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Freitag-Community 'Hättest du doch geschwiegen'...so aber: eine einmalige Anlasserregung über die Auto-Referentialität einiger arrivierter Freitags-Blogger (und Schluss)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

''Das haben andere schon vor mir gewusst: doch ich muss reden, auch wenn ich schweigen muss...''

Tocotronic, Ich muss reden, auch wenn ich schweigen muss

Es ist ein Phantomschmerz vieler Intellektueller der Gegenwart, sich nicht, obwohl man doch so gern würde, der vielen hysterischen Debatten enthalten zu können, die digital beschleunigt um einen kreisen. Das inszenierte Distanzieren wird allerdings zum Problem, wenn es außer einem selbst keiner merkt. Die klügste Art und Weise auf ein bestimmtes Thema, das wie die letzte Sau durch ALLE Medien, Talkshows und Beiträge gejagt wird, nicht explizit einzugehen, ist zugleich die schwierigst zu exekutierende: es ist das Schweigen.

Wenn ich ueber ein Thema, das alle aufregt, schreibe, nur um durch meinen Text zu bekunden, dass ich mich darüber aufrege, dass das Thema ALLE aufregt, dann verhalte ich mich zu meiner zu inszenierenden Distanz komisch und gerate zum Hanswurst meiner nobel gemeinten Enthaltungspose.

Wahrhaft weise den Themen, die einfach nur nerven, entzogen bleibt der, der sich zu ihnen nicht auch nur ansatzweise äußert. Dieser wird zwar außer von sich selbst in dieser Haltung von niemandem sonst mehr bemerkt, aber er bleibt sich selbst gegenueber inkorrumpierbar, was doch ein hohes Zeugnis sein will in diesem totgequatschten Zeitalter. Hier also meine Hommage an die wenigen, die derart weise stillschweigend unter uns weilen und stellvertretend die Schmerzen derer erleiden, die ihre Dummheit lautstark in Texten äußern. Dummheit tut naemlich definitiv weh, aber leider immer nur ihrem unfreiwilligen Empfänger, nie ihrem Absender.

Si tacuisses...auch wenn ich vielleicht nicht notwendig Philosoph bleiben wollte. Was ich gegen meine Feinde wende, wird sich für heute leichtfertig gegen mich selbst richten...es ist wie mit dem Anklagefinger, der weiter unten noch einmal Thema sein wird.

Mir wird allerdings auffallen: mein Kollateralnutzen, wenn man ihn denn als solchen empfindet, wird sein, dass die Leserzahlen für ein, zwei Tage anschwillen und die Kommentare erblühen. Welches mir dann aber wiederum, wie an den anderen 364 Tagen des Jahres schmerzlich egal sein soll, denn daraus folgt nichts.

Es wird mir nicht gelingen, so weise zu sein, widerstrebende Kommentare unerwidert zu lassen oder aber ich habe wohlmeinende Kommentatoren, die zu meinen Advokaten werden und vielleicht Argumente oder wahlweise subtile Repliken finden, auf die ich selbst nicht gekommen wäre. Oder der Text ist spätestens nach 100 Kommentaren in seinem Ursprungsansinnen zerschossen (willkommen im Zeitalter digitalen Editierens) oder er wird aus Trotz nicht oder nur spärlich kommentiert, weil der Autor dieser aergerlichen Zeilen schon im Vorhinein eitel und anmaßend auf Kommentare reflektiert.

Einmal also, sage ich, möchte ich mich entgegen feierlicher Vorsätze mir selbst gegenueber aufraffen, meiner gemütlichen Erregung ein Ventil zu verschaffen und den einzigen autoreferentiellen Freitag-Beitrag schreiben, der je aus meiner Tastatur soll ans Licht der Leserwelt treten. Das soll es hiermit dann auch schon gewesen sein. Vielleicht noch ein kleiner Tee zum Nachklang in den Kommentaren, aber dann: Schluss. Ich brauche solche Selbstversicherungs-Schutzklauseln. Hübsch und modernem Schreiben angemessen erschiene es auch diesem Text eine Versuchsanordnung zum Fundament zu geben.

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Ach, worum geht es eigentlich jetzt?! Stellen wir uns vor, eine Wochenzeitung gibt ihren Lesern auf einem digitalen Forum Gelegenheit, journalistisch tätig zu werden (was immer das auch heißen mag) und auf ebendiesem Forum zu publizieren nach Herzenslust. Man lasse dieses Forum ein paar Jahre gewähren und stellt dann fest: das Forum ist so ziemlich zum Fitness-Studio für Bauchnabelkreiser und Forenkritiker geworden. Die Autoren hauen sich zu guten Teilen die privaten Launen und Mißliebigkeiten in einer Art und Weise um die Ohren, dass es (was immer ''es'' sein mag, im ungünstigeren Falle das Schreiben) einem darüber vergeht.

