Im Zeitalter der Bücherbarbaren I

Über Bücher sprechen Über Bücher sprechen, wenn man sie gerade nicht liest/schreibt…der erste Teil einer kleinen Reihe zur neurotischen Bibliophilie

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''Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde''.

Jean Paul, Aphorismen
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''Procul, o procul este profani!''

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''Es waren Goethes sämtliche Werke, welche ein Trödler, der mich mit alten Büchern und vergilbten Kupferblättern in ein vorzeitiges gelindes Schuldentum zu verlocken pflegte, hergebracht hatte, um sie mir zur Ansicht und zum Verkauf anzubieten. (...) Ich war eben mit 'Dichtung und Wahrheit'' zuende, als der Trödler hereintrat und sich erkundigte, ob ich die Werke behalten wolle, da sich sonst ein anderweitiger Käufer gezeigt habe. Unter diesen Umständen musste der Schatz bar bezahlt werden, was jetzt über meine Kräfte ging. Die Mutter sah wohl, daß er mir etwas Wichtiges war, aber mein vierzigtägiges Liegen und Lesen machte sie unentschlossen und darüber ergriff der Mann wieder seine Schnur, band die Bücher zusammen, schwang den Pack auf den Rücken und empfahl sich.
Es war als ob eine Schar glänzender und singender Geister die Bühne verließen, so daß diese auf einmal still und leer schien...''

Gottfried Keller, Der grüne Heinrich

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Exakt wie der Protagonist aus Kellers ''Der grüne Heinrich'' empfinde ich seit längerer Zeit selbst des Öfteren, spätestens zu den Zeiten, wenn zB ein Umzug ansteht und es gilt, so um die zwanzig Bücherkisten (andere erledigen das mit einem! e-book, aber meine Haltung zu diesem elektronischen Parvenü, zu dieser Textlizenz, die gerne Buch wäre, es aber nicht ist, kennen Sie ja zur Genüge) im worst case bis in den vierten Stock einer Behausung zu schleppen (welches Herauftragen der Bücherkisten zumindest ich dann selbst übernehme, um mir seitenhiebende Kommentare der verständlicherweise entnervten Helfenden zu sparen oder naive Fragen wie: ''Kaufst du denn jetzt immer noch Bücher?'' Was soll ich darauf antworten: ''Nein, aus Platzgründen habe ich damit aufgehört.''? Ein wahrer Bücherliebhaber wird damit nie aufhören können, es sei denn er wird zB irgendetwas über 65 Jahre alt:

raumgewinner.blog.de/2012/01/24/besitz-besessenheit-exempel-buechern-briefen-12507498/

Auch den Ratgeber-Kommentar: ''Kauf dir doch lieber nur noch Reclam-Bändchen!'' habe ich schon gehört und der Kommentator befand sich in der Naivität seiner unbescholtenen Aussage so extrem im Modus ''Wissensvorsprung'', dass ich zumindest Mitleid mit ihm hatte. Sie verstehen, ich liebe Ratschläge dieser Art und wenn ich den Begriff ''Reclam-Bändchen'' schon nur höre, kommt meine Germanisten-Idiosynkrasie quasi allergisch wieder zum Vorschein. Verstehen Sie mich nicht falsch, auf Reisen zB liebe ich die ihren eigenen Verschleiß nahezu herbeiflehenden Reclam-Bände allein schon aus Gründen der Praktikabilität, aber eine allein aus diesen kleinen Buchwürmchen bestehende ''typischer Germanistik-Student-Bibliothek'' erscheint mir doch ziemlich kleinkariert.)

Jean Paul nannte Bücher, s.o., ''dickere Briefe an Freunde'' und so manches Buch ist wiederum ein noch dickerer Freund als so mancher leibliche Freund selbst es einem sein mag. Nun ist nicht jedes Buch in der Heimbibliothek ein solcher Freund, zu manchen steht man irgendwie in unklarer und entfremdeter Beziehung, manch Buch hat man zu seiner Zeit überschätzt und schaut es nun scheel an, die Grade der Beziehung zu einem jeden einzelnen Buch sind divers. Sogar manch unbekannte Schönheit versteckt sich in rückwärtigen Räumen und Schranknischen, entzieht sich der Aufmerksamkeit fast bewusst und harrt des Gelesenwerdens, scheint der aktiven Botschaft für eine Zeit zu harren, die mich geeigneter dafür finden mag. Manchmal geht es so sehr auf, dass man ein Buch ''jetzt'' in dieser speziellen Zeit lesen soll (nicht zuvor, als es nicht passte), dass die Lektüre dieses Buches ''gerade jetzt'' über einen kommt wie eine Epiphanie.

Wir wenden uns nun einem großen und zugleich schmerzhaften Thema zu: dem Buchverleih. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich eines meiner Bücher verleihe ist ungefähr so hoch wie die, dass Sie, lieber Leser, in der Restlaufzeit Ihres Lebens noch auf den Mars fliegen. Verschenken, das ist ja etwas ganz anderes, aber verleihen: nimmermehr. Ich erinnere mich an diese wundervolle Szene in Film ''Rain Man'', in der Tom Cruise als Bruder des Autisten Raymond Babbitt, den Dustin Hoffman verkörpert, dessen Bücher nur kurz anrührt und der Bruder schon über diese eine Berührung seiner Bücher durch einen ''Zweiten'' fast existentiell verzweifelt und laut aufjault. Man kann sich dies in folgendem Video so ca. ab 4.00 min. (beachten Sie bitte unbedingt auch die Reaktion ab 4.30 min.!!), anschauen. Vor allem die heimtückische Kombination aus einem unangekündigten Besuch und der Tatsache, dass dieser unangekündigte Besuch dann noch die eigenen Bücher sinnlos berühren will, macht den ganzen Horror einer Handlung aus, die für den unangekündigten Büchergrabscher nur 'Situation', für den Bücherliebhaber aber eine nachhaltig auf ihn einwirkende Verstörung darstellt:

www.youtube.com/watch?v=zljDDJsPPRM&index=3&list=PLI1zuZdCSlNYqqNJVxltfl5uh_D-gNHRa

