Medium Minus Mensch

Menschenbild Erste Thesen zur Standortbestimmung des Menschenbildes im digitalen Zeitalter

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Ich möchte heute einmal in kurzen Thesen zusammenfassen, was ich in den letzten zweieinhalb Jahren in loser Form bereits in meinem Heimblog skizziert habe zum Thema des Verlustes des festgefuegten Menschenbildes in der digitalen Moderne. In den naechsten Wochen soll mein Blog sich vorrangig diesem Thema widmen. Leserkommentare, inspirierte Blogeintraege und konstruktive! Nachfuegungen sind ausdruecklich erwuenscht.

Generell:

Das Verhältnis des modernen Menschen zur digitalen Welt und ihren Medien (die letztlich allesamt DAS digitale Medium bilden), ist notwendig ein Verhältnis der Überforderung. Überfordert ist der Nutzer dabei im Grunde von allen Komponenten: der mittlerweise fast ubiquitären Verfügbarkeit des Mediums, der Beschleunigung des Mediums, dem Zusammenfall von Sender-und Empfängerlogik klassischer Medientheorien, dem Angebot an Rezeptionskanälen und der ihn absurd überschwemmenden Masse an In- und Exformationen und dem fehlenden Trennstrich zwischen ihnen.

(Als Exformation sei hier, in kurzer Fassung, eine ''Information'' definiert, die keinerlei wirklichen Nachrichtenwert hat, marginale Relevanz aufweist und zudem zeitlich von ephemerem Bestand ist, dazu unten etwas mehr.)

Erste Thesen:

-wir werden fortwaehrend beschleunigt und hyperinformiert. Immer mehr Informationen verbauen uns einen aus diesen Informationen doch eigentlich resultieren-sollenden Lernprozess, so dass wir schließlich in der Umkehr: exformiert werden (''Exformation'' gleich unnoetige Information, Null-Information, ein bloßer Informationsreiz. Zugegeben ein ''slippy term'', aber recht eigentlich weiß schon ein jeder digital versierte Leser ganz gut, was gemeint ist.

-das vermeintliche ''Wissen'' wächst ins Unermessliche an, jedoch wird der Mensch darüber nicht grundsaetzlich ''wissender''. Jede neue wissenschaftliche Information zB kann prinzipiell eine andere wissenschaftliche Information in ihrem Erkenntniswert neutralisieren. Zunehmend blockieren Information und Konter-Information sich selbst (Stichwort: globale Ratlosigkeit)

-das Gesamt-Bewusstsein von der Welt/um die Welt/der Welt wird immer groeßer, derweil die einzelnen Bewusstseinsakte des Menschen stumpfer werden (aus zuvielen Kanaelen stroemt zuviel Weltbewusstsein auf den Menschen ein) (andernorts forderte ich den Leser dazu auf, das Weltbewusstsein eines Erdzeitalters wie des Silurs oder des Devons mit dem der Steinzeit und anschließend wiederum mit dem der digitalen Moderne zu vergleichen). Grob ausgedrueckt: die Welt wird aus unzaehligen Myriaden von mehr Facetten wahrgenommen als zu frueheren Zeit, die Welt wird von Erkenntnis und Anschauung nahezu durchdrungen, durchleuchtet, durch-rechnet und virtualisiert. Die Welt kommt zu immer größerem Bewusstsein, erschließt sich dabei dem Menschen aber zunehmend allein noch in der REZEPTION von Bewusstsein

-die modernen Technologien durchleuchten alles zunehmend lückenloser. Die Ueberall- und Allessichtbarmachung der Dinge und Menschen fuehrt zu einer Gesellschaft und Welt der totalen Transparenz (das Entzogene wird das Unheimliche wird das Dunkle und Verdaechtige wird das zu Richtende, im Zweifel: zu Entfernende sein)

-die digitale Technik entfernt sich mit Rasanz vom Menschen. Diese Technik wird zunehmend nicht mehr hand!habbar, sondern entwickelt sich selbst. Der Antrieb der Entwicklung dieser heranwachsenden Intelligenz ist die Technik selbst, nicht mehr der Mensch, der die Prozesse dahinter nur noch beobachtet und erst DANN versteht