Irgendwann dann kommt es zu einer bizarren Inflation von Texten zu den landläufigen und dorfweltlichen Themen wie Gender, Augstein, Broder, Augstein-Antisemit (DIE Debatte läuft im Grunde SOEBEN schaurig heiß, es scheint hier um Wesentliches zu gehen, besagte Autoreferenz-Blogger bekommen hier Themen-Kost und Logis auf gefühlte 5 Jahre hinaus!), Judith Butler, Freitags-Community, Texte über Freitags-Autoren, deren Namen ich hier lieber nicht nenne, die Krise der Zeitung im Allgemeinen und dergleichen ähnlicher Belangliebigkeiten mehr...sowas traegt man dann zu guten Teilen auch gern in den Kommentaren zu diesen Texten aus und kann später wieder, Inspirationsausbrüche erfolgreich prokrastinierend, in Umwandlung des schreibdynamischen Energiepotentials noch nicht verrauchter Wut über eine Kommentarohrfeige einen ''neuen'' Text zu einem autoreferentiellen Thema vierten Grades zusammenkleistern. Das ist dann mit Notwendigkeit schon wieder gute Voraussetzung für eine artige Viertelstündchenlektüre, bei der man allerdings mindestens eine weitere Stunde für das Scrollen der Kommentarkilometer einkalkulieren sollte, wenn es einem danach verlangen sollte, altbekannte Streithähne ihre personellen Animositäten coram publico, mal mehr, meist weniger stilvoll austragen zu sehen.

Ganz wesentlich erquicklich erscheint es vielen dieser Kombattanten, von denen jeder halbwegs beschlagene Leser sogleich weiß, welche Esel man hier meint, während man den Sack schlägt, auf Augstein-Texte zu kommentieren, denn das verspricht augmentierte Aufmerksamkeit. Und um wieviel feiner, wenn der Meister darselbst sich einmal zu einer Replik herablässt. Da leuchten die Kommentatoren-Augen voller Freude, was der Kommentator aber dadurch zu verstecken weiß, dass er nun nur noch kritischer auf Augstein antworten wird, um am Ende zu verlangen, dass man selbst doch gern dauernder Autor für die Printausgabe würde. Und sich später ärgert, wenn man liest, dass Der Freitag Redakteure und Autoren für seine Print-Ausgabe streichen muss. ''Oh schade, jetzt müssen die auf mich verzichten.''

Es könnte auf den noch einigermaßen unbefangenen und unbeteiligten Leser dann so wirken, als müsse Der Freitag in diesem üblen Spiel als moderierender Schiedsrichter eintreten, der auch mal dem ein oder anderen unter diesen Kombattanten sein ''veto'' aussprechen muss (ihn also als User sperren, nur wie es mit den Quaelgeistern so ist: meistens kommen sie wieder, diese Wechselbalger). Das hat den Vorteil, dass man danach wieder wortreich, aber ideenlos ''ZENSUR'' schreien kann und sich wieder darüber aufregen, dass Der Freitag...etc., wir landen mit Verlass in der Bauchnabel-Spirale.

Der Bauchnabel erinnert mich dann auch daran, wie hoch die Geisteslage vieler Texte im Forum ungefähr zu verorten ist, von den Füßen aufwärts ''gerechnet''. Da gibt es zB die gefaelligen Claqeure so manchen Vielschreibers hier, die wie ein Fliegenschwarm dem frischest abgesetzen Dung hinterherziehen und ihren jeweiligen Lieblingsautoren, der die wirren Zusammenhaenge soviel besser darstellen kann als sie selbst, in tosend beifälligem Brummen hinterherziehen, dass es keine Freude ist. So fängts dann in mancher Kommentarleiste nach Absetzen eines Kommentares dieser Symbiose-Gruppe nicht nur an zu stinken, sondern auch zu brummen. Man erkennt die beifälligen Brummer meist an so inhaltsreichen Sentenzen wie: ''Wundervoll, lieber xy, heute laufen Sie wieder zur Höchstform auf.'' und sehen dabei von unten, von den Füßen aufwärts gerechnet, in Richtung der Körpermitte ''ihres'' Autoren hoch (oder seinen Bauchnabel).

Darauf mag man den Beifallbrummern erwidern: ''Nun ja, Höchstform ist eben das, was jemand mit seinen Mitteln zu erreichen vermag.'' Minderbemittelte Autoren laufen also konsequent mit ihren minderwertigen Texten, da sie besseres nicht hervorzubringen vermögen, zu der ihnen gemäßen Höchstform auf.

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Es mag nun wie ein wesentlich komisches Unterfangen anmuten, die Auto-Referentialität zu kritisieren, indem man selbst auto-referentiell wird. Dazu verweise ich jedoch ein letztes Mal auf obige Schutzklausel zur Einmaligkeit meines Schreibanlasses, die ich mir allein schon zur Aufrechterhaltung des eigenen Seelenfriedens ausbedungen habe.

Dazu muss ich mich, sicherheitsbedürftig wie ich es nun einmal gar nicht bin, zudem dagegen versichern, dass man mir inhaltliche Mängel in bezug auf die auto-referentielle Debatte unterbreitet. Dafür kann ich nichts. Ich verfolge die auto-referentiellen Debatten nicht derart aufmerksam. Wie jeder fuehlende Mensch ergeht es mir nur so, dass ich mich trotz selbstattestierter Indolenz nicht immer eines gewissen thymotischen Gefühles enthalten kann, wenn ich auf diesem Forum lese, was ich nicht lesen muss.

