Bringt Transparenz herzustellen Verantwortung mit sich? Zehn Jahre nach ihrer Gründung muss sich die Enthüllungsplattform Wikileaks dieser Frage stellen. Zur Geburtstagsveranstaltung in der Volksbühne in Berlin hat Wikileaks deshalb einen Stargast angekündigt. Aus der ecuadorianischen Botschaft in London soll im Laufe des Vormittags der Wikileaks-Initiator Julian Assange live zugeschaltet werden.
Die Plattform war in den letzten Monaten heftig in Kritik geraten. Unter anderem wurde dem Projekt vorgeworfen, sich für russische Propaganda missbrauchen zu lassen, laxen Datenschutz zu betreiben – und unreflektiert Daten zu veröffentlichen. Auch deshalb ist das Interesse an diesem Vormittag vermutlich so groß. Zu Unrecht, denn am Ende wird Assange viel reden, aber nichts sagen.
Moderiert wird die Veranstaltung von Assanges Mitarbeiterin Sarah Harrison. „10 Jahre, 10 Millionen Dokumente“ ist der Titel, er nimmt Bezug auf die Veröffentlichungen seit der Registrierung der Website 2006. Immer wieder hatten Enthüllungen auf Wikileaks in den letzten Jahren für Aufregung gesorgt. Über die Website wurden zum Beispiel interne Militär-Dokumente veröffentlicht, die die zivilen Toten der US-Amerikanischen Kriege aufzeigten. Das Projekt Guantanamo wurde genauso bloß gestellt, wie Überwachung durch die NSA. Für viele Aktivisten war das „Projekt Wikileaks“ ein Versprechen für mehr Transparenz von Machtstrukturen und mehr Sicherheit für Whistleblower. Darauf verweisen Harrison und ihre Gäste.
Allerdings regte sich in den letzten Jahren immer mehr Kritik an der Plattform – auch von ehemaligen Mitarbeitern. Daniel Domscheit-Berg, der jahrelang mit Assange zusammen gearbeitet hatte, klagte in seinem Buch „Inside Wikileaks“, Assange baue hierarchische Strukturen in der Organisation auf. Zuletzt sorgten Veröffentlichungen aus der Parteizentrale der Demokraten für Aufregung: Kritiker warfen Assange vor, mit den Veröffentlichungen die Kanditatur von Donald Trump zu unterstützen. Hinter den Leaks wurden russische Hacker vermutet. Gegen Assange selber wird in Schweden wegen sexueller Nötigung ermittelt. Seit 2012 lebt der Australier deshalb in der Botschaft von Ecuador in London, um einer Verhaftung zu entgehen.
Nach einer Stunde erscheint in der Volksbühne schließlich Julian Assange auf einer Leinwand. Auf seinem schwarzen T-Shirt steht „truth“, Wahrheit – man sieht seinem Gesicht die Jahre in der Botschaft an. Ihm gehe es so gut, sagt Assange auf Nachfrage, wie es jemandem gehe, der lange nicht die Sonne gesehen habe. In einer kurzen Einleitung betont Assange die Bedeutung von Wikileaks für gesellschaftliche Veränderung. „Wir sind eine Rebellen-Bibilothek“, sagt er mit Verweis auf die Datenmengen, die die Plattform noch nicht veröffentlicht hat.
Dann kündigt Assange neue Dokumente an: In den nächsten zehn Wochen würde es wöchentliche Veröffentlichungen geben. Es gehe dabei um Öl, Krieg, Google und den US-Wahlkampf. Konkreter wird er auch bei späteren Nachfragen nicht – die große Neuigkeit, sie bleibt an diesem Vormittag sehr vage.
Statt dessen lässt sich Julian Assange über seine Kritiker aus. Er sagt – und verweist auf die Kommunistenverfolgung in den USA der 40er Jahre – es gebe eine McCarthy-Hysterie. Selbst die New-York Times arbeite nun gegen Wikileaks. Assange sieht sich und seine Organisation als Opfer, Selbstkritik übt er nicht.
