Flüchtlinge als Kollektiv oder ''Köln''

Zwischen den Stühlen Zeit zum Überprüfen der eigenen Position, da man zufällig in ''Köln'' wohnt und aber die Hysterie aus beiden Lagern nicht abonnieren mag

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

''Doch die jordanische Regierung hat nicht die Kraft, den jungen Syrern eine Perspektive zu ermöglichen und so sagt auch Mohammed: 'Wenn sich die Lebensumstände hier nicht bessern, werde auch ich nach Deutschland gehen.''

Aus: ''Integration unerwünscht'', TAZ vom 4.2.2016 (Florian Barth)

Wenn man sich gleich zu Beginn vor dem Leser den Kalauer erlauben muss, dass die einzige Gemeinsamkeit der Flüchtlinge und der AfD inmitten all der medial aufgekochten Zwistigkeiten darin bestehen mag, ''Deutschland, Deutschland über alles'' als Tagesmotto gemeinsam zu proklamieren, so lässt sich schon ahnen, auf welch schmalem Grat sich ein Text bewegt, der in der Mitte zwischen den beiden vorgeschlagenen Hysterie-Optionen ''engherzige Fremdenfeindlichkeit'' und ''aufgeputschte Integrationseuphorie'' tanzen möchte.

Der Diskurs um die ''Flüchtlingskrise'' musste notwendig in besagte Hysterie umschlagen mit den beiden Haupt-Optionen ''hysterische Hoffnung'' und ''hysterischer Pessimismus''. Nun mag man diesen Faktor noch verschmerzen, da doch die Hysterie der Tagespresse seit unvordenklichen Zeiten so ins Genom geschrieben ist und allemal mehr unterhält als der ewiggleiche moderate Leierkastenton mit täglichen frivol-banalen Berichten zum Konsumverhalten der Deutschen, Gründen für das marginale Auf- und Abwippen des DAX, und Meldungen über den Griechen und andere Südeuropäer, ''die ihre Hausaufgaben'' mal wieder nicht gemacht haben (dies nur mal in Parenthese gesagt: diese totzitierte Metapher, die sich Vertreter der gesamten Regierungsbank schwarzrot gern in ihren PR-Sprech einbauen, zeigt nur allzu offensichtlich, welche schulstreberischen Absichten den traurigen Popanz der Bundesrepublik bilden).

Übungen in politischem Betroffenheitsjournalismus sind zum journalistischen Standard herangewachsen und das große Gesamtgefühl erreicht endgültig die Politik, die sentimentalische Wandlung von Realpolitik zur therapeutischen Feel-Good-Maßnahme. Was jetzt an sich eine einigermaßen erstrebenswerte Sache wäre, hätte man nur nicht fortlaufend den Eindruck, dass aus besagter Sentimentalität eine stichflammenartige Dilettanteneuphorie hervorwuchert, die einen schon wieder über die Maße entnervt, weil man spürt, dass diese Gefühligkeit eher politische Regression bedeutet als Aktion und Aufbruch.

Das Phänomen lässt sich eventuell mit dem Begriff ''inszenierte Empathie'' ganz gut beschreiben und ist u.a. dem Gefühl verwandt, dass mancher empfindet, wenn er Bio-Fleisch kauft statt entsprechender Discounterware: man fühlt sich danach einfach so gut, dass man es ruhig auch noch in die sozialen Medien hinausposaunen kann! Hinterfragt werden die Motive nicht weiter und ganz ähnlich auch in Bezug auf ''den Flüchtling'' als inszenatorisch beliebig einsetzbare Heilsfigur des Consumer-Optimism: komm her in den Westen, hier geht es uns gut und wir bieten dir Heimstatt und bald geht es auch dir gut hier und du arbeitest mit im und an diesem System, das doch auch dir soviel zu versprechen scheint, lieber Flüchtling.

Dabei wird meist nicht beachtet oder umso lieber verschwiegen, dass das Elend vieler Flüchtlinge nicht allein Folge, sondern vor allen Dingen auch Grundbedingung ''unseres'' westlichen Wohlstandes ist. Der westliche Bürger in seinem politisch vorgeschriebenem Modus als Dauerkonsument kann da natürlich leichtfertig die herzliche Geste aus dem Ärmel ziehen und die unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen einfordern. Wenn der einzelne aber zB seine für den Nebenverdienst zum prekären Lohn auf Air B'n'B zur Vermietung ausstehende Wohnung für einen Flüchtling hergeben müsste oder man das Tagesmotto ''Konsumverzicht'' ausriefe, würde das Eis der Begeisterung schon wieder hörbar dünner. Ob man Menschen, die Photos von ihrem Frühstück schießen, dazu bewegen kann, auf den banalen Glamour der Diesseitigkeit zu verzichten, darf allerdings bezweifelt werden.

