Zehntausende gegen TTIP und CETA

Demonstration 320.000 Menschen gingen am Samstag in ganz Deutschland gegen TTIP und CETA auf die Straße. Doch ob der Protest Erfolg haben wird, ist noch offen. Ein Bericht aus Berlin
Zehntausende gegen TTIP und CETA

Foto: Clemens Bilan/AFP/Getty Images

„Ich bin richtig wütend auf die Politik. So viele Menschen kommen hier her und werden nicht gehört“, sagt die 80-jährige Elisabeth, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will und rückt ein wenig weiter unter das Vordach eines Hauses am Straußberger Platz in Berlin.

Der Himmel ist grau am diesem Samstagmittag, es regnet heftig. Eine kleine Gruppe Menschen mit Fahnen und Schildern steht zusammengedrängt am Rande des Platzes und lauscht den Rednerbeiträgen von der großen Bühne. 100.000 Teilnehmer wurden zur Demonstration gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA am Samstag erwartet – zum offiziellen Protestbeginn um zwölf stehen nur ein paar tausend Verstreute mit bunten Regenschirmen auf der gesperrten Karl-Marx-Allee in Friedrichshain. Am Ende werden Veranstalter und Polizei von 70.000 Teilnehmern sprechen – deutlich weniger als erwartet.

Gerade spricht eine Vertreterin der DGB über internationale Solidarität, doch die kleine Frau mit den weißen Haaren hört nicht zu, sie ärgert sich weiter über die Politik und sagt: „Das ist die erste Demonstration meines Lebens. Ich bin hier, weil die Politiker uns etwas unterjubeln wollen.“

Allen voran ist Sigmar Gabriel der Buhmann des Tages. Vergangene Woche war der Wirtschaftsminister noch nach Kanada gereist, um mit dem Premierminister Trudeau über das Abkommen zwischen EU und Kanada zu sprechen. Doch von einer Verbesserung des Vertrags will hier niemand etwas wissen. Auf Plakaten sieht man Gabriel als umkippende Flasche und als Chlorhühnchen – eine beliebte Anspielung bei den Demonstrierenden.

Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Globalisierungskritikern, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen hatte zu den Protesten gegen die Freihandelsabkommen in sieben Deutschen Städten aufgerufen. Knapp 320.000 Menschen folgen laut den Veranstaltern am Ende dem Aufruf. Vor dem SPD-Konvent in der kommenden Woche in Wolfsburg wollen die 30 veranstaltenden Organisationen mit den bundesweiten Demonstrationen noch einmal Druck auf die Partei ausüben.

Wichtigster Redner heute ist deshalb auch SPD-Mann Jan Stöß. Als einziges Mitglied im Parteivorstand hatte er gegen das Abkommen mit Kanada bestimmt. Während der Regen nachlässt und sich der große Platz mit Menschen füllt, verteidigt Stöß seine Partei. Von der Bühne ruft er: „Ich bin nicht der einzige, der gegen das Abkommen ist. Es gibt einige kritische Stimmen in der SPD und auch heute laufen viele Genossen bei uns mit.“

Über der Menge fallen besonders die Flaggen von BUND und Greenpeace auf. Umweltstandards und Gentechnik sind zwei der wichtigen Themen, die die Menschen auf die Straße gebracht haben. Aber es geht eben auch um Verbraucherschutz und Arbeitsrechte. Vor allem die unabhängigen Schiedsgerichte und die Angst vor der Macht großer Konzerne finden sich auf Plakaten und Schildern wieder. Jimmy Purves, 31, ein blonder Australier, sagt: „In Australien können die Firmen längst machen, was sie wollen. Dort haben wir gesehen, was Freihandelsabkommen anrichten.“ Deshalb läuft er heute mit der schwarzen „Stop CETA“ - Flagge durch den Nieselregen.

Nach einigen weiteren Rednerbeiträgen macht sich die Demonstration dann in Richtung Friedrichshain-Kreuzberg auf, vorneweg zwei Trecker, an denen Banner für Öko-Landbau werben. Der Demonstrationszug ist bunt gemischt. Familien mit kleinen Kindern laufen die Karl-Marx-Allee entlang, daneben sind auch viele ältere Menschen mit grünen und roten Flaggen unterwegs – weiter hinten kommt ein Techno-Wagen. Eine kleine Gruppe junger Menschen tanzt zu den Bässen.

Die größte Angst der Veranstalter war dabei die Vereinnahmung durch rechte Gruppierungen. Die AFD hatte Interesse angemeldet, bei der Demonstration mitzulaufen und erst wenige Tage vorher ihre Anfrage zurückgezogen. Deshalb kleben an der Bühne und an einigen Demonstrationswagen blaue, runde Schilder. Auf ihnen steht: „Antiamerikanismus und Rassismus ist hier nicht willkommen“. Auf der Demonstration sind dann auch keine rechten Banner zu sehen – vielleicht, weil zeitgleich rechte Abtreibungsgegner durch Berlin-Mitte marschieren. Nur am Ostbahnhof brüllt ein Mann etwas von der „zionistischen Weltverschwörung“. Sofort wird er von ein paar Demo-Teilnehmern zur Seite gedrängt.

Abgesehen davon verläuft der Protest-Zug friedlich. Vergleichsweise wenige Polizisten begleiten den bunten Zug, der vorbei an der East-Side Gallery und am Ostbahnhof über die Alexanderstraße zurück zum Straußberger Platz läuft. Eine Samba-Gruppe trommelt auf gelben „Solar-Drums“, vom Wagen der Linkenn läuft Hip-Hop. Ansonsten bleiben die Demonstrierenden eher verhalten. Eine Frau am Straßenrand, die sich den Protest-Zug mit ihren beiden Kindern anschaut, sagt: „Letztes Jahr war mehr Stimmung.“

Im vergangenen Jahr zählten die Veranstalter 250.000 Menschen, die gegen TTIP auf die Straße gegangen waren. Es war die größte Demonstration seit dem Irakkrieg – das Abkommen CETA schien am Samstag deutlich weniger Menschen in Berlin zu interessieren als erhofft. Die niedrige Teilnehmerzahl könnte aber auch an den anderen politischen Veranstaltungen liegen, die zeitgleich statt fanden: Linke und feministische Gruppen hatten im Bezirk Berlin-Mitte zur Demonstration gegen Abtreibungsverbote und „Lebensschützer“ aufgerufen und der AFDC wollte vor der Wahl noch einmal für eine fahrradfreundlichere Stadt demonstrieren.

Nach sechs Kilometern kommen die ersten Demonstrierenden dann wieder vor der Bühne an. Aus den großen Boxen schallt Reggae über den leeren Platz, Vertreter marxistischer Parteien versuchen Flyer an die Wartenden zu verteilen, über den Bäumen schwebt ein großer weißer Ballon, auf dem „Stoppt CETA“ steht. Als dann von der Bühne die absoluten Zahlen durchgegeben werden, ist der Jubel groß. Die Polizei hatte zuvor noch von 40.000 Teilnehmern gesprochen, sie korrigiert sich später auf die Zahl der Veranstalter.

Mit Jennifer Morgan vom US-Amerikanischen Greenpeace-Verband und Marie-Noelle Lienemann von den französischen Sozialisten sprechen zum Schluss auch noch ausländische Unterstützerinnen zu der Menge, die nach und nach wieder am Platz ankommt. Sie betonen den Erfolg einer globalen Protestbewegung, die so viele verschiedene Interessen vereine. Die Stimmung ist nun deutlich ausgelassener als noch am Anfang. Eine Band spielt französische Chansons und ein paar Jugendliche von der Linksjugend tanzen am Rand des Platzes. Passend dazu kommt schließlich die Sonne wieder raus. Ob der Protest Erfolg hat, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Die Kanadier hatten zuletzt betont, nichts an dem Vertrag mehr ändern zu wollen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Paul Hildebrandt

Ich schreibe über Soziales, Politisches, über Migration und Kinderthemen. Dazwischen reise ich - in Deutschland und durch die Welt.

Paul Hildebrandt

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden