Ein Papst als Privatier

Amtsmüdigkeit Eine historisierende Betrachtung über die Angst mächtiger Männer vor Fehlern aus Müdigkeit

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''Vati kan(n) nicht mehr'', titelte ein deutsches Boulevardblatt vor einigen Tagen zum Papst-Rücktritt und hat anscheinend recht: der Bischof der Stadt Rom und Stellvertreter Christi auf Erden macht Feierabend, haut in den Sack und läßt schön grüßen: ''Ich bin dann mal weg.''

Aber anders als beim Bundespräsidenten oder einem CEO, dem Manager eines Fußballclubs oder dem ein oder andere Bundeskabinettsminister kommt so einem Papst-Rücktritt kaum ein simples zur Kenntnis nehmendes Schulterzucken des Publikums zu. Die Päpste sterben in ihrem Amt, so kennen wir das. Die metaphysisch mitgedachte Tiefe und gravitätische Bedeutung des Amtes des Stellvertreter Christi auf Erden, schließt den Tod in Amt (und zumindest idealerweise: Würden) ein. Was ausgewählte nordafrikanische oder nahöstliche Diktatoren hinbekommen, sollte auch dem Oberhaupt der katholischen Kirche möglich sein.

Damit also befindet sich das Papsttum ab dem 1.3. 2013 auf Zeit wieder im Status der Sedisvakanz. Ein Wort, das uns in der nächsten Zeit wieder in allen Medien so oft erklärt werden wird, dass es uns zu den Ohren herauskommt. Aber apropos freier Stuhl:

Der Heilige Stuhl war eigentlich nicht so gedacht, dass zu Lebzeiten(!) eines amtierenden Papstes die Kardinäle im Konklave die ''Reise nach Jerusalem'' unter Verwendung des Heiligen Stuhles als Spielmobiliar praktizieren.

Der zukünftige Papst sollte zudem aus den Erfahrungen des amtierenden Papstes in Bezug auf die Kirchensprache Latein die Schlussfolgerung ziehen, dass man die Kardinäle im Konsistorium, wenn man sie zusammenruft, um sie zu überraschen, am besten nicht im Medium der lateinischen Sprache überrascht. Das Lateinische tut wunderbare Dienste, die sprachunkundigen und lateinmuffligen Kardinäle bei den sonstigen routinierten wöchentlichen Konsistorien einzuschläfern, nicht aber: überraschende breaking news zu vermitteln.
Die wenigsten Kardinäle haben live und direkt verstanden, was der Papst ihnen da verklickerte oder schlummerten zunächst in routinierter Seligkeit vor sich hin, bevor sie mitbekamen, dass die wenigen, die verstanden hatten, sich ungläubig ansahen, mit dem Kopf schüttelten und dann den anderen zuraunten, was man soeben verstanden hatte. Immerhin war für diesen Moment eine tot geglaubte Sprache sehr lebendig geworden, was im übrigen perfekt auf den Zombie-Status der Kirche zurückverweist.

Der Papst hat seinen Rückzug vom Amt sehr geschickt formuliert, im Original seiner lateinischen Mitteilung heißt es nach einigen einleitenden Phrasen zu Ratzingers Kraftlosigkeit in Zeiten sich immer schneller wandelnder Weltenläufe etwas weiter unten schlussfolgernd u.a. :

''sedes Petri vacet...'', der Sitz des Petrus ist (wieder) frei.

Ihm fehlte die Kraft. Wenn der Papst der Stellvertreter des Petrus auf Erden ist, der Felsen also (griechisch: 'petros'), auf dem Jesus seine Kirche bauen wollte, dann ist dieser Felsen ein Mühlstein auf dem Nacken jedes amtierenden Papstes der digitalen Neuzeit, die den Shitstorm kennt, Vatileaks und die omnipotente Transparenz, der sich auch der Vatikan nicht mehr entziehen kann, selbst in seinen dunkelsten arkanen Gängen nicht. Und dieser Mühlstein nun wog unserem Ratzinger zu schwer und er entschloss, sich in die Isolation zu begeben, sich zurückzuziehen und es nicht seinem Vorgänger Johannes Paul II gleichzutun und im Pontifikat in voller Robe und Mitra zu versiechen.

