Widerspruch in den Äußerungen solcher Distributoren, der Migräne verursachen kann vor lauter Fremdschämen, ist übrigens keine sich ihrer selbst bewusste Ironie, sondern simple und authentische Dummheit.

Die Proselytenmacherei dieser Gruppen fokussiert ihre Bemühungen auf unsichere und überforderte Zeitgenossen, die in ihrer Angst und Hilflosigkeit gegenüber den Vorgängen ''im System'' eine Wut empfinden, von der sie nicht wissen, wohin mit ihr. Die Adepten sind meist gutgläubig und ihnen reicht ein alternatives Weltvorgabe-Angebot, solange es sie nur aus dem Empfinden ihrer Widersprüche reißt. Sie rekrutieren sich vorwiegend aus den vom System Enttäuschten, die keine Lust oder Energie mehr verspüren, noch weiter für das System zu wirken. Sie wollen dessen Sturz um jeden Preis. Die neoliberale Demokratiefacette der Gegenwart reicht ihnen nicht mehr und bis hierhin weisen sie eventuell noch merkliche Schnittmengen mit genuin linker Systemkritik auf. Sie differieren aber in ihren Zielen: das System, dass die Verschwöungsmystiker anstreben, läuft fast notwendig auf ein faschistisches System hinaus, ohne dass sie dies wirklich absehen können (hierzu wie oben erwähnt en detail mehr in meinem bald folgenden Beitrag zu den Verschwörungsgruppen und ihrer beängstigenden Relevanz in den USA). Wer u.v.a. Bill Gates und George Soros für Teufel erachtet, die die Welt in einer obskuren Agenda famos supermächtig regieren und lenken, kann unmöglich nicht Antisemit sein. Von da aus führt immer eine Spur zum Weltjudentum, oft wird ja auch das Fabrikat der sog. ''Protokolle der Weisen von Zion'' bemüht. So sehr diese Gruppen auch den Wert des gemeinsamen Gespräches wie in den revolutionären Formationszeiten der Ur-Demokratien betonen, so sehr zeigt sich aber auch, dass dieses große Gespräch, das von so auffällig vielen der Adepten ausgelobte deliberativ-kommunikative Modell nach dem angestrebten Systemsturz, nie stattfinden wird.

Die Verschwörungszirkel sind nämlich selbst Meister der Cancel Culture in Bezug auf Meinungsfreiheit. Der Autor dieser Zeilen hat bei der langen Recherche für diesen und die nachfolgenden Texte zum Thema sich anfangs nicht immer enthalten können, die Chat-Verläufe nur stumm zu verfolgen. Mitunter musste ich auch widersprechen, nicht zuletzt um zu verstehen, wie sich die Gruppen einer Gegenstimme erwehren. Aber statt eines Dialoges wird man direkt zensiert und aus dem Chat geworfen, wenn man widerspricht. Der leiseste zum Ausdruck gebrachte Zweifel an Trumps Kampf gegen jüdische Space-Laser aus dem All (es tut mir leid: sic!) zB reicht da schon. Man kann sich ausmalen, wie frei die Meinungsäußerung, welche die Verschwörungsadepten in Deutschland doch für so eingeschränkt erachten, derweil sie ihre Meinungen doch frei, laut und ungezügelt herausposaunen dürfen, sein wird, wenn solche Gruppen am Ruder des Staates wären: kritische Stimmen würden direkt zensiert und im Zweifel physisch nachhaltig und ungeprüft zum Schweigen gebracht. Ich erinnere noch einmal an die herbeiphantasierten Militärtribunale. Man liest auch neben all dem esoterischen ''Fangt einfach an zu lieben!'' auf diesen Blogs und Chat-Foren parallel immer die blutrünstigsten und infamsten Kommentare. Teils von Leuten, die 2 Minuten zuvor noch von der ''universalen Liebe'' und ''grenzenloser Empathie'' schrieben und dazu Blumenwiesen im Sonnenschein posteten.

(Nebenher gesprochen: Dass viele der Adepten sich selbst als ''Reichsbürger'' wähnen oder sich für das Konzept erwärmen können und tatsächlich eine Kaiser-Monarchie herbeisehnen aus historisch spitzfindigen und im übrigen gänzlich irrelevanten Gründen, verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass eine solche erratische Menge aus von jeder Logik verlassenen Chaoten, sollte sie je die Regierung stellen, natürlich gar nicht anders kann als regiert werden zu wollen: anders bekommt ein solcher Haufen sich selbst gar nicht unter Kontrolle. Diese Menschen trainieren für das perfekte Untertanentum in ihrer Leicht- und Autoritätengläubigkeit, sei es, wie es ihren nostalgisch-romantischen Vorstellungen entspricht, als die braven Bürger einer Monarchie oder die aus nützlichen Idioten zusammengesetzte Disponiermasse eines totalitären Autokraten).

