Kann das Amt auch klardeutsch?

Unterlassungsbefehl Der tägliche Kampf eines Leidfähigen gegen den Zwang zur Erledigung und wider die Anstiftung zur Nutzbarmachung meiner Person

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''Wirklich schoen ist nur, was keinem Zweck dient; alles Nützliche ist haesslich, denn es ist Ausdruck eines Beduerfnisses und die Beduerfnisse des Menschen sind widerlich und abstoßend wie seine armselige und hinfaellige Natur. Der nützlichste Ort eines Hauses sind die Latrinen...''

Theophile Gautier, Mademoiselle de Maupin (1836)

So taktet mir hier der Dandy und Avantgardist Theophile Gautier hochwillkommen auf. Und hochwillkommen sei auch du mir, lieber Leser, fuer heute einmal.

Theophile Gautier war der Begruender der ''l'art pour l'art''-Schule der franzoesischen Romantik, ein Dandy, ein Lebemann, ein Boheme avant la lettre. Die Nuetzlichkeit und der kuehle Pragmatismus der bourgeoisen Gesellschaft des Paris seiner Zeit waren ihm ein aufrichtiges Greuel und mit seinen gemeinsamen Freunden gingen sie in avantgardistischen Aktionen und wilden WG's gegen die Biederkeit der Bourgeoisie mit allem Eifer an.

Und da konnte es auch schon einmal sein, dass der brave Pariser Bürger Biedermann den Dandy Gautier oder seinen guten Freund Gerard de Nerval beim Spaziergang in den Tuilerien antraf, bei dem Gautier seinen Hummer an der Leine durch den Park führte. Klar erscheint das dem heutigen Betrachter nicht sonderlich political correct, in Zeiten, da wir wohl lauthals nach dem Tierschutzgesetz rufen würden, andererseits immer noch besser, als das Tier lebend in einen Kochtopf zu werfen, wenn man es so lieber Sonntag fuer Sonntag eben an der Leine durch die Tuilerien flanieren laesst. Einen Hummer sonntags an der Leine im Park spazierenzufuehren ist nachweislich eine ganz hohe Hausnummer im Kampf gegen die Tugend der Nutzbarmachung und die Mobilisierung zur vollkommenen Liederlichkeit gegen das Ertuechtigungssystem.

(An dieser Stelle bitte ich beherzte Feministinnen und emanzipierte Maenner bitte zu verzeihen, dass von Theophile Gautier der etwas antiquierte Ausspruch stammt, dass der Orient der einzige Ort sei, von dem er finde, dass die Frauen dort an ihrem angestammten Platz seien: zuhause und im Bett.)

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''Ja, was nützts? Nach Lust wird nicht bemessen.'', so meine Mutter frueher immer, wenn ich ihr vorjammerte, dass ich keine Lust und keine Energie fuer die enervierenden Erledigungen haette, auf die Aemterlaeufe und Anrufe hier und da und das Überweisen und Briefebeschreiben und Adressen raussuchen und Briefmarkenkleben und zur Post rennen und zum Amt und zu Stelle a, um dann wieder zur Stelle b zu rennen, damit ich bei Stelle c, meinen Antrag fuer Stelle a abholen kann. Ihr merkt schon, wir wollen heute von der Buerokratie handeln.
Wenn mir die Aemtermaschinerie Briefe schrieb, verstand ich diese Briefe oft nicht, da sie gar nicht verstanden werden wollten. Hauptsache ein bleigraues Blatt, dazu vierzig Beiblaetter mit Aemterverordnungen und Paragraphengewirr. Schaut man sich gar nicht erst an, wenn man Hedonist ist. Interessiert einen dann ueberhaupt gar nicht. Macht nur augenkrank wie AGB's und sonstiges Kleingedrucktes. Hochwichtig, aber leider schweineuninteressant.

Dabei war es ja nicht so, dass meine in Erledigungsdingen sehr beflissen-redliche und immer puenktlich bis ueberpuenktlich erledigende Mutter nicht selbst manches Mal gejammert haette, Sachen wie: ''Das sind auch wieder alles so Rennereien'', wenn sie an einem Tag besonders viel zu erledigen hatte. Hierhin, dahin, Dokumente waelzen, Kopien machen, ein wichtiges Dokument wiederfinden (das bereitete dann sogar meiner Mum Stress) und alles das.
''to run errands'' heißt das ''Verrichten von Erledigungen'' auf Englisch so schoen und wahr, man hat Rennereien, man irrt umher, (lat. errare: 'irren, umherirren') und wer sich 'erratisch' bewegt, laeuft im Zickzack von links nach rechts und zurueck und umher, sowie man sich eben fuehlt, wenn man Erledigungen taetigt. 'Errare humanum est', es irrt und erledigt also der Mensch, wo er geht und steht, sozusagen.