Starr ist er ohnehin schon geworden. Als der Autor dieser Zeilen am Aschermittwoch zufaellig im TV bei der Aschermittwochsliturgie im Petersdom hängenblieb, dachte er zunächst, er sehe bunte Bilder vom Karneval der Kulturen in Köln-Süd mit einem langsam vor sich hin dümpelndem Umzugswagen und einer Figur, die dem Papst glich, bevor er erkannte: es IST der Papst, der völlig leb- und reglos auf einem fahrbaren Podest von einer Achse des Domes zur nächsten befördert wird (falls Sie mögen, hier anzuschauen von Minute 10:41 bis ca. 15.00 oder wie lang auch immer Sie es durchzuhalten belieben) :

http://www.youtube.com/watch?v=0tuo_rCKj_0

Der Papst kann nicht mehr. Altersbedingter Burn-Out ist keine Werbung für die Rente mit 85 (wie sie die FDP demnächst vorschlagen wird). Und doch stellt sich die Frage: ''Darf der das?''

Wieviel Tiefe und Bedeutung nimmt es dem Amt, wenn ein Papst einfach schmeißt, weil er nicht mehr kann? Johannes Paul II hat das Siechtum seiner Parkinson-Krankheit im Amt zur Schau gestellt, hat die körperliche Schwäche und seinen eklatanten Verfall zu einer Stärke gewandelt, indem er das Pontifikat durchgehalten hat. Wenn der Ratzinger-Papst nun das überirdische Amt schmeißt, vermittelt er da nicht zugleich in dieser ''resignatio'' auch das Bild einer Kirche, die erschöpft und am Ende ist? Wenn jetzt schon ein Papst sich als Privatier aufs Altenteil begibt, der nur noch privatisieren und Buecher schreiben und spirituell meditieren will, dann ist das zwar einerseits sympathisch, im nachfassenden Reflektieren auf diese Amtsaufgabe jedoch bleibt das Unbehagen, dass da irgendetwas Bestaendiges verloren geht.

Benedikt XVI also bleibt ein abschließender Sendspruch der Art, wie ihn Johannes Paul II sehr kurz vor seinem Tod an die Gläubigen aussandte:

''Ich bin froh, seid ihr es auch!''

...definitiv verwehrt. Während der Spruch von den Lippen eines Sterbenden eine Art provisorischer Beschwichtigung der ins Trauern Geratenden bedeutet, der sagen soll: ''Weint nicht um mich, denn es geht mir doch gut.'', klaenge ein solcher Spruch von den Lippen Ratzingers nunmehr wie ein hipster-lässiges ''Kommt, lasst uns mal alle eine Runde entspannen.''...(das ist im Übrigen eine Botschaft, die von diesem Rücktritt ausgeht, die auch beim, wie sag ich es jetzt?, gemeinen Pöbel genau SO ankommt oder wie sonst erkläre ich mir, was ich vor zwei Tagen in der S-Bahn hörte, als ein Jugendlicher seinen Kollegen fragte, warum der Papst denn zurückgetreten sei und dieser antwortete:

''Alter, der Papst will mal chillen...'' )

Benedikt XVI beraubt durch seinen Rücktritt das Pontifikat seiner überzeitlich wirkenden Kraft und holt es endgültig ins Irdische heim. Vielleicht ist so wenigstens der Rücktritt DIE große Wirkung seiner Amtszeit, auf die alle zu seinen Amtszeiten vergeblich gewartet haben und die zwar den Papst auf Normalsterblichenmaß zurückschrumpft, aber die Kirche bodenständig macht. Der Papst bricht in dieser 'resignatio' zudem mit der Infallibilität der Päpste, er ist nicht länger unfehlbar und auch in seiner ''Abschiedserklärung'' heißt es auf Latein:

''...et veniam peto pro omnibus defectibus mei...'', also: 'ich erbitte um Vergebung für all meine Verfehlungen'...