Es sind also all dies Studien in Ruchlosigkeit, bei denen einem die ganze Infamie kollektiv-schizophrener Paranoiker entgegenschlägt. Man kann auf Dauer selbst mit der stärksten Psyche in diesem Meer an schmerzender Dummheit und nicht zu Ende und gegen jeden Sinn verdreht gedachter ''Konzepte'' kaum bestehen, ohne nachhaltigen Schaden am gesunden Menschenverstand zu nehmen. Bewegte ich mich täglich eine Stunde in den Chats, kam es mir vor, als fange mein Geist nach einiger Zeit selbst schon an zu schmilzen (ich kann es beim besten Willen nicht anders beschreiben). Das Algorithmennetz meines Rechners war durch die ständigen Rechercheschlagwörter auch schon komplett verändert und so wurden all meine ''Empfehlungen'' auf sämtlichen Websites, ob Google, youtube und überhaupt die ''ad banner'' am Bildschirmrand immer totalitärer, als hätte ich den Rechner eines klammheimlichen Nazis in Beschlag genommen. Die Beschäftigung mit diesem Thema macht etwas Finsteres mit einem, wenn man nicht absolut kritisch bleibt und die Klinge der kühlen Vernunft schärft, indem man zB abends zum Ausgleich Aristoteles, die Dialoge Platons, John Locke, Kant, Descartes, Kierkegaard,ä Marx, einen guten Roman, etc liest und sich auch vom Digitalen abschottet auf einige Zeit.

Die Verdrehung der Tatsachen, diese von den Intellektuellen der späten römischen Republik und zuvor auch schon im antiken Griechenland der Klassik so gefürchtete ''confutatio notionis'', das fact twisting, also a) zu behaupten, wenn b) der Fall ist, stellt die größte Gefahr dar für das, was wir immer noch Demokratie nennen wollen. Die Verabredung zum kollektiven Verzicht auf den Zweifel und die Evidenz und stattdessen die Implementation der offenen großen Lüge, sind die größte politische Gefahr für das demokratische Gemeinwesen der Gegenwart. Die Verschwörungsbewegungen finden immer bewusster zu sich selbst und können so auch (mehr oder weniger) organisierte (wenngleich ausnehmende dumme) PR betreiben und werden darüberhinaus noch durch politische etablierte Parteien wie die der Republikaner in den USA geadelt werden. Sie suhlen sich bereits stolz in der ihnen zugesprochenen Bedeutung ihrer Seismographen-Funktion für die Gesellschaft. Hier hat sich eine degoutante Nähe zwischen dem meinungsstarken Pöbel und originär konservativen Strömungen entwickelt und sich sodann selbige zu einer Faschismus vorbereitenden Melange verbunden, die das zB das politische Klima in den USA im kommenden Jahrzehnt prägen und globale Krisen der Demokratien hervorrufen wird. Man könnte hier fast von einer globalen Pandemie der politischen Dummheit sprechen (auch dazu mehr im bald folgenden Text).

Insgesamt lässt sich also festhalten, dass die modernen Verschwörungszirkel, deren berüchtigstes Beispiel wohl die Q-Anon-Bewegung sein dürfte, von der einstmaligen Verschwörungstheorie übergegangen sind zur Verschwörungspraxis. Zwar werfen sie der Politik und den Medien eine Verschwörung gegen die ''freien Bürger'' vor, zugleich jedoch sind sie es, die sich stillschweigend (allerdings noch sehr passiv) auf einen Umsturz einstellen und ihn herbeisehnen. Der 6.1.2021 in Washington war ein Tag der Verschwörungspraxis solcher Verschwörungs''theoretiker''. Hier liegt die Gefahr für die Demokratie: dieser Tag sollte einer wehrhaften Demokratie der Beweis dafür sein, dass man die Spinner nicht durch eine wegwerfende Handgeste abwinken oder gänzlich ignorieren sollte. Wenn sie beobachtet werden, werden die Adepten schnell unsicher. Greift man sich übrigens einen jeweils einzelnen Adepten und nimmt ihn sich durch gezieltes Nachfragen in Bezug auf seine konkreten! Ziele hin vor, so erweist sich die Gallertartigkeit der Bewegung (Q wie Qualle) : der einzelne Adept äußert sich auf präzise Nachfragen gern mit der Strategie ''Pudding'': erst wird er einen nach der Email-Adresse fragen, damit er Links versenden kann aus seinen arkanen Quellen. Wenn man dem Adepten weiter auf den Zahn fühlt und darauf drängt, die Links nicht haben zu wollen, sondern eine konkret-verbindliche Aussage des Adepten selbst, so fällt dieser oft auf so Aussagen zurück wie: ''Ja, so ganz genau weiß ich das jetzt auch nicht. Aber die anderen haben da schon ihre Vorstellungen und können dir das besser erklären. Ich sag ja auch nicht, dass ich das 1:1 so sehe, aber...''