-die Gesellschaft wird zunehmend so beschleunigt, dass das Fenster der Vergangenheit immer kleiner wird. Nicht nur, dass alles zunehmend reine Gegenwart wird, verstaerkt sich die Beschleunigungsdynamik derart, dass sie unsere Perspektive zunehmend allein nur noch auf die allernaechste herannahende Zukunft lenkt. Die Gesellschaft handelt prä-emptiv und entwickelt prophylaktisches Vorausverhalten (vergleiche die Vorratsdatenspeicherung, das Durchleuchten oeffentlicher Plaetze mit Kameras etc).

-Zusammenhaenge werden nicht mehr tiefer durchdrungen. Die Zeit zur vertieften Analyse ist nicht mehr vorhanden. Panik- und Ersatzhandlungen bestimmen zunehmend die wichtigsten Aktionsfelder der Gesellschaft: Die Politik und die Wirtschaft. In der Hysterisierung der Ablaeufe geraten einem Alternativen gar nicht mehr in die Augen. Der gehetzte panische Blick findet keinen Ruhepunkt, den die geduldige und besonnene Analyse fast notwendig immer liefert. Derart werden wir kurzsichtigen und eindimensionalen Entscheidungen zB der Politik ausgeliefert

-globale zusammenhanglose Verhaeltnisse sind charakterisiert durch einen sehr niedrigen Durchdringungsgrad. Die Dinge werden nicht mehr gruendlich verstanden, der unaufloesliche Rest, fuer den man sich keinerlei Zeit mehr nimmt, wird groeßer und groeßer

-dies laesst den Menschen notwendig verdummen. Eine Ueberflut von In- und Exformationen gekoppelt mit einer drastischen Verkuerzung der Reiz-und Informationsverarbeitungszeit laesst uns bei gleichzeitigem Vorhandensein multipler Unterhaltungs- und Betaeubungsreize mit Notwendigkeit duemmer (oder ''smart'' werden, was in letzter Konsequenz dasselbe ist). (Dies uebrigens eine These, die den meisten Menschen derart wehtut, dass sie die notwendig darausfolgende Konklusion ablehnen und das Gegenteil behaupten)

-die Auslagerung, das schiere Out-Sourcing von Wissen und Daten in die ''Maschinen'' und digitale Clouds entlastet unser Hirn so, dass es noch mehr Exformationen und Reize aufnehmen kann und noch mehr Wissen auslagert, denn das kann man ja woanders externalisiert speichern, es reicht dann ja, wenn man weiß, wo man nachschauen muss. Die dadurch freiwerdenden Hirnkapazitaeten allerdings, dies die schlechte Nachricht, werden nicht fuer tiefere Reflektion und Analyse von Zusammenhaengen frei, sondern vorwiegend fuer taube Reize und ''entertainment units''. (Es ist ein bunter Hund des Beispiels, aber er greift: wer zwei Jahre lang mit einem Navigationsgeraet Auto gefahren ist, wird danach nie wieder oder nur noch unter der uebelsten Begleitung der Neulern-Angst OHNE Navi Auto fahren.)

-die Gesellschaft, ueberhaupt der digital-moderne Mensch, wird über die nächste Zeit flacher, oberflaechlicher und simpler (''smart''). Die vielen multiplen undungezählten Kanäle lassen ihn nicht lang bei einem Gegenstand verweilen. Klickkompetenz und attention-zapping sind die neuen Stichwoerter der Zeit. ''Vertiefung'' ein Begriff, den kommende Generationen nicht mehr verstehen werden. Was wir nicht mehr ordnen koennen, mwird uns nicht mehr klüger machen. Wir werden smart, aber dumm sein. Das Humorverstaendnis wird flacher, allein Zynismus ist der Witz der Neuzeit. Feinere und subtile Spielformen des Humors sterben nach und nach aus.

