Interview Ruham Hawash arbeitet für die Gruppe "Citizens for Syria". Von Deutschland aus vernetzen sie die Zivilgesellschaft im Kriegsgebiet. Wie funktioniert das?
der Freitag: Ruham Hawash, in unseren Zeitungen sehen wir zerstörte Städte und Leichen und die Waffenruhe ist wieder gebrochen. Doch der IS ist derzeit auf dem Rückzug. Gibt es auch gute Nachrichten aus Syrien?
Ruham Hawash: Letztens hat mir jemand geschrieben: „Nach drei Jahren fast ohne Essen, konnten wir endlich unsere eigene Nahrung anbauen. Nun ist die erste Ernte da.“ Es tut gut, zu sehen, dass das Leben dieser Menschen weitergeht.
Der Krieg in Syrien hat das Land fast komplett verwüstet. Wie kann man sich ziviles Engagement im Kriegsgebiet vorstellen?
Es reicht von politischer Arbeit bis hin zu humanitärem Engagement. Dazu gehören kommunale Räte, die das Gemeinwesen organisieren, lokale Regierungsarbeit, Landwirtschaft, Wasserversorgung od
die das Gemeinwesen organisieren, lokale Regierungsarbeit, Landwirtschaft, Wasserversorgung oder Reparaturen der Stromversorgung. Im Prinzip jede Arbeit, die es braucht, um die Gesellschaft zum Funktionieren zu bringen.Placeholder authorbio-1Sie arbeiten für die Organisation "Citizens for Syria", die nach diesem Engagement sucht. Was machen Sie genau?Wir suchen nach zivilgesellschaftlicher Arbeit im Allgemeinen. Wir verorten die Akteure auf einer digitalen Karte mit allen relevanten Informationen und fragen vor Ort nach: Was ist euer Feld? Wie macht ihr eure Arbeit?Warum ist das wichtig?Oft scheitert die Kommunikation zwischen hier und dort. Wir geben die Bedürfnisse der Akteure in Europa an die Politik und an NGOs weiter. Mit Hilfe unserer Daten können die wiederum konkrete Projekte vor Ort unterstützen. Wir bieten also Informationen an, die Hilfe ermöglichen.Welche sind die wichtigsten Felder, in denen ziviles Engagement stattfindet?Unsere letzte Studie zeigt, dass die Schwerpunkte vor allem in Berichterstattung, ziviler Hilfsarbeit und Interessenvertretung von Geflüchteten liegen. Es gibt zum Beispiel kleine, lokale Zeitungen oder Gruppen, die die Bevölkerung über momentane Konflikte aufklären – aber eben auch grundsätzliche Hilfsarbeit: Unterricht für Kinder, Verteilung von Nahrung, Unterstützung von Vertriebenen.Die Kriegsparteien haben die kürzlich vereinbarte Waffenruhe schon nach wenigen Tagen wieder gebrochen. Was bedeuten diese Unsicherheiten für die zivile Arbeit in Syrien?Waffenruhen sind enorm wichtig für die Arbeit am Boden: Nur in den Feuerpausen können die Menschen nachhaltig arbeiten. Wenn die Kriegsparteien eine Waffenruhe verkünden, hoffen die Menschen natürlich, dass sie hält – allerdings glauben viele nicht wirklich an die Versprechungen. Jetzt wirken diese Vereinbarungen wieder einmal mehr nur wie billige Propaganda. Für die Zivilgesellschaft sind diese neuen Angriffe natürlich katastrophal – sie wirken wie ein Aderlass auf das zivile Engagement.Sie sitzen in Hamburg, Berlin und in der Türkei. Wie kommen Sie an die Menschen in Syrien heran?Wir haben Syrien in vier Gegenden aufgeteilt. Unsere Datensammler konzentrieren sich jeweils auf eine dieser vier Regionen. Einige von ihnen leben schon in Europa, manche sind noch in Syrien. Zuerst suchen wir nach Informationen in sozialen Netzwerken. Im nächsten Schritt reisen unsere Mitarbeiter dann im Land umher, suchen Akteure auf und führen Interviews. Am Anfang sammeln wir nun diese Daten und ordnen sie. Damit können wir später für die einzelnen Gruppen Profile erstellen und schauen, was sie für Unterstützung brauchen.Wie gefährlich ist es, diese sensiblen Daten zu sammeln?Es ist ziemlich gefährlich, vor kurzem erst ist einer unserer Datensammler bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Außerdem haben wir natürlich eine große Verantwortung gegenüber den Akteuren. Deshalb hängt unser Umgang mit den Daten auch davon ab, welche Gruppe das Gebiet kontrolliert. Gruppen in Rebellengegenden, erlauben uns zum Beispiel eher, die Daten zu veröffentlichen. Akteure, die in IS-Regionen aktiv sind, würden vermutlich eher sagen: „Wir wollen, dass die Welt weiß, was wir hier machen – aber wir wollen nicht, dass unser Name veröffentlicht wird.