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Nun begibt sich Benedikt also in die 'totale Isolation'', wie er das wörtlich mitgeteilt hat. Geplant ist ein mehrwöchiger Aufenthalt im Vatikan-Spa 'Castel Gandolfo'', danach wird er sich in ein Kloster zurückziehen und meditativen Studien nachgehen. Wenn also schon die Kirche in digitalen Zeiten nicht mehr opak und obskur bleiben kann, dann entzieht sich der Papst zumindest als unbeamtetes Individuum der Medienwelt und Omnitransparenz, indem er hinter Klostermauern das Leben des Eremiten anstrebt.

Der in den letzten Tagen in allen Medien inflationär ins Bild gerueckte Papst des Jahres 1294, Coelestin V, war der einzige Papst vor Benedikt, der in der 2000jährigen Geschichte des Pontifikates bereits zu Lebzeiten zurückgetreten war (oder eventuell 'zurückgetreten worden ist', diese Begrifflichkeit allerdings war damals noch nicht verfügbar). Dieser lebte bezeichnenderweise schon VOR seinem Pontifikat als Eremit.

Als dieser Coelestin V 1294 von Vornherein eher widerstrebend zum Papst gewählt wurde, beendete seine Papstwahl eine bereits als skandalös befundene 2-jährige Sedisvakanz. Die Ironie an der ganzen Sache: Coelestin hatte sich als briefeschreibender Eremit an die Kardinäle gewandt, nun doch endlich einen Papst zu wählen um des Heiles der gesamten Kirche willen und wurde dann, entweder zur Strafe für seinen trollig wirkenden Beschwerdebrief oder aus Verlegenheit (''Guck mal, da ist einer so engagiert, der kann vielleicht Papst'') zum Papst erklärt.

Abstrus erscheint zugleich, dass Coelestin V bereits nach einigen Monaten so einen Hals auf das Amt hatte, dass er bei Nacht und Nebel auf einem Esel entfloh. Dieser erste Fluchtversuch misslang und er konnte festgesetzt werden und wurde dann, wiederum auf einem Esel reitend, zeremoniell als Papst zurück willkommen geheißen. Da in einer Überlieferungsversion der Apokalypse von Joachim Fiore dieser Eselsritt eines Papstes angeblich für den Anbruch eines neuen Zeitalters stand, wurde diese Geste vom gemeinen Volk jubelnd begrüßt. Coelestin V schmiss dann dennoch Ende des Jahres 1294 nach nur wenigen Monaten das Pontifikat hin. Der Mann war anscheinend von Anfang an eine Fehlbesetzung und wollte ursprünglich doch eigentlich nur seine wohlverdiente Ruhe, um Beschwerdebriefe an die Katholische Kirche versenden zu können, nicht aber: um Papst zu werden.

Ein anderer großer Mächtiger, vielleicht eine der einflussreichsten und mächtigsten Persönlichkeiten der Geschichte, der Habsburger-Kaiser Karl V, der in dem Reich herrschte, ''in dem die Sonne nie untergeht'' (bezogen auf die Tatsache, dass er als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation selbst die kurz zuvor erst entdeckte Neue Welt (also weite Teile Nord- und Südamerikas) regierte), hatte nach vierzig Jahren Herrschaft im Alter von 55 Jahren amtsmuede und komplett erschöpft all seine schier unendliche Macht hingeschmissen und den prämortalen Feierabend eingeläutet. Ein größenwahnsinniger Burn-Out, an dem sein ideologischer Kontrahent Martin Luther sicher nicht kleinen Anteil hatte. Interessant ist es, sich die Erklärung Karls V zu seiner Amtsmüdigkeit einmal genauer anzuschauen, um die Ähnlichkeiten zur 'resignatio'' Benedikt XVI herauszulesen:

''Große Hoffnung hatte ich – nur wenige haben sich erfüllt, und nur wenige bleiben mir: und um den Preis welcher Mühen! Das hat mich schließlich müde und krank gemacht. Ihr wisst alle, wie sehr … Ich habe alle Wirrnisse nach Menschenmöglichkeit bis heute ertragen, damit niemand sagen könnte, ich sei fahnenflüchtig geworden. Aber jetzt wäre es unverantwortlich, die Niederlegung noch länger hinauszuzögern. Glaubt nicht, dass ich mich irgend Mühen und Gefahren entziehen will: Meine Kräfte reichen einfach nicht mehr hin. (...)