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''Der besseren Erkenntnis nicht folgen bedeutet Krankheit.''

Aus dem Daodejing des Lao-Tzu

Das Beste, was man im Kampf gegen diese Gruppen machen kann ist, einerseits auf die Realität zu bauen und fest zu bleiben nach den Prinzipien der Ratio und des pragmatischen Verstandes. Die Verschwörungsgruppen lechzen danach, das einheitlich-rationale Weltbild zu korrumpieren und jedes Weltverständnis des ''normalen'' Menschen umzukrempeln und zu gaslighten. Sie wollen ein maximales erkenntnistheoretisches Chaos stiften und so die Abrissbirne anlegen zur Zerstörung konsensueller Diskurse und der gesunden diskursiven Ratio der Bürger einer Demokratie.

Egal in welchen ostentativ-hochmütigen Gestus der Souveränität sie dabei auch verfallen: sie selbst nehmen vor allen Dingen einmal geistigen Schaden an ihrer eigenen Verdrehung der Begebenheiten und der Wahrheit. Umso mehr möge dem Menschen, dessen Verstand noch leidlich gesund geblieben ist, die einfache Maxime des René Descartes gelten: ''De omnibus dubitandum est.'', dass man also an allem zweifeln möge. Aber nicht so, dass man endet wie ein schizoider Adept und am Ende gar nichts mehr glauben mag und nur noch frei dreht, sondern so, dass man irgendwann gerade aus diesem legendären methodischen Zweifel Gewissheit erlangen kann, die auf festem Fundament steht. Wer allerdings glaubt, dass er nach der Impfung gegen Corona und paralleler Implantation eines Mikrochips unter die Haut durch die Impf-Injektion bloß noch ein astraler Denkvorgang im Hirn des Bill Gates sein wird, dem ist womöglich auch durch methodischen Zweifel nicht mehr zu helfen.

Texte wie dieser müssen sein, selbst wenn die Q-Verschwörer sich vernehmlich freuen in ihren Podcast und Chat-Gruppen über all die plötzliche Aufmerksamkeit ''in den Mainstream-Medien''. Die extreme Zugangs-Barrierefreiheit dieser Gemeinschaft sorgt dafür, dass jemand, der der ''Bewegung'' erst seit wenigen Tagen angehört und bis vor 2 Wochen noch gar nichts von Q-Anon gehört hatte, sich jetzt schon fühlt, wie ein Urgestein dieser Sekte und fröhlich kundtut, wie sehr es ihm Wohlbehagen bereitet, dass das ''Establishment und der ganze deep state'' die Verschwörungsirrenden nun endlich wahrnimmt. Und er hat ja recht, man nimmt sie jetzt auch wahr, aber wohl so, wie man die Leute wahrnimmt, die einem in den Hausflur scheißen, während der gesamte Hausflur schon in Flammen steht.

Denn der Hausflur der Demokratie steht in Flammen. Am Beispiel des Fanals des 6.1. 2021 in Washington, DC und seiner ausbleibenden konsequenten Aufarbeitung erweist sich, wie all die Zündeleien und verschwörungspraktischen Bestrebungen amerikanischer Right-Wing-Gruppierungen, der Q-Anon-Bewegung und krawallsüchtiger Mini-Milizen wie den Proud Boys und den Oath Keepers, diese allesamt geadelt worden sind, indem die Partei der Republikaner in ihrer diffusen Angst und Ratlosigkeit vor dem Potential der Trump-Wähler ihren Götzen gerade nicht im Impeachment abstraft, sondern vielmehr derzeit alles daran setzt, ihn erneut als Präsidentschaftskandidaten für 2024 zu lancieren. So erfolgt der nicht einmal mehr sonderlich leise Umsturz einer einst festgefügt geglaubten Demokratie, die sich als Leuchtturm der freien Welt verstand. Weil wiederum diese semi-arkanen Gruppen nun ausgerechnet den einen Autokraten bloß mimenden Hanswurst Donald Trump zu ihrer Erweckerfigur auserwählt haben, wird das Land und im Grunde die Welt diese Chimäre eines politischen Laiendarstellers so bald nicht mehr los. Ebenso wie den rechtskonservativ-militaristischen Vertretern der frühen Weimarer Republik die Dolchstoßlegende als politische Zwecklüge diente, lanciert das Trump-Lager der US-amerikanischen Gegenwart die ''election fraud'', also die Schauermär von der gestohlenen Wahl, als großes Lügennarrativ: ''The Big Lie''. Warum aber Trump nur die Transitfigur eines zu antizipierenden amerikanischen Faschismus darstellt und welcher viel brutalere Politikertypus ihm folgen wird, dazu lesen Sie an dieser Stelle zum WE des 6./7.3. 2021...

...nächstens mehr.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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