Kontrolle, Ordnung, Sicherheit

Aufklärung x anders Aufklärung leider nicht geil...etwas zu den Konditionen des Lebens im 21. Jahrhundert

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''Verzeih mir', rief ich aus, ich meint es gut,
sollt ich umsonst die Augen offen haben...?''

Goethe, Zueignung

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''Wollte man eine Skala entwerfen, die das Maß zwischen minimalem Informationsgehalt und höchstmöglicher Aufregung misst, sollte sie nach Snowden benannt werden.''
Jasper von Altenbockum, Helden der Freiheit, faz-online am 11.7.2013

Wollte man eine Skala entwerfen, die das Maß zwischen minimalem Informationsgehalt und niedrigstmöglicher Prognostizitätskompetenz misst, sollte sie nach von Altenbockum benannt werden. Meine Meinung.

Was der Faz-Autor verkennt: das 21. Jahrhundert hat endlich sein großes Thema gefunden. Die zynische Herrschaft. Das Leben im globalen Überwachungsstaat. Es wird dem aufmerksamen Betrachter bewusst, dass ganz schoen viel Stasi im ''S'' von NSA und damit korrelierend im ''S'' von USA steckt und ganz viel Hohenschönhausen in Guantanamo und dass Deutschland willfähriger Exekutant der globalen Überwachungspolitik war und ist.

Ebenso wird dem mündig denkenden Bürger bewusst, dass die zynische Herrschaft bedeutet, dass gewählte ''Volksvertreter'' ganz im eigenen Sinne ihrer! Herrschaft und des Machterhaltes regieren, aber ganz sicher nicht für das Volk. Die moderne, so wird uns zunehmend bewusst, hat in fast ungebrochener Kontinuität Demokratie nur simulativ betrieben. Auch der Westen lebte in all den Jahren in einer Scheindemokratie.

Zu dieser Scheindemokratie gehört die Legitimation totaler und permanenter Überwachung durch die Performanz einer als sympathisch propagierten Sicherheitspolitik. So war es in den Zeiten des Kalten Krieges, als das noch mehr oder weniger fassbare Gespenst, das sich durch die westliche Welt schlich, die linke Bedrohung war, so ist es seit 2001 wieder, als man endlich den Vorwand hatte, alle die ansonsten in Arbeitslosigkeit zu fallen drohenden Geheimdienstler an anderen Fronten einzusetzen: die Bedrohung des weltweiten (vorwiegend islamistisch geprägten) Terrors war geboren. Aus diesem neuen Aspekt ließ sich ein perfekter Feind aller westlichen aufklärerischen Werte fingieren. Wichtig war es nun, diesem Feindbild Kontinuität zu verschaffen, um weiterhin die zynische Herrschaft aufrechterhalten zu können: den Überwachungsstaat, der seine Bevölkerung unterschiedslos ausspäht und als Allzeit-Verdächtige in den Fokus schmieriger Staatsschergen geraten lässt.

Die zynische Herrschaft bedeutet, dass nach außen im Sinne Potemkinscher Fassaden Demokratie und aufklärerische humanistische Werte gepredigt werden, derweil im Hintergrund Geheimdienste nichts dem Zufall überlassen und derart also allein eine Oligokratie ''herrscht'' statt zu regieren und ''Aufklärung'' allein geheimdienstlich verstanden wird als Ausspähung des Bürgers, die es zudem zu perfektionieren gilt. Sicherheit wird als hoher Wert der Demokratie ausgegeben. Dabei wussten die Republikaner der Französischen Revolution schon ganz gut, warum es ''Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit'' hieß und nicht ''Aufklärung, Sicherheit, Verdacht''...letztlich koennen nur ultrakonservative Kräfte die ''Sicherheit'' als Zielvereinbarung einer demokratischen Regierungsform in Anschlag bringen. Sicherheit ist dem Selbstverstaendnis einer Demokratie immer nur implizit. Wird sie explizit und somit zum Slogan, untergräbt sie die Demokratie selbst. Im Namen der expliziten Sicherheit überholen/untergraben radikale politische Strömungen die Demokratie von rechts.