Was aber von vornherein auffiel: jede Erledigung zog einen Rattenschwanz von weiteren kleinteiligen Erledigungen nach sich und mir ging auf: vieles kann man aber sonst auch einfach mal lassen. Als ich dann erstmal allein wohnte, fiel mir schon frueh auf: wichtige Briefe sind wie ein Bumerang: they keep coming back. Die muss man nicht gleich bei Erst- oder Zweitankunft im heimischen Briefkasten oeffen. Dieses ungefragte Eintreffen von Post erschien mir von allem Anfang an wie eine gemeine Obszönität: ich bin dein Brief, ich bin jetzt für Dich da, oeffne mich.

Als ich vor einiger Zeit einmal in meinem Keller eine Serie von 32 ungeoeffneten Briefen fand, erlaubte ich mir, nach drei Jahren, die sie inzwischen an Aktualitaet eingebueßt hatten, diese Briefe alle der Reihe nach zu oeffnen. Das Wichtigste war ja erstmal: die Briefe waren alle von 2008, jetzt war es 2011 und ich lebte noch, sogar einigermaßen unbehelligt. Ok, Rechnungen, ok, Mahnungen, ok, Inkasso, ok, Gerichtsvollzieher, ok, Haftandrohung, aber letzten Endes hatte ich die ursprünglichen 32 Euro Buchrueckgabegebuehr, die sich auf ueber 400 Euro hochgeschaukelt hatten, innerhalb des Mahn- und Institutionenlaufes nicht bezahlt, aber war einmal jemand an meiner Tuer mit Brief, Pfandkuckuckklebern, Fußfessel und Handschelle zum Arretieren? Vielleicht. Ich hoere das ja nicht, weil meine Türklingel immer ausgestellt ist. Die Forderungen jedenfalls hatte sich nach sieben Monaten absolut im Stillschweigen der Aemter und Gerichtskammern ausgeblutet. Hier schreibe ich, ein unbescholtener Buerger.
(Lesen Sie nun zur Auflockerung kurz zwischendurch, wie ich einmal mit etwas ganz Aehnlichem konfrontiert war) :

http://raumgewinner.blog.de/2010/04/21/bitte-melden-unverzueglich-spaetestens-st-nimmerleinstag-brief-beisst-mahnen-plaedoyer-intelligente-leichtigkeit-seins-ii-8416332/

Mit einer gewissen an den Tag gelegten Sperrigkeit und strategischen Behaebigkeit also kann man noch die vitalste buerokratische Forderung ausbluten lassen.

Und so ist es mit den Amtsschreiben wie mit Kindern und Krankheiten: sie kommen eigentlich immer zur Unzeit. Ich habe mich entschlossen, gegen diese Einvernahme meiner Selbst durch dunkle buerokratische Maechte und wichtigtuerische und drohende Schreiben zu wehren, indem ich nutzlos agiere.

Die GEZ mahnt mich an? Dann male ich mir eben ein Ölpastell. Der Gerichtsvollzieher kündigt zu dem und dem Termin einen Besuch an? Dann empfange ich ihn eben mit nacktem Oberkoerper beim Malen meines Ölpastells. Das Bafoeg-Amt bittet nun endlich um Rueckzahlung meines Rest-Bafoegs von einst? Dann lese ich jetzt eben den zweiten Band von Schopenhauers 'Welt als Wille und Vorstellung''.

Es leuchtet ein: der Kuenstler ist immer Trotz- und Kindskopf. Mais, Madames et Mesieurs, nous voulons installer l'art pour l'art a l'instant! Wenn die uns mit ihrer Realität und ihren immer so wichtigen ZUdringlichkeiten kommen, kommen wir denen mit unserer Kunst (unserer Realität) und präsentieren uns authentisch und unverstellt. Die Aemter schotten sich ab hinter ihrem Amtsdeutsch, das zu übersetzen ich mir keinen Rechtsanwalt leisten kann, wir dagegen präsentieren uns nutzlos authentisch so wie wir sind.