Würde man meinen Text jetzt wider Erwarten doch bis hierhin gelesen haben und mich fragen, was mich denn teils so stört, dann könnte ich u.a. antworten, dass den ganzen Bauchnabeldebatten hier auch immer so ein ätzender Unterton zugeordnet ist. Zynismus ist schon ok, aber...ich sag es mal anders: intellektuelle Debatten bestechen durch Schärfe, schwachgeistige Rechthaberdebatten dagegen sind ätzend und so ist ihr Ton. Ein ätzender Ton grundiert die ganze Debatte...einige dieser Auto-Autoren trollen sich zudem unglaublich gern.

Wenn eine Debatte über einen Text zu persönlich wird, heißt das mustergültige Rezept jedes einigermaßen klugen Gesprächsteilnehmers: abwenden und schweigen. Sich ins Persönliche verlaufende Debatten gehen nach einer Weile mit Verlass immer in Nähe der Hosennaht und so klingt/duftet es dann oft auch nach offener Hose, was dem ein oder anderen Kombattanten da als Replik noch so einfällt.

Nun mag es solche Autoren geben, die hingehen und ihre ätzenden Troll-Ton vor jeder Diskussion direkt über einen Autoren ausgießen. So neulich betrachtet bei einer Autorin auf diesem Forum, die, nennen wir sie Martha, einer Neu-Autorin des Freitags, die sich über verkrampften ''Feminismus'' (das Wort gehört hier wie ueberall andernorts in Anführungszeichen) echauffierte und infolgedessen der Jungautorin vorwarf, sie sei sicher ein alter Mann und keine Frau, wenn sie so etwas schreibe. Das ist dann ein Ätzhaltigkeit des Tones, die junge neue Autoren auf diesem Forum nur vergraulen kann. Viel bezeichnender aber, dass hier einer klugen Autorin die Berechtigung nicht nur zum Schreiben, sondern sogar zur ihrer Identität abgesprochen wird, weil sie es mal erfrischend anders sieht. An der Stelle erledigte zum Glück ein affiger Leser den Martha-Kommentar durch die geniale Replik, man könne dann ja auch aufgrund ihrer Morosität vermuten, dass Martha in Wahrheit ein schreibendes altes Reibeisen sei.

(Wer diesen kleinen Exkurs nun für diffamierend hält, wird eingestehen müssen, dass keine Verlinkung erfolgt ist und betroffene Person schon ganz gut selbst weiß, dass ein derart ausgestreckter Zeigefinger mit dem Ruf ''Diffamierung'' nach bester Anekdote drei Finger ihrer anklagenden Hand auf selbige Person zurückweisen lassen würde.)

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Entweder steht dieser Text nun so im Raum oder die Kommentare erledigen den Rest für ihn. Vergessen Sie bei alledem nicht, lieber vermuteter Leser: Humor ist, wenn man trotzdem nicht lacht!

Wenn man sich Feinde schaffen will, damit man in einer Welt voller Freundschaft und Netzwerk-Agitation einmal in Stimmung für den Kontrast kommt, kann man zudem durch einen solchen Text willkommene Feindschaftsanfragen an ''unbekannt'' addressieren.

Ein dämonischer Text, der klüger wäre als sein Autor, wäre derjenige, der dem Autoren bei seinem Absetzen noch zuruft: lass bloss die Finger davon, mir zum Advokaten zu werden, ich stehe für mich selber ein! Sei klug, lass mich allein einstehen und spar dir die verläppernden defensorischen Kommentare, das können die anderen machen.

Ein dämonischer Text, dies vielleicht die letzte Verwahrung, schützt sich also selbst dadurch, dass er nach seinem Verfasstsein seinem Autoren vehement den Heimweg weist und sich wie ein verlorener Sohn von ihm abwendet. Er züchtet sich, weil er es für dies eine Mal so möchte, die prognostizierbaren Äußerungslaunen seiner Leser heran, (und eröffnet vielleicht zu dieser einzigen Gelegenheit den weiten Kommentarraum zu einer therapeutischen Äußerungsplattform für Unwillige)...und schlägt zugleich tänzerisch eine Volte zu einem ganz anderen Thema, versprochen weit weg von jeder Auto-Referentialität...

...davon aber nächstens mehr...

P.S.: wenn Sie nun vermuten, dass hier im Grunde ganz schön viel über eigentlich gar nichts geschrieben wurde und auch sonst ''finden'' (dies immer Ausweis der übelsten Autoren ''Ich finde, dass...''), nun wenn Sie also jedenfalls bei sich denken:

''Sich auf diesen Text noch was zu denken ist scheiße'', dann bitte beachten Sie, dass es einem mit den eigenen unliebsamen Texten immer so ergeht wie mit dem Peter, der kein Wunschkind war: man hat ihn nicht nachgerade gewollt, aber nun ist er einmal geboren, da wollen wir ihn doch behalten.

Letztlich entzieht sich das völlig meiner Schuld, dies ist ja allein ein auto-referentieller Text über Dinge, über die zu schweigen weiser gewesen wäre!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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