Eine große Anzahl an Flüchtlingen wiederum flieht ja nicht nur vor Elend, sondern auch sie erliegt dem in sozialen Medien vermittelten Paradies-Image westlichen Wohlstandes und imaginierter Wahlfreiheit: wenn schon raus aus der Heimat, dann doch bitte direkt nach Deutschland. Man kann es ihnen nicht verdenken, wenn sie erst zu erreichen und nachzuholen gedenken, was den Menschen im Westen so selbstverständlich als Anspruch erscheint, die sich als universale Weltenretter aufspielen, derweil sie weiterhin profan und profitgesteuert sind und fortwährend (kollateral, also größtenteils unbewusst) global exakt die Bedingungen erzeugen und sich wohlig in ihnen suhlen, aus deren miserabler Peripherie sie dann generös die Elenden erretten wollen.

Wenn also der Flüchtlingsdiskurs nicht zu einem radikalen Diskurs über einen ebenso radikalen Wandel des Denkens in der Politik und des Weltwirtschaftssystems führt, taugt er nur dazu, als Angsttapete auf dem Hintergrund ''Überfremdung'' und dem Langeweile-Dauerbrenner ''spezifische Problematiken der Verschärfungen im Asylrecht des Jahres 2016'' herzuhalten. Die so lapidar-naiv anmutende Frage: ''Was läuft da eigentlich schief in der Welt?'' verlangt eine extrem handlungsstarke gestaltende Antwort.

Ebenso ist allerdings auf der ''Gegenfahrbahn'' schon allein aus intellektueller Redlichkeit eine nüchterne Abklärung (sehr frei nach Kant: ''Die Abklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Anfangseuphorie'') der unhinterfragten Posaune einer unbegrenzten Aufnahme von ''Elendsflüchtlingen'' von höchsten Nöten: Erkenntnisse aus Interviews mit Flüchtlingen aus verschiedenen Weltregionen lassen bereits ein recht deutliches Bild eines ''going viral''-Aspektes der Fluchtwellen erkenntlich werden: die Flucht erfolgt nicht selten auch aus der Lemmingperspektive heraus, die Fliehenden glauben dem social-media-vermittelten Hype, dass im Westen eben doch alles besser ist und machen sich auf dorthin, ohne dass hohe und existenzielle Not bestünde. Nur AfD-Wähler gehen dann aber den Abzweig in die extreme Richtung und ziehen hieraus hysterisch-restriktive Konsequenzen. Dabei lässt sich viel gelassener konstatieren, dass man sich bei den Flüchtenden über erstaunlich viele leidlich schicke Turnschuhträger in Trash-Jeans mit modernsten Smartphone in der Hand und makellos frisiertem Haar nicht lange mokierend aufhalten darf: wenn der Westen den individuellen Wohlstandsanspruch in die Welt setzt, darf sich keiner wundern, wenn benachteiligte Majoritäten, denen man in Flüchtlingslagern in zB Jordanien oder der Türkei das Essen gestrichen hat, weil keine Wohlstandsnation mehr Zahlmeister für Kost und Logis sein wollte, endlich auch ihren ''Platz an der Sonne'' suchen. ''Mum, they don't look ragged at all!? Are they even refugees?'' Mit einer solchen (im Westen geschürten) Erwartungshaltung gehen Flüchtlinge dann auch ihre Ankunft an und finden sich enttäuscht: wieder nur Lager und Zelte, maximal ein geteiltes Hotelzimmer, Dixie-Klo's und Baumärkte, in einem kleinen Dorf im deutschen Mittelgebirge gelandet, der Bus fährt nur einmal die Stunde und nirgendwo dort ein syrisches Gemüsegeschäft weit und breit. AfD-nahe oder einfach nur zu kurz denkende Bürger erwarten den demütigen Flüchtling, der sich gefälligst in den Modus ''Gestrandeter'' zu fügen hat, der Flüchtling dagegen erwartet zusammen mit Integrationseuphorikern eine magische und maximal reibungsarme Direktintegration in sein Ziellandparadies und an dieser Stelle ist es an der Zeit, über kollidierende Formen der Rat- und Hilflosigkeit aus zwei diametral sich entgegenkommenden Systemen zu sprechen.