-alles muss immer schneller neu sein und erneuert sein. Die Novizität ist DAS Charakteristikum dieser ''Epoche''. Die digitale Gesellschaft laesst alles Statische und Stagnierende schnellstmoeglich antiquiert erscheinen. Traditionen verlieren ihre Bedeutung, das laesst auch keine Schichtenbildung von Ereignissen mehr zu, jedes Ereignis clustert sich letztlich einfach an das nachfolgende an. Statt einer fossilienähnlichen schichtartigen Ueberlagerung (die Historie und Geschichtsbewusstsein ermöglicht) kommt es zum Mash-up, zur absolut arbiträren Synthese von Ereignissen, die zeit- und ansonsten absolut zusammenhanglos nebeneinander im Raum stehen.

-Abkehr, Isolation und Eremitentum werden nicht mehr moeglich sein, da in einer durchleuchteten durchdigitalisierten Welt Entzug nicht mehr moeglich sein wird. Die Unmoeglichkeit einer Insel ist in Zeiten der Vernetzung und des zunehmenden Vernetzungsdrangs offensichtlich. Der digitalen modernen Welt entzogen und entrueckt zu sein, könnte in nicht allzu ferner Zukunft bereits einen terroristischen Akt per se darstellen (oder aus einer dem entgegengesetzten pervertierten Systemlogik heraus die anzunehmende Hoechststrafe fuer einen Delinquenten sein)

-wir verlieren das Substantielle am Mensch-Sein: die Schwere, die Vertiefung, die Handlichkeit, das Handwirken, das Ueberschauen, das (Ein)Ordnen, auf Dauer vielleicht gar den Koerper und dergleichen mehr. Die Stringenz der digitalen Entwicklung und der Schleifung physischer Barrieren, die daraus resultiert, wird auf Dauer notwendig auf den menschlichen Körper zurückwirken.

-alle widrigen Faktoren dagegen, deren Bewaeltigung den Menschen schon seit der Ur- und Fruehzeit seiner Evolution auszeichnet, züchten wir uns in einer Art Umkehrung der Verhältnisse zu neuen Stressoren heran: die Geschwindigkeit, die Reizverarbeitung, die Mobilitaet, die Flexibilitaet: alles Apekte, die der Mensch vorzueglich bewaeltigen konnte einst, indem er sich ihnen anpasste und akkulturierte. Nun aber beschleunigen und verstaerken wir diese Aspekte DURCH Technik, beschleunigen diese Faktoren sogar noch in extremo und können sie dann erst recht nicht mehr bewaeltigen oder benötigen hinwiederum Technik als Hilfsmittel, ebendiese technikgenerierten beschleunigten Faktoren zu bewaeltigen, ein circulus vitiosus. Gerade auf dieser Spur verlieren wir unsere menschliche Konstante und transformieren uns zu etwas anderem, das nicht mehr genuin Mensch ist bzw Mensch sein wird

-dies fuehrt notwendig im Übergang zu einer Synthese zwischen Mensch und ''Maschinen'', bei der nicht mehr klar ist, welche Rolle der Mensch in alledem noch spielt, was noch Menschbewusstsein und was schon ''Maschinen''bewusstsein ist. Die Technik (um vom leidigen und unangebrachten ''Maschinen''-Begriff wegzukommen) stellt bereits die Größe, die sich als handlungs-und alternativen-souveraen entpuppt und entpuppen wird, nicht der immer hysterischer und unreflektierter handelnde Mensch

Es ist mir sehr wichtig festzuhalten, dass diese ersten im groben Abriss skizzierten Ausfuehrungen weder kulturpessimistisch noch genuin misanthropisch sind. Sie sind anthropo-pessimistisch. Was der Mensch noch darstellen will und ob er überhaupt noch selbst-bewusst irgendwohin will oder bald schon das in diesen Zeiten neu entstehende Bewusstsein, (das nicht mehr rein anthropogen generiert ist) ihn irgendwohin will...noch kann der Mensch selbst darüber befinden.

...naechstens sicher mehr...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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