Transparenz-ins rechte Licht gerückt!

Digitale Stasi Diskretion im Privaten, Transparenz im Politischen

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''Gerechtigkeit soll herrschen, moegen die Schelme in der Welt auch darueber zugrunde gehen''

...so uebersetzt Immanuel Kant etwas frei in seiner sehr modern wirkenden Spaetschrift von 1795 ''Zum ewigen Frieden'' eine der klassischen Statuten des alten roemischen Rechtes, die im Original lautet:
''fiat justitia, pereat mundus.'' Kant fuegt allerdings, fast prophetisch, dem ''mundus'', der ''Welt'' also, noch die entsprechenden Schelme hinzu, die der lateinische Spruch nicht explizit wiedergibt. Aber Kant hat ganz recht, das so zu uebersetzen.

In seiner Altersschrift verweist Kant bereits auf das demokratische Prinzip der Transparenz und der Publizitaet. Was genau ist Publizitaet? Publizitaet ist die vollstaendige Offenlegung aller Regierungs- und Staatsvertraege und -aktionen vor das republikanisch-demokratische Volk. Es darf zB, nach Kant, in den Friedensvertraegen nach Friedenschluessen keine GEHEIMartikel mehr geben, von denen das Volk nichts erfaehrt und die nur die Regierenden kennen (wie es zu Kants Zeiten ueblich war. Diese Geheimkommen waren letztlich immer schon abgesprochene Vorbehalte zum naechsten Kriege).

Lassen wir, immer unsere digitale Moderne und das Phaenomen Wikileaks und Whistleblower im Hinterkopf, noch einmal Kant selbst zu Wort kommen:

''Ohne diese Form der Publizitaet (...) wird es keine Gerechtigkeit, die nur als ÖFFENTLICH KUNDBAR gedacht werden kann, geben.''

Abgesehen davon, dass die Hervorhebung des ''ÖFFENTLICH KUNDBAR'' hier durch Kant selbst erfolgt, liest sich dieser Satz auch additiv zum Eingangszitat. Herrscht keine Publizitaet, herrscht auch keine Gerechtigkeit. Dann aber sind die Schelme, die der Welt die Gerechtigkeit vorenthalten, die Regierenden, seien sie Monarchen, Despoten, Diktatoren oder Oligarchen oder, was zunehmend aufs Selbe hinauslaeuft: repraesentativ-demokratisch gewahlte sogenannte Volksvertreter: legen sie nicht ALLE Staatsgeschaefte dem wahren Souveraen ''Volk'' offen, sind sie alle miteinander falsche Bekenner und verdienen es nicht, ein Volk, das nach Gerechtigkeit lechzt, zu regieren.

Kant wird noch deutlicher und stellt eine eigene Statute auf:

''Alle auf das Recht anderer bezogenen Handlungen, deren Maxime (Richtschnur) sich nicht mit der Publizitaet vertraegt, sind unrecht.'' und etwas weiter:

''denn eine Maxime, die ich nicht darf LAUTWERDEN lassen, ohne dadurch zugleich meine eigene Absicht zu vereiteln, die also durchaus VERHEIMLICHT werden muss, wenn sie mir gelingen soll und zu der ich mich nicht ÖFFENTLICH BEKENNEN kann (alle Hervorhebungen auch hier von Kant), ohne dass ich dadurch den Widerstand aller gegen meinen Vorsatz reize, (...) kann nur der Ungerechtigkeit entstammen.''

Der Ich-Sprecher ist hier der Regent, der dem Volk seine Maxime sich vorzubehalten entschließt, da er sich sonst in seinem politschen Handeln beschraenkt saehe. Er handelt derart also dem Prinzip der Publizitaet zuwider.

Kants Spaetschrift selbst erscheint im Lichte ihrer eigenen Publikation wie eine Trotzschrift gegen die Zensur und anti-publizistische Pressepolitik der preußischen Regierung Friedrich Wilhelms des Zweiten.
Kant hatte seine sehr freimuetige und mutige Schrift, die u.a. auch begruendet, wann eine republikanisch-demokratische Revolution gegen einen Despoten gerechtfertigt erscheint, der scharfen Zensur vorlegen muessen. Bereits 1792 war in Preußen ein verschaerftes staatliches Zensuredikt erlassen worden. In den Jahren 1792-95 wurde Kant mehrfach von der Zensur ermahnt, seine Schrift ''Ueber das radikal Boese'' gar komplett zensiert und der Veroeffentlichung entzogen. Wie und in welcher Form er allerdings ''Zum ewigen Frieden'' doch ohne jegliche Einschraenkung durch die Staatsschere bekommen hat, das lest doch am besten selbst.