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Die Masse der Menschen, die jetzt im exponentiellen Dutzend Bedenkenlosigkeitsbescheinigungen in Sachen totaler Überwachung ausstellen, als wäre in China wieder mal ein Sack Reis umgefallen, ist leider Legion. Das ist der zynische Kommentar zur zynischen Herrschaft und er lautet in zu variierender Paraphrase so:

''Worüber regt ihr euch auf, liebe Gutmenschen? Das konntet ihr euch doch wohl an fünf Gehirnzellen abzählen, dass ihr auch vom demokratischen Staat überwacht werdet, zumal, wenn ihr ohnehin im Internet alles von euch preisgebt und so schon selbst ein gutes Stück weit freiwillig an eurer eigenen Überwachung mitarbeitet. Ihr wollt den digitalen Spaß, dann nehmt auch die totale Überwachung hin. Außerdem dient sie nur zu euer Sicherheit und ermöglicht erst die Freiheit, die euch zB das (digitale) Leben sichert. Worüber also die Aufregung? Und wer nichts verbrochen hat, hat doch ohnehin nichts zu befürchten.''

Und der zynische Kommentar hat natuerlich teilweise bis dahin recht, wo er auf die Freiwilligkeit der Datenpreisgabe durch den digitalen Bürger kommt. Wer sieht, wie die Leute sich selbst freigeben und -stellen, als sei die digitale Welt eine einzige FKK-Nacktliegewiese, wird sich nicht darüber wundern, wenn der Geheimdienst ab sofort sein ''Geheim-'' streicht. Gerade die Anhaenger der Post-Privacy-Gesellschaft sehe ich vor meinem geistigen Auge gerade dümmlich in sich hineingrinsen und höre sie ihre Gebetsmühlensentenz zur Legitimation digitalen FKK's herunterleiern:

''Wenn alles, aber auch wirklich alles publik wird, und man nichts mehr verheimlicht, dann entstehen sowieso soviele Daten, dass die Geheimdienste komplett überfordert sind und an ihrem Datenwust kollabieren...nanananana...ätschi bätschi...''

Und das ist der Punkt an dem Edward Snowden ins Spiel kommt und wir erfahren, dass die Geheimdienste in der Engführung auf eine Person den Datenwust nach allereinfachsten Algorithmen und stochastischen Modellen nach Art der beliebten Rasterfahndung der BRD-Innenpolitik zu Zeiten der RAF einfach bequem durchleuchten und kontrollieren koennen, wenn sie gezielt nach einer verdächtigen Person suchen. Jeder ist abrufbar und ''trackable''...es gibt kein Datenchaos. Die Zielführung der Geheimdienste und der ihnen anhaengigen Regierungen ist mehr noch als die Sicherheit, die nur zur Legitimation ''nach außen''' an das Volk getragen wird, die Ordnung und die Kontrolle.

Der digitale Bürger wird zum mitwirkenden Modell des Grades seiner eigenen Störungsbefähigung im oder gegen den ''demokratischen'' Staat. Der kontrollierte Bürger ist, wenn wir all das Überwachung legitimierende Geseiher der Politik mal paraphrasieren (die Paraphrase ist der neue bullshit-detector des mündigen Bürgers, das nur mal am Rande und in abschweifender Parenthese, und ich fordere jeden geistig gesunden Leser auf, die nebulösen Äußerungen der Politiker und Lobbyisten stets zu paraphrasieren, damit der bullshit-alarm immer schön lebhaft klingelt und man immer bewusst hat, in was fuer einer Gesellschaft man lebt und wirkt), jedenfalls ist der kontrollierte Bürger der ideale Untertan der modernen Gesellschaft. Die Paraphrase also lautet:

''Der brave unbescholtene Bürger lässt sich im Sinne der Sicherung der Demokratie gern überwachen. Wie ein Streiflicht zieht der Suchscheinwerfer nur kurz in der Nacht, in der der Bürger schläft, seinen grellen Lichtkegel alle paar Minuten über ihn hin, der Bürger mag sich darob nicht bekümmern, und lieber weiter selig schlafen. Auch meint es der Staat nur gut mit ihm.''