Amtsdeutsch! Bei der Abstimmung zu Stuttgart 21 durften die Bürger laut Stimmzettel mit den einfachen Wörtern ''JA oder Nein gegen das Projekt oder dafür stimmen. Kreuzte man auf die Frage: ''Sind Sie GEGEN das Projekt Stuttgart 21?'' das ''Ja'' an, hatte man sich DAFÜR entschieden. Ganz unten gab es die Erklaerung, falls der unaufmerksame Buerger sie lesen wollte:

„Mit „Ja“ stimmen Sie für die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben.''

Was dann natuerlich auch fast keine Sau versteht...wenn ich meiner Mutter frueher die ersten Amtsbriefe, die ich nicht verstand (auch die Konsequenzen daraus nicht) vorlas, und sie sie selber nicht recht verstand, meinte sie immer: ''...sonst rufen wir gleich einfach mal den Onkel Peter an.'' Onkel Peter war Rechtsanwalt und geschult in staatlicher Rabulistik.

Natuerlich wird auch die Duroy'sche Indolenz ab und an durch Mahnschreiben aus dem Takt gebracht, die nicht, wie sonst eher ueblich, darauf verweisen, dass man eventuell im stressigen Alltagsgeschaeft das Mahnschreiben der Firma xy uebersehen habe und nun solle man aber lieber wirklich endlich usw.
Nein, neulich zB flattert mir eine Mahnung der ZEIT ins Haus (uebrigens erst die zweite und uebrigens voellig unberechtigt!), die direkt mit der Tuer ins Haus faellt und in der eine Frau Soundso vom Abo-Service der ZEIT sinngemaeß folgenden Ton anschlaegt:

''Ich habe das Inkassoverfahren, das meine Kollegen in dieser Sache bereits vorgesehen hatten, soeben noch aufhalten können. Bitte honorieren Sie meine Bemuehungen, indem Sie die Zahlung nun wirklich umgehend taetigen. Sollten Sie die Zahlung weiterhin verzoegern, werde ich die Fortgabe zum Inkasso nicht mehr verhindern koennen.''

Da stellen sich einem die Nackenhaare zum Kragen hoch. Soll ich mir da vorstellen, dass die gutmuetige Frau Soundso todesmutig fuer mich in die Bresche springt und den beiden inkassogeilen Kollegen meinen Fall so gerade noch aus der Hand reißt? Und das sie nun aber moechte, dass ich dieses persönliche Opfer durch meine Zahlung honoriere? Eine unfassbare Maertyrerin...wer aber sagt, dass ich die Zahlung willentlich ''weiterhin'' verzoegere? Ein ganz unangenehmer Unterton, nicht wahr? Ich koennte pleitegegangen sein oder inzwischen todkrank...man sollte vorsichtiger formulieren,

Und auch ein Gerichtsvollzieher muss sich nicht wundern, wenn er auf folgende Briefschlussformeln kein positives Rueckmeldung bekommt:

''Sollten Sie zum angegebenen Termin verhindert sein, bitte ich um fernmündliche Mitteilung, damit ein anderer Vollstreckungstermin vereinbart werden kann.''

Hier paart sich juristische Terminologie mit nazideutschem Anspruch auf Archaik in der Mitteilungsform. Denn bitte wer datet schon gern den Gerichtsvollzieher zum ''Vollstreckungstermin''? Auch das Handy nimmt man als Delinquent nicht euphorisch in die Hand, wenn man sich ''fernmündlich'' rueckmelden soll. Benutzen die eigentlich Vordrucke aus der Kaiserzeit?

''Sind Sie zum Vollstreckungstermin nicht anwesend (...) werde ich einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss erwirken und Ihre Wohnung von einem Schlosser öffnen lassen...''

(mal nebenbei: wir reden über eine Forderung von 64 Euro!!)

Nachdem dann noch im Falle der Verweigerung die Erzwingungshaft angedroht wurde, folgt unten noch zu aller Komik der ''freundliche Gruß''.

Sowas beachtet man also am besten gar nicht erst. Kein Richter wird uebrigens, lieber eventueller Erledigungschaot, der dies lesen mag, fuer einen Streitwert von 64 Euro die Tuer oeffnen lassen.

So, ich bin abgeschweift, es ist spaet in der Nacht, mein Hummer muss noch mal raus. Lasst euch keine Angst machen in und von dieser Gesellschaft, das wollte ich eigentlich sagen. Kunst ist Trost und Unsinn eine Form politischen Widerstandes, wenn er recht gewandt wird.

'Brotlose Kunst', erschallt es da von den billigen Rängen?! Ich hab nie Baecker werden wollen...wes Brot ich ess, des Lied ich sing...kraechz kraechz...

...naechstens doch natuerlich mehr....

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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