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Treten wir nach diesen doch etwas steifgeratenen Vorab-Betrachtungen etwas naeher an das hochaktuelle Phaenomen der Whistleblower heran.

In der Weise, in der zB Wikileaks und weitere selbstentschlossene Whistleblower dem Prinzip der Publizitaet folgen und Staatsgeheimnisse und -haendel offenlegen und sozusagen laut machen, erweist sich, dass das Prinzip der Ausleuchtung, einer gewaltigen und gewissermaßen gewaltsamen Aufklaerung, hier, im Gegensatz zum immer sogenannten und gehypten ''Google-Projekt'' das intellektuell redlichere und das für die Gesellschaft ungemein Relevantere ist.

Was via Google und bei zB facebook im Privaten dank der Naivität ihrer User zum Ausleuchten vielfach delikater Peinlichkeiten und privater Petitessen fuehrt, ist dagegen bei Wikileaks und den Whistleblowern die gerechtfertigte Gegenwendung des Lichtprinzips gegen den Staat und die Wirtschaft, die es sonst sind, die uns fortwährend und in konzertierter Aktion ausleuchten und erspaehen.

Der Staat selbst begruendet dieses Ausspaehen und Auffindigmachen oftmals nur mit dem reinsten und grade dadurch boesartig-kuehlem Pragmatismus: so werde angeblich die oeffentliche Sicherheit garantiert. Kollateralnutzen: der Buerger laesst sich auch bestens in der Überwachung ''verwalten'' derart.

Auch die datengeile Wirtschaft leuchtet uns aus und bringt die meisten willfaehrigen Konsumenten dazu, sich auszustellen und zu exhibitionieren, damit sie sieht, wie diese Konsumenten ticken, was sie kaufen und was sie kaufen werden und was sie, fast algorithmisch notwendig, kaufen werden MUESSEN, wenn man sie nur gut genug darauf konditioniert. (So zB werden aus Kaufempfehlungen (recommends) Kaufbefehle (re-commands!).

Waehrend also Google bloedsinnig die ganze Welt und jeden Kuhhaufen photographiert und von den smartphone-usern photographieren lässt und uns zeigt, an welcher Ecke in Singapur der naechste Tierfutterhandel oder wo in Bamako 1643.26km von meinem Ausgangspunkt in Nouakchott die naechste oeffentliche Toilette ist und facebook den dauerspaßverkrampften Visagen eine Plattform bietet, auf der sie ihre Belanglosigkeiten austauschen oder noch die kleinste Demo zur ''Revolution'' aufpumpen koennen durch 4.000 likes, wenden die Whistleblower das Durchleuchtungs-Prinzip viel politischer an: es blendet und durchleuchtet nicht den Bauchnabel und den Unterleib des freien Bürgers, sondern das Licht wird dahin gewendet, wo gegen die Regierenden und deren Praktiken gewendet und das ist ein großes Verdienst!

Hier! liegt verdienstvolle Transparenz, hier! werden die Schelme durchleuchtet und wehren sich dagegen. Denn DAS muss doch wirklich Politikum sein, wenn die Regierungen durchsetzen, dass zB Server gesperrt werden, ueber die Wikileaks laeuft und viele Internet-Plattformen zu gefaelligen Vollstreckern des pragmatischen Willens der amerikanischen Regierung werden.
Fuer die politische Harm- und Ahnungslosigkeit von facebook und Konsorten spricht, das man eigentlich jeden amerikanischen Politiker bei facebook findet, aber die Mehrheit von ihnen Wikileaks verabscheut. Dies macht sich nicht zuletzt daran fest, dass eine ganze Politikerschar sich zur Großinquisition gegen Assange (und nun im aktuellen Kontext Edward Snowden) aufspielt und ihn zum Staatsverraeter denunziert. Wuetendere Stimmen im amerikanischen Kongress (und es sind nicht wenige) fordern zudem konsequent und nichtmal zynisch die Strafe ein, die auf politischen Hochverrat steht: die Todesstrafe.
Da muss also einer den Schelmen der Regierung ordentlich vor den Karren gepisst haben, wenn sie derart reagieren.

