Die simulierte Option

Kontrollgesellschaft Das Menschenbild steht zum Ausverkauf durch die sich vom Menschen abkoppelnde Evolution einer Technik, die uns überwacht, verführt und zu ratlosen Ameisen macht

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''Für jeden demokratisch gesinnten Kritiker ist ''Technologie'' längst ein entpolitisierter Euphemismus für das neoliberale Regime selbst. Technologie heute anzugreifen, heißt nicht, die Aufklärung, sondern den Neoliberalismus anzugreifen...''

Evgeny Morozov, ''Der wahre Geist in der Maschine'', SZ vom 10.10.2013, S.11

Es sollte nicht zum Grundzug eines gesunden Menschenbildes gehören, ein Verständnis bzw Konzept des Menschen zu präsentieren, das diesen vor sich selbst hertreibt wie eine erratische ratlose Ameise und ihn zum willfährigen Schergen eines Götzendienstes am Profit erklärt.

Eine solche Kritik am fehlenden bis fehldefinierten Menschenbild der Gegenwart wird nicht einfach philosophisches Problem bleiben, sondern ist in ihrem wesentlichen Kern die Essenz der Probleme der Politik, ganz sicher gleichfalls der Alltagswelt von ''morgen''. Eine Gesellschaft von mehr oder weniger gut unterhaltenen Bürgern wird darauf konditioniert, die Bedingungen ihrer eigenen Ausbeutung und Inanspruchnahme für den Profit nicht nur zu akzeptieren, sondern selbst lautstark zu fordern und zu fördern. Die Teilhabe an der abstrakten Größe ''Profit'' wird zur simulierten Option der Bereicherung des Individuums.

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Es gibt keinen Humanismus mehr. Der Mensch wird ersetzt durch eine mathematisch berechenbare Variable. Die Definition dieser Variable auf ein Optimum hin, ist im Sinne systemischer Überwachung als auch in Hinblick auf die ökonomische Perfektionierung des Menschen absolut. Der Mensch soll nicht frei sein, sondern konsumieren koennen/muessen. Die Bestimmung des Menschen in seiner Funktion als Variable ist eine gelenkte...derart wird der Mensch gelenkt in seinem Verhalten und seiner Ausrichtung des Lebens: dies ist die Zurichtung des Bürgers (man mag alternativ von ''Abrichtung'' sprechen) durch den politisch-wirtschaftlichen ''Trust'' oder das ''neoliberale Regime''.

Die technischen Dystopien und misanthropischen science-fiction-plots des 20. Jahrhunderts haben diese Prozesse weniger prophezeit als vielmehr generiert. Es muss vielen Geheimdienstlern schon vor Jahrzehnten gefallen haben, von allwissenden ''Maschinen'' in einem System zu lesen, dass die Menschen nicht nur permanent überwacht und ihr Verhalten durchleuchtet, sondern sie sogar dazu bringt, sich unter dem Rubrum der ''Sicherheit'' freiwillig ueberwachen ZU LASSEN. Doch es gab diese Maschine noch nicht und visionäre Geheimdienstler konnten ahnen, dass eines Tages ''der Computer'' diese panoptische ''Maschine'' darstellen würde.

Man darf dabei nicht den Fehler machen, den politisch-wirtschaftlichen Trust der digitalen Neuzeit als intellektuell überbordend maechtige Kraft zu sehen, die visionär-antizipativ ihre Ziele vorantreibt, den Menschen zu bestimmen und zu kalkulieren. Viele der Aspekte des digitalen Überwachungsstaates, wie er derzeit entsteht, tragen eher den arbiträren Charakter eines angewandten ''Aha-Effektes'' oder besser ausgedrückt: der Trust zieht sein Potenzial der Herrschaftssicherung vor allem aus Aspekten des Kollateralnutzens. Ihm ist z.B. aufgefallen, dass die Menschen sich im Internet gern exhibitionistisch verhalten und ihr Privatleben zurückstellen? ''Dann lass uns mal schauen, was sie von sich preisgeben...und ihr Verhalten entsprechend konditionieren.''

Dem Trust ist aufgefallen, dass die Menschen gern nach einem bestimmten Muster kaufen? ''Dann lass uns dieses Muster verstärken und die Konsumenten auf dieses Muster konditionieren!'' Und soweiter. Kurz gefasst: am Anfang stehen immer die vorgegebenen Fakten und die Beobachtung anwendungstechnischer Tendenzen im Netz, erst dann nutzt der politisch-wirtschaftliche Trust aktiv die Möglichkeit, den Bürger nach mathematischen Mustern, die seine Berechenbarkeit möglich machen oder ausnutzen, auszuspähen und ihn auszurichten. So jedenfalls hat es sich bisher verhalten.