“Mit welchen Gruppen arbeiten Sie zusammen?Es gibt vier wichtige Kriterien, die die Akteure erfüllen müssen: Sie dürfen nicht für die Regierung arbeiten und nicht bewaffnet sein. Sie müssen unabhängig und nicht profitorientiert sein. Erfüllen sie eins dieser Kriterien nicht, streichen wir die Akteure sofort von der Liste. Wir sind aber nicht dafür da, einzugreifen. Wir sehen uns nicht in der Rolle eines Richters, wir beobachten nur.Was haben Sie als Nächstes geplant?Unser nächster Schritt wird sein, die bisher gesammelten Daten zu vertiefen und bei den Gruppen nachzufragen: Wie finanziert ihr euch? Wie viele Projekte macht ihr in einem bestimmten Zeitraum? Wir planen außerdem, die Akteure untereinander zu vernetzen, also zu schauen, welche in einem ähnlichen Feld tätig sind. Wir arbeiten auf verschiedenen Ebenen: Erstens mit der internationalen Politik, zweitens, indem wir die Gruppen untereinander vernetzen und drittens, indem wir die Menschen an einem Ort darüber informieren, welche Gruppen aktiv sind und was sie machen.Was für Gruppen gibt es zum Beispiel?Es gibt unzählige kleine Gruppen. Größere Organisationen sind zum Beispiel The Syrian Campaign oder Kesh Malek. Beide setzen sich auch im Ausland für syrische Geflüchtete ein und organisieren Projekte vor Ort, die sie durch Spenden finanzieren. Sie kümmern sich zum Beispiel darum, dass Schulen geöffnet bleiben und unterstützen Katastrophenhelfer.Fürchten Sie sich persönlich vor Angriffen?Natürlich ist diese Art von Wissen gefährlich. Es gibt zum Beispiel in Deutschland viele AnhängerInnen des Regimes. Mir ist bisher noch nichts passiert, aber ich bin mir bewusst, dass auch wir in Europa nicht sicher sind – die Gefahr vor Ort ist jedoch größer. Das reicht mir als Argument, um weiterzumachen.Wie ist es für Sie, so weit weg zu sein – und gleichzeitig in ständigem Kontakt mit den Menschen vor Ort zu stehen?Ich lebe zwei Leben. Es gibt einmal das Leben am Computer und dann das Leben in Hamburg. Oft geraten unsere Leute in Gefahr, immer wieder sterben Menschen oder verschwinden. Wenn man so etwas am Computer verfolgt und mit den Daten der toten Person arbeitet, fühlt sich das irreal an. Manchmal fühlt es sich an, als hätte mein Leben in Damaskus nicht aufgehört, als wäre ich nur umgezogen. Gefühlsmäßig bin ich immer noch dort.Die Welt redet im Moment nur vom Krieg und Politik. Wie sehen Sie die internationale Anerkennung zivilgesellschaftlicher Akteure?Die Politik ist sich sehr wohl bewusst, dass es diese Akteure gibt. Viele PolitikerInnen sind dem auch sehr positiv gegenüber eingestellt. Gleichzeitig gibt es eine unfaire Verteilung von Aufmerksamkeit: Der Druck ist ziemlich groß, die Geflüchteten davon abzuhalten, nach Europa zu kommen. Das ist für die Politik im Moment entscheidender, als den Menschen vor Ort zu helfen. Es gibt weltweit eine starke Lobby gegen Geflüchtete, dadurch konzentriert sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf einen Punkt. Für die Menschen in Syrien macht das die Situation noch schwieriger.Was gibt Ihnen trotzdem Hoffnung?Die Menschen vor Ort. Während des Waffenstillstands zum Beispiel war unser Team vor Ort kaum zu erreichen. Wir haben ihnen Aufträge zu Daten geschickt – aber sie antworteten: „Wir demonstrieren gerade. Wir holen die Arbeit später nach, wenn nötig in der Nacht.“ Das war ein großartiges Gefühl. Nach fünf Jahren des Mordens bekommen die Menschen das erste Mal eine Atempause und die nutzen sie, um auf die Straße zu gehen und zu rufen: „Wir wollen Assad stürzen.“
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