Es ist auch zunehmend mit dem Prinzip der sogenannten Netzneutralitaet nicht mehr weit her. Das Netz wird, gerade auch wegen des Phaenomen der Whistleblower, wird nicht das der Politik unangreifbare Traumland bleiben. Die westlichen Regierungen werden sich dem chinesischen Prinzip der Filterung, Zensur und offenen Überwachung anschließen, wenn es ihnen im wahrsten Sinne des Wortes zu bunt wird.

Das Internet wird zunaechst, noch viel totaler als wir es jetzt gewohnt sind (und das will was heißen!), kommerzialisiert, verschiedene große Versorger werden Rechte an der ''Netz-Versorgung'' erwerben und man wird zudem beginnen, die ''Versorgung'' ueber Companies gehen zu lassen, die uns gegen ein Entgelt damit versorgen, gleichzeitig aber selbst entscheiden, welche Seiten sie sperren und welche nicht.
In den USA haben jetzt schon zwei Mobilfunk-Anbieter gezeigt, wie sich sich das Ganze fuer das Mobilfunk-Internet vorstellen und sind damit auf sehr offene Ohren gestoßen. Der Staat verdient an der ganzen Chose Geld, kann mit in die ''Netzpolitik'' hineinmanipulieren, den Rest regeln dann wie gehabt die kalten rauhen Gesetze des Marktes. Unliebsames wird einfach abgeschaltet bzw Widerspenstigem wird gar nicht erst eine Plattform geboten. Wer wollte da von Zensur sprechen? Es ist doch nur eine gewisse Form des digitalen Raumverlustes...

Vor allem werden wir zahlen muessen fuer die Angebote im Internet und zwar fuer alles: netzneutrale Grundversorgung? Pah! Wir muessen nur erst noch eine kleine Weile laenger konditioniert werden auf all die bunten Bequemlichkeiten des Internets, dann werden wir bald auch facebook, Google und Konsorten gegen Bezahlung hinnehmen, wenn wir zum Bezahlen gezwungen werden. So werden Staat und Wirtschaftskomplex im großen eintraechtigen Zusammengriff ihrer Faehigkeiten den Wutbuerger, den Internet-Aktivisten und das Volk als den sogenannten Souveraen zuegeln und uns nochviel besser ''ausleuchten'' können.

Und die meisten, die jetzt noch darueber lachen, wie angeblich unbeholfen und ahnungslos sich die Politiker-Kaste gegenueber dem Internet verhaelt, werden sich dann die Augen reiben, wie ''avantgardistisch'' weit ihnen die Politik wahrscheinlich schon immer voraus war, als sie noch darueber lachten, wie unbeholfen und technisch peinlich die Website des Politikers oder der Partei xy doch sei...

Es bleibt nun zu hoffen, dass das Gegenlicht staerker ist, das zB Wikileaks und selbstentschlossene Whistleblower wie nun Edward Snowdon setzen und dass die Schelme in den Weltregierungen zugrundegehen, damit Gerechtigkeit herrscht. Wahre Aufklaerung richtet sich von nun an gegen den pseudo-demokratischen, verlogen moderaten oekonomisch-politischen Komplex der westlichen politischen Moderne. Gegen die pragmatisch fusionierte Wirtschaftspolitik der Oligarchen und den neu entstehenden Feudalismus.

Diskretion im Privaten, Transparenz im Politischen, das ist das einzig taugliche Gleichmaß, diese zunehmend verkommende Gesellschaft wieder auf bürgerrechtlich stabile Fueße zu stellen...

(Abschließend sei der interessierte Leser noch darüber aufgeklärt, dass ich diesen Text, nur leicht verändert, bereits am 26.12.2010 auf meinem Heimblog veröffentlicht habe. Damals ging es mir darum, noch unscharf wirkende, aber bedeutsam bedrohliche Entwicklungen aufzuzeigen, die sich in diesen Tagen in ungleich schärferen Umrissen dem Auge darbieten...)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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