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Ich habe das Zeitalter eines absoluten Kapitalismus, der in einem wie selbstverstaendlichen Zusammengreifen und Zusammenagieren von Politik und Wirtschaft begründet liegt und sich selbst zum alternativlosen Weltbild erklärt, das Zeitalter des Hyperium genannt. Dieser Begriff wird eingeführt, um das Phänomen einer nach Marketing- und Marktgesetzen erfolgenden nachhaltigen und absoluten Ökonomisierung unseres Zeitalters und unseres Menschenbildes als auch der Digitalisierung unseres Lebens zu diesem Zwecke beschreiben zu koennen. Die Digitalisierung erweitert das Handlungs- und Betätigungsfeld des Marktes bis in unser Denken hinein. Die DNA der Gesellschaft soll Markt werden, der Geist soll Markt werden (also abgeschafft), jede Handlung soll markttechnisch anschlussfähig werden, alles soll nachvollziehbar und marktwirtschaftlich nutzbar sein. Der Mensch soll berechenbare Variable einer jeglichen Markthandlung werden. Es gilt, die Freiheit des Menschen auf ein Minimum zu reduzieren...der kontrollierte Mensch ist der Zombie des klassischen Humanismus, ein Abgesang auf das hohe Lied vom edlen Menschen. Der kontrollierte Mensch strebt allein noch zum Objekt (einer Begierde/eines Strebens), will sich selbst aber nicht mehr als Subjekt seiner eigenen Ziele und Zwecke begreifen. Das menschliche Bewusstsein wird marktwirtschaftlich anschlussfähig gemacht, der Mensch zum ''homo adaptans'', der sich den ökonomischen Zwängen notwendig so extrem anzupassen hat, dass sein Denken und seine Vorstellungskraft allein auf Markt und Profit zugeschnitten werden. Der Mensch soll sich seiner selbst unbewusster werden.

(Wie bereits in einem meiner letzten Beiträge beschrieben:

https://www.freitag.de/autoren/paul-duroy/agenten-des-glueckes-anderer

...stellt der Profit die treibende Kraft eines Menschenbildes des 21. Jahrhunderts dar. Anders gesagt: ein solches ''Menschenbild' ist keines. Intelligenz für sich genommen ist eine gleichgültige und berechnende Größe, die keinen spezifischen Auftrag zur Beförderung der Verhältnisse des Menschen zum Besseren hat. Wenn die Intelligenz (definiert als eine Daten und Informationen effizient berechnende und einordnende Größe) sich in der ''Maschine'' (der digitalen Welt) besser implementiert findet, als wie bisher im menschlichen Gehirn, wird sie ''blindlings'' in die ''Maschine'' wandern und von dort aus auf den Menschen wirken und rückwirken und ihn bestimmen. Eine solche Bestimmung des Menschen durch eine externalisierte Intelligenz überschreitet den Menschen und das Verständnis seiner selbst. Was das bedeutet, verstehen wir derzeit nicht einmal ansatzweise, haben nicht einmal einen Begriff dafür. Lassen Sie uns auch das anders ausdrücken: die künstliche, nicht-humane und daher auch nicht-humanistische Intelligenz wächst heran...sie berechnet den Menschen nach dem Kalkül des Profits und der Effizienz nach Kriterien, die absolut sind und nicht relativiert werden können/sollen. Der Mensch erleidet den Kontrollverlust sowohl über sich selbst als auch die Technik, die ihn zu beherrschen beginnt...die Technik und ihre Gesetze wenden, noch dieser Tatsache unbewusst, ihre Maschinenlogik, letztlich die Gesetze angewandter Mathematik, auf den Menschen an. Die Reduktion der menschlichen Freiheit durch die ''Maschinen'' ist DAS Signum des technoiden Zeitalter im Hyperium. Menschliche Freiheit kann daher allein noch definiert werden als ''simulierte Option''. )

Derart wird der Mensch in seinem eigenen Verständnis seiner selbst prekär. Die anonymisierte soziale Zuwendung z.B., klassische Elemente einer Wohlfahrt, die in einer Gesellschaft für sozialen Ausgleich von Spannungen sorgen, werden für gestrig und falsch befunden und dem menschlichen Denken abtrainiert. Der Mensch soll angeblich an sich allein als zu versorgendes Individuum denken, an seinen Profit, sein Wohlergehen und effizient sein. Dies ist der Imperativ des Hyperiums: sei effizient! Dabei wird jeder Mit-Menschlichkeit von vornherein das Wasser abgegraben. So endet der Mensch als isoliertes Element und als auffindbare Variable im System, lenk- und kontrollierbar. Da dieses ''System'' effizient ist, wirkt es ungleich stärker als jede kanonisierte Religion auf die Gesellschaft ein: faktisch überlegene Wirkmacht kommt, sieht und siegt. Jede Kritik daran würde närrisch wirken, da eine effiziente Kraft immer die Selbstverständlichkeit und Legitimationsfreiheit einer Naturgewalt bei sich trägt: wie sollte man darauf Einfluss nehmen koennen und warum sollte man es überhaupt wollen? Warum sollte man ein solches effizientes und absolut wirkendes System in seiner Wirkkraft und Entwicklung unterbrechen wollen?

Alles wirkt smart oder wird uns vom Trust als smart verkauft...zu jedem aufgeworfenen Problem gibt es immer auch schon eine Lösung. Uns werden bei alledem Probleme aufgedrängt, die wir bisher nie als solche erkannt hatten. Diesen uns noch unbekannten Problemen folgt der Verkauf von Lösungen für diese Probleme. Da wir zuvor vom Problem nicht wussten, sind wir von der aufgedrängten Lösung desselben so konsterniert, dass die Lösung selbst wiederum zum Problem wird. Für welches es jetzt aber keine Lösung gibt. Aktuelles Beispiel: wir werden zB vom Staat überwacht, damit wir, dies das vorgeschlagene Problem, nicht von Terroristen bedrängt werden. Die Lösung, die man uns also dagegen 'verkauft', ist unsere totale digitale Überwachung. Diese aufgedrängte Lösung aber muss notwendig zum eigentlichen Problem ausschlagen...

Die Zurüstung gegen den Drang des neoliberalen Regimes auf unsere Zurichtung und total-ökonomische Dressur wird sein, paradox zu leben...wohlgemerkt stellt dies Leben im Paradox nur eine Zurüstung dar, keine Lösung...aber darüber nächstens mehr...auch kann ich dem Leser das Warten nicht abnehmen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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