Wie denn die gewaltigen Datenmengen verifiziert werden können, fragt ein Journalist. Man arbeite halt in spezieller Art und Weise, antwortet Assange. Er geht weder auf den Vorwurf ein, die Plattform könnte von politischen Aktivisten missbraucht werden, noch äußert er sich zum Datenschutz. Man erfährt schließlich noch, dass Assange zwar kein Trump-Unterstützer ist, aber mit seinen Veröffentlichungen auch keine Rücksicht auf einen Wahlkampf nehmen werde.
Wikileaks ist als progressives Projekt angetreten, den Mächtigen auf die Füße zu treten. Transparenz, war das Versprechen, mache die Welt besser. Jetzt müssen sich die Aktivisten die Frage gefallen lassen, ob sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Wieso wird der Demokraten-Leak mitten im Wahlkampf veröffentlicht? Warum wurden bei den AKP-Leaks Unbeteiligte nicht besser geschützt? Kann sich ein Projekt mit so viel Einfluss einfach von den eigenen Veröffentlichungen distanzieren?
Am Ende bleibt der Vormittag unbefriedigend. Zwar wirbt Assange für mehr Zusammenarbeit mit Journalisten – welche Haltung die Plattform in Zukunft einnehmen wird, das erfährt man nicht.
Kommentare 9
howto learn to live as a star.
Assange wird viel Arbeit aufbringen müssen, sein auch von außen bewußt zerschossenes Projekt zu retten. Schließlich wurde sein Projekt selbst von ehemaligen Weggefährten bewußt mitzerschossen.
Nun scheint ihm the worst case widerfahren?
ich finde nicht: weitermachen und etwas mehr Disziplin bei der Personalauswahl.
Ganz gewiß wird auch Julian Assange das wissen.
Ich jedenfalls wünsche seinem Projekt das Gelingen, das es verdient hat, um die Menschen voranzubringen, und nicht um sie weiter zu moderner Schweinemast zu verurteilen, wie es Mark Zuckerberg zum Geschäftsmodell kreiert hat.
das hatten alle mitbekommen? stand ja nicht direkt überall. http://www.torontosun.com/2016/10/03/hillary-clinton-suggested-taking-out-wikileaks-founder-julian-assange-with-drone-report “Can’t we just drone this guy?” nein, zitat stammt nicht von lobo oder irgendeinem von der systempresse :)
Bringt Transparenz herzustellen Verantwortung mit sich? Zehn Jahre nach ihrer Gründung muss sich die Enthüllungsplattform Wikileaks dieser Frage stellen.
Nein, muss sie nicht. Im Kontext heutiger sublim-totalitärer Gesellschaftssysteme ist Transparent aus sich selbst heraus gerechtfertigt.
Vigilanten als Helden des Zeitalters? Ich weiss nicht recht.
Vigilanten werden nie Helden sein können, erst recht keine Aufpasser wie Zielotti zu unterstellen scheint.
Wohl aber werden sie, wie stets, den Schmutz emporbeförden (können?), der dieses hochglanzpoliertes Gemeinwesen an den Grund ihrer Zirkumstanzien ihrer Verfasstheit erinnern könnte.
Das wäre doch schon mal etwas
odr?
sie mögen es nun mal nicht, erinnert zu werden
woran auch
ich leg nochmal nach:
also wirklich: mit Nazis hatte Deutschland nie etwas zu tun, heute schon gleich garnicht.
imao bleiben deutsche so etwas von grund-durcherzogen erzogene Nazis, das es einen das Erbarmen kommen könnte ob ihrer Demokratiebemühungen, die sie selbst nicht mehr glauben, umso mehr sie klagen über das Fehlende: das mit der Demokratie.
Schämt sich das?
Viel lieber möchte es Demokratie lehren ohne zu ahnen was das sein könnte.
neulich bei einem blog von dir ist mir schon der falsche zungenschlag aufgefallen. hier nun wieder. kritik ist grundsätzlich etwas zu begrüßendes (für richtige deutsche etwas schwer zu verstehen...) metakritik ist genauso grundsätzlich zu begrüßen. nur muss sie gute gründe vorweisen können.
nicht jedermanns sache.