Was mich betrifft: ich weiß, daß ich viele Fehler begangen habe, große Fehler, erst wegen meiner Jugend, dann wegen des menschlichen Irrens und wegen meiner Leidenschaften, und schließlich aus Müdigkeit. Aber bewusst habe ich niemandem Unrecht getan, wer es auch sei. Sollte dennoch Unrecht entstanden sein, geschah es ohne mein Wissen und nur aus Unvermögen: ich bedaure es öffentlich und bitte jeden, den ich gekränkt haben könnte, um sein Verzeihen.''

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Auch in der Abtrittserklärung Karls V also werden die großen Symptome des abgekämpften Menschen vom Protagonisten der Amtsmüdigkeit selbst benannt: Müdigkeit, Verdruß, Erschöpfung, zunehmende Fehlerlastigkeit beim Erfüllen der Amtspflichten, die Wirrnisse einer Welt, die immer schnellebiger und komplexer wird, das fast demütige Erbitten der wohlmeinenden Resonanz des Publikums, dass nunmehr durch die Resignation des Amttragenden und die Übergabe an eine andere Person sich alles zum Besseren wandle.

Die besagten Wirrnisse einer Welt, die immer schnellebiger und komplexer wird, bringt auch Benedikt in seinem Abschiedswort zur Rede:

''(...) in mundo nostri temporis rapidis mutationibus subiecto et (...) perturbato...''

Der Papst sieht sich hier also einer Zeit ausgesetzt und unterworfen ('subiecto'), die sich immer rapider wandelt und verformt und dabei alle Dinge durcheinanderwirbelt ('perturbato'). In diesen Wirren fehlt dem alten Mann der 'vigor', der Saft und die Manneskraft also, das Amt zu stehen. Weil sich diese Kraft von Tag zu Tag mehr verringert und schwindet ('minuitur'), sieht sich der Papst als gänzlich unfähig ('incapacitatem'), weiterhin als Stellvertreter Christi zu amtieren.

Der Leitspruch des allmächtigen Kaiser Karl V war ''Plus ultra'', also: ''Immer mehr''. Immer mehr Macht, Geld, Ländereien und gewonnene Kriege...am Ende seines Lebens jedoch wusste dieser einst so machthungrige und jetzt so abgekämpfte und ausgebrannte Mensch keinen anderen Ausweg mehr, als den Gang ins Eremiten-Kloster San Jeronimo de Yuste, wo er die restlichen drei Jahre seines Lebens nur noch betete und las und schrieb. Wir beobachten einmal mehr den Hang des ehemaligen Machtmenschen zum weltmüden Privatier unter dem Konzept der Aufwertung der eigenen Belanglosigkeit in der Kontemplation. Der Rückzug in Reduktion: ''ultra minor''...immer weniger.

Es scheint, dass die Performanz der Resignation und der Verweigerung amtlicher Kontinuität nicht allein unserem Zeitalter gebührt, auch wenn dies medienkatalysierte und shitstorm-konditionierte Rücktrittreigen uns so zu vermitteln scheinen.

Der Burn-Out ist demnach keine Erfindung neuzeitlicher Päpste...(die einzige Person, die unverdrossen und auf ewig irritationsresistent ihres Amtes walten wird, dies die schlechte Nachricht, ist eine Kanzlerin namens Angela Merkel, die bereits seit Äonen amtsmüde ist, aber leider ihre Lektionen in Hartnäckigkeit am Beispiel der BRD bis zu ihrem Tod im Kanzleramt ausagieren wird.)

Jetzt wäre die Frage noch immer nicht zufriedenstellend geklärt, ob das nun ein starker oder schwacher Abgang des Papstes war?!

Der Autor dieser Zeilen ist allerdings derweil viel zu verdrossen und hat Angst vor müdigkeitsbedingten Fehlern, deshalb sei das Credo:

Ultra minor...(aber nächstens mehr...)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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