Ungefähr so geht es mir mit meinen Büchern selbst: wenn jemand Interesse an einem Buch bekundet, händige ich es ihm, nachdem ich es ihm erst einmal feierlich und unter einigen Nutzungsauflagen und meiner strengen Aufsicht aus dem Schrank geholt, aus dem Regal gezogen habe, nur halbherzig aus, reiche es mit sich noch gegen die Übergabe sträubenden Fingern an den Interessenten weiter, verkneife mir das doch etwas übergriffig wirkende: ''Hast Du dir auch die Hände gewaschen?'' mit einem rückversichernden Blick auf die Hände des Empfängers, achte peinlichst darauf, dass nicht in einem Akt unbewusster Grobschlächtigkeit der Empfänger beim ''Anschauen'' bereits den pfleglich behandelten Buchrücken (so es ein Taschenbuch ist) derart überdehnt, dass er danach vor lauter Falten aussieht wie um Jahre gealtert. Es gibt Menschen, die exakt das tun, du vertraust ihnen ein Buch vor deinen Augen an, sie ergreifen es mit ausgesuchter Grobheit, schlagen es so weit auf, dass man meinen könnte, sie wollten aus unerfindlichen Gründen noch die letzte unbedruckte Innennische der Falz ausleuchten (und so zugleich den Buchrücken unwiederbringlich malträtieren), blättern lustlos, ('erst plätten, dann blättern!' ist ihr Motto), aber zugleich doch wie wild mit vernehmbar lautstarkem Seitenschlag völlig ungesteuert durch das Werk ohne dahinein zu lesen, überreichen einem dann das bereits in nur wenigen Sekunden bis zur Unkenntlichkeit vor meinen eigenen Augen vergewaltigte Buch, sagen: ''Mein Ding ist das nicht.'' und ziehen ihrer Wege). Das Grundausmaß einer gewissen Barbarei des Individuums wird nicht zuletzt im Umgang mit Büchern oft sehr deutlich.

Dazu geziemt sich die Frage: ''Darf ich?'', bevor man ein Buch aus einem ''fremden'' Regal zieht, statt es einfach unangekündigt ans Tageslicht zu befördern, aufzureißen, durchzuschlagen und es dann einfach kommentarlos und, im besten Falle, an seinen gegebenen Standort, zurückzustellen.
Als ich übrigens gestern in einem Buchladen unterwegs war, erblickte ich einen Mann, der in vorweihnachtlicher Ungeduld und unter der offensichtlichen Agenda ''Geschenkekauf'' durch eine ihm ebenso offensichtlich fachfremde Buchabteilung marodierte, ein von ihm soeben nur sehr flüchtig angeschautes und dann verworfenes Buch bestialisch in das Bücherregal zurückdrücken, dass es nur so stauchte, er stopfte und knautschte und knickte. Derart hat dieser Unmensch, der noch unter Fluchen und meines Blickes gewahr geworden, in seinen ungeduldigen Bart brummte: ''Die ganze Bücherscheiße steht hier aber auch so eng rum!'', Tolstois arme ''Anna Karenina'' in der schönen dtv-Taschenbuchausgabe zu einem künftigen ''Mängelexemplar'' vergewaltigt.

Es gibt Menschen, die auf diesen bauernhaften Umgang mit Büchern, sie mögen wenngleich Bücherliebhaber sui generis sein, zumindest noch reflektieren, von ihnen hört man dann oft diesen Satz: ''Ein Buch ist für mich vor allen Dingen einmal ein Gebrauchsgegenstand.'' Das mag sich nun so verhalten, allein, meine Bücher sind nicht als Gebrauchsgegenstände dieser ruppigen Zeitgenossen vorgesehen, die schon bleistift-, vielleicht gar kulibewehrt sich den armen, ihrer Gewalt hilflos ausgesetzten Büchern nähern, bereit, zu biegen, zu plätten, zu brechen und martialisch zu blättern, Eselsohren zu generieren und ganze Bücher ohne Lineal mehr durch- als zu unterstreichen, am besten noch kunterbunt. Oh, the Horror...

Aus diesem grundsätzlichen Missverständnis zwischen den Arten des Bücherliebhabens des ''Nutzers'' eines Buches und des ''Lesers'' um der bloßen Idee willen, entsteht das anhängige und grobe Missverhältnis zwischen dem literarischen Connaisseur einerseits und dem belämmerten Bücherbarbaren andererseits, dem wir uns bereits in allernächster Zeit in der zweiten Reihe dieser kleinen Folge nähern wollen. Wir werden den anmaßenden Bücherbarbaren dort als veritablen Konsumenten des Textes vorstellen, dem das ''ausgelesene'' Buch nach seiner Lektüre nurmehr bloße Verpackung für den Text und somit Müll ist, weil er sich ja weder mit dem Text noch mit dem Buch je wieder auseinandersetzen wird.

...nächstens daher mehr...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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