(*Das ist das Motiv des Flötenspiels des Rattenfängers von Hameln...und zudem kann man die Analogie weiterziehen zum FKK-Strand: ja, die Wahrheit ist wohl letztlich auch nackt, aber darum ist die Wahrheit und ihr offensives Ausposaunen noch lange kein Grundwert an sich, ganz im Gegenteil, die ''Wahrheit spricht zu uns ohne Geräusch von Worten'' und Taten, wie der, sich nackt auszuziehen, um sich wahr und frei zu fühlen. Das geht ohnehin nicht jedem auf und man kann es auch so sagen: es gibt den Terror der nackten und oftmals hässlichen Wahrheit. Wenn Nachbar Schmitz mit bleicher Bierwampe, welkem Peniskümmerling, bindegewebsfreiem Schlabberhintern und Ekzemen, die in der Sonne glühen, sich nackt in meinen Garten legt, mag das ja die nackte Wahrheit sein, aber wollte man darum wissen? Jedem ist die Wahrheit seines eigenen Stuhlganges bewusst, aber verrichten wir diesen darum in der Öffentlichkeit wie alles andere auch und fühlen uns DADURCH einer höheren Wahrheit verpflichtet? Wir ahnen schon: wenn wir Wahrheit aufwerten wollen, dann nicht in Richtung einer ''Politik'' der offenen Hose...)

An anderer Stelle schrieb ich schon vor Jahren im raumgewinner-blog nicht nur in der kleinen Reihe ''Wissen ist Licht'' über die Gefahren totaler Transparenz für die moderne Gesellschaft, sondern auch über die zu prognostizierende Tendenz dieses Überwachungswahnes: in einer Regierungsform, die Handel und Wandel ihrer Bürger elektronisch überwacht, ist der Schritt hin zum Ideal des vorausverdächtigen Bürgers ein bedenklich kleiner. Aufgrund stochastischer Überwachungsmodelle ist nicht nur verdächtig, wer bereits konspirativ tätig ist, sondern verdächtig ist ab sofort (bereits rückwirkend) JEDER Bürger. Vorausverdächtig dagegen wird er, wenn er, ohne intentional darum zu wissen, bestimmte Kriterien erfüllt, die ihn zu einem sicherheitsgefährdenden Faktor machen KOENNTEN. Allein weiß er vielleicht gar nicht, welche Kriterien das sind. Aber der Geheimdienst des ''demokratischen'' Staates weiß es bereits, da in seinen stochastischen Konjekturen bereits so gut wie alles nach den Regeln der Probabilität darauf hinweist, dass unser doch eigentlich unbescholten wirkender Mitbürger (bin am Ende ich es gar selbst oder sie da, lieber Leser?) mehr oder weniger kurz davor steht, in der ein oder anderen Weise radikal tätig zu werden, auch wenn dieser selbst, man wiederholt das gern, noch nicht darum wissen mag...

So und so ähnlich beginnt der Aufbruch in das Zeitalter des Tugendstaates. Wer in selbigem nicht alles von sich preisgibt, wird schon etwas zu verschweigen oder, im Jargon stupider Aufklärungsfanatiker und Geheimdienstler, etwas verheimlichen oder zu verheimlichen haben. Glauben Sie, dass man diese Ungewissheiten dem Zufall überlassen wird, wenn man doch ALLES wissen kann und möchte?...wie weit, frage ich meine Leser noch dazu, ist von da aus der Schritt hin von der Überwachung zur Kontrolle erst der Gesellschaft, dann der Gedanken?

Ordnung, Sicherheit, Kontrolle...das ist der hässliche Kontra-Dreiklang zu ''Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit''...

Ordnung, Sicherheit, Kontrolle...DAS sind die sogenannten Grundwerte der ''Demokratie'' des 21. Jahrhunderts, in dem offensichtlich wurde, dass alle Staaten der Erde unterschiedslos dem Herrschaftsideal der zynischen Herrschaft verpflichtet sind und immer schon waren. Ein wahres Kasperletheater, in dem das Stück ''Demokratie'' aufgeführt wird, und wir hoffentlich endlich reif genug werden, die im Schatten wirkenden Hände der Handpuppenspieler hinter dem mies vernagelten Bretterverschlag der Bühne zu erkennen.

Es darf nicht sein, dass die hohen humanistischen Werte der Aufklärung, dem letztlich auch das bundesrepublikanische Grundgesetz verpflichtet ist, verkommen zu einer Auswertung durch geheimdienstliche ''Aufklärung''...wir leben in traurigen Zeiten.

Wer noch mag, kann alte Verse aus alten Zeiten lesen:

http://raumgewinner.blog.de/2010/03/09/lichtes-historische-anmerkungen-genese-licht-avatare-8148517/

...nächstens mehr...

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Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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