Was immer sich die Flüchtlinge über ihr jeweilig (eventuelles) existenzielles Elend hinaus auch erhoffen, was sie offensichtlich dazu bewegt, ausgerechnet Mitteleuropa anzusteuern, in dieser Kollisionsbewegung trifft jedenfalls die Rat-und Hilflosigkeit instabiler Staatssysteme des Nahen Ostens auf die Rat- und Hilflosigkeit eines durch das neoliberale Wüten ausgebrannten Westens, was eine blendende Ausgangslage für endgültig resignative soziale und politische Muster bildet.

Man muss zudem bei der Angst, die viele vor den ''Flüchtlingsströmen'' haben, genauer betrachten, was denn diese Angst speist. Hier gilt es zu unterscheiden zwischen dem Flüchtling als Individuum und dem Kollektiv, das die Gesamtzahl der Flüchtlinge bildet. Die meisten Menschen dürfte ''die Flüchtlinge'' als Kollektiv-Muster beängstigen. Vielleicht auch stellt dieses Kollektiv-Muster deshalb ein Ärgernis dar, weil das eigene liberale Weltbild (so u.a. in der Bahn nach Köln-Mülheim, in welcher man anhand der Passagiere den Eindruck erhalten könnte, man befinde sich im Fernbusverkehr irgendwo zwischen Damaskus und Kabul) einer erstaunlich zähen Rumination und permanenten Neubefragung und -ausrichtung der eigenen Position unterzogen wird und man befragt sich selbst einen Augenblick lang, inwiefern der scheußliche Begriff der ''Überfremdung'' nicht vielleicht doch seine Berechtigung hat, bevor man bemerkt, dass man eher befremdet ist von den eigenen Gedanken und ihren Abwegen gerade. Und dann ärgert man sich in Vexierbildmanier mal über die Flüchtlingskrise, als könne die Masse dieser Menschen etwas dafür, dass einem endlich die fest verzurrten Standpunkte im Kopf mal wieder weichgeklopft werden und dann wieder über sich selbst, dass einem solche Gedanken überhaupt im Kopf herumgehen. Die Weltgeschichte aber dreht ihr Rad nach freiem Willen: ''It's a monumental change, I know, but learn to deal with it!''

Und diese Veränderung wirkt auf beide Seiten der Medaille ein: die Flüchtlinge verändern Deutschland ebenso wie das Land die Flüchtlinge verändern wird. Hier werden Synkretismen und kulturelle Synergien entstehen, von denen man jetzt nicht einmal zu träumen wagt. Der biederdeutsche Konservative kämpft derzeit einen verzweifelten Abwehrkrieg gegen die Veränderung, derweil das linke Lager die eigenen Toleranzkapazitäten noch maximal überschätzt. Beiden täte ein Touch Skeptizismus in Bezug auf die eigene Position gut. Während die konservativen Kreise endgültig den Untergang des Abendlandes und dessen Re-Missionierung durch den Islam fürchten, wird man bei den Linken mitunter das Gefühl nicht los, dass man Flüchtlinge als Tamagotchi-Ersatz ''verwendet''.

Für Sentimentalitäten ist keine Zeit bzw darf Nostalgie nach alten Verhältnissen nicht dazu führen, dass man in CSU-Manier (um von der AfD mal ganz zu schweigen) diese Nostalgia zum Ausgangspunkt einer Politik der Zukunft nimmt: das taugt nicht und endet nur wieder in einem Europa ''bewährter'' deutscher Traditionen der Deportation, der Lager, Mauern und Zäune, der Separatismen und der irredentistischen Anwandlungen. (Wie ein solches Europa übrigens klänge? Dazu lauschen Sie doch bitte einfach dem Song ''Warszawa'' vom David Bowie-Album ''Low'', das im eiskalten Berlin des Jahres 1978 entstand).

Ebenso wird jedoch schon allein aus Raum- und Ressourcengründen nicht klappen, dass Deutschland völlig gestaltungsfrei und ohne Oberkante wie eine Akkretionsscheibe auf ewighin die Flüchtlinge und Wohlstandsaspiranten der Welt aufnimmt. Hier heißt der weitere Weg, dass man Flüchtlingsursachen tatsächlich radikal bekämpft (und zwar in mittelfristiger Zukunft gemeinsam! mit den Geflohenen) statt immer wieder nur diesen leicht rausgehauenen Slogan in Talkshows zu bringen. Aber bitte verstehen Sie richtig, lieber möglicher AfD-Leser: die Ursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge. Konkrete Vorschläge dazu im nächsten Eintrag, bevor dann mein übernächster Eintrag auf dem Freitags-Forum anspielungsreich ''I heard it through the shitstorm'' heißen wird...

…nächstens mehr...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden