Wer Nein will, muss Ja sagen

Stuttgart 21 Die Volksabstimmung am 27. November rückt näher. Ab kommender Woche werben die Gegner des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 mit Plakaten und Flugblättern für ihre Positionen

Sieben Monate nach der historischen Landtagswahl beginnt in Baden-Württemberg der nächste Wahlkampf: Bei der von Grün-Rot versprochenen und mühsam auf den Weg gebrachten Volksabstimmung dürfen die Bürger am 27. November mit Ja oder Nein stimmen. Direkte Demokratie – das gab’s noch nie im Ländle. Einfach gemacht wird es den Wählern allerdings nicht: Der Text auf den Stimmzetteln ist in derart gepfeffertem Beamtendeutsch verfasst, dass es nicht wenigen wohl noch in der Wahlkabine die Schweißperlen auf die Stirn treiben wird.

„Stimmen Sie der Gesetzesvorlage ‚Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S 21-Kündigungsgesetz)’ zu?", lautet die offizielle Fragestellung, die vom Volk beantwortet werden soll. Wer für den Ausstieg des Landes aus seiner finanziellen Beteiligung an Stuttgart 21 – und damit gegen den neuen Tiefbahnhof – ist, setzt sein Kreuzchen bei Ja. Die S21-Befürworter stimmen mit Nein.

Vier Mal Ja gegen den Tiefbahnhof

Kosten, Verkehr, Umwelt und Demokratie sind die vier Themenbereiche, mit denen die Kopfbahnhoffreunde auf Stimmenfang gehen. Seit Freitag leuchtet der argumentative Vierklang auf der eilig erstellten Internetseite des neuen Landesbündnisses „Ja zum Ausstieg“ – ab Montag wird auch das Stuttgarter Stadtbild von den bunten Wahlplakaten mit dem stilisierten Stimmkreuzchen geprägt werden. Sparsamkeit und Kostenwahrheit sowie der Schutz von Umwelt und Kopfbahnhof werden gefordert und ein modernes Verkehrskonzept für ganz Baden-Württemberg propagiert. Mit dem Ruf nach mehr direkter Demokratie möchten die Ausstiegsbefürworter möglichst viele Menschen dazu bewegen, am ersten Advent in die Wahllokale zu gehen. „Die Volksabstimmung ist ein großer Gewinn für mehr Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg“, sagt Brigitte Dahlbender, Sprecherin des Landesbündnisses und BUND-Landesvorsitzende. Unabhängig vom Abstimmungsausgang erhoffe sie sich ein deutliches Zeichen für mehr direkte Demokratie. „Wir wissen, dass die Menschen das wollen.“

Die Kampagne soll bei den Menschen ankommen

Anstecker, Aufkleber, Plakate und Handzettel – alles möglichst bunt und gut verständlich. Im Laufe der nächsten zwei Wochen soll eine farbenfrohe Zehn-Punkte-Broschüre an alle Haushalte verteilt werden. „Darin sind unsere wichtigsten Argumente kurz und griffig zusammengefasst“, erklärt Bündnissprecher Hannes Rockenbauch, der für die Partei Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) im Stadtrat sitzt. Das neu geschaffene Bündnis „Ja zum Ausstieg“ stellt für ihn eine Art Klammer dar: „Das Leben, die Freude und die richtigen Argumente – das alles werden die vielen lokalen Initiativen vor Ort zu den Menschen tragen.“ Große Hoffnung setzen die selbsternannten Ja-Sager auf das Internet: Neben den in gedruckter Form vorliegenden Informationsmaterialen werden weiterführende Texte online zur Verfügung gestellt und die Möglichkeit geschaffen, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen.

Vermehrt Präsenz zeigen wollen die Bahnhofsgegner auch auf der Straße: Gemeinsam mit Campact ist für den 12. November ein dezentraler Aktionstag im ganzen Land geplant, die 100. Montagsdemonstration am 21. November bildet den Auftakt der heißen Phase, die am 26. November mit einer Abschlussveranstaltung in Stuttgart endet. In den letzten Stunden vor der Volksabstimmung möchte das Kampagnenteam im Rahmen einer Drei-Tage-wach-Aktion rund um die Uhr für Fragen und Antworten zur Verfügung stehen. Rockenbauch wünscht sich, dass spätestens am Morgen des Abstimmungstages allen Bürgern eines klar ist: „Mit einem einfachen ‚Ja’ kann man sich den ganzen Ärger sparen, der durch den Bau des Tiefbahnhofs auf uns zukommen würde.“ Für den Fall, dass die Mehrheit der Baden-Württemberger mit Nein stimmt, werde man das Scheitern des Gesetzentwurfs zum Ausstieg akzeptieren. Ob der Widerstand gegen Stuttgart 21 damit endgütig beendet wäre, sei jedoch eine ganz andere Frage.

Die baden-württembergische Landesverfassung sieht vor, dass ein Drittel aller Stimmberichtigten zustimmen muss, damit das Ergebnis einer Volksabstimmung bindend ist. Ein Drittel, das entspricht etwa 2,5 Millionen Menschen. Zum Vergleich: Grüne und SPD erhielten im März gemeinsam rund 2,36 Millionen Stimmen.

Paul-Janosch Ersing arbeitet als Journalist in Stuttgart

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