Wie Corona die Generation Z radikalisiert

Kapitalismus Jugendliche in Europa wurden befragt, wie die Krise ihr Leben beeinflusst hat. Sie antworteten mit Frust, aber auch mit radikaler Kapitalismuskritik
Überall auf der Welt reagieren junge Menschen auf Lockerungen mit demonstrativem Feiern, wie hier bei einem spontanen Rave in Frankreich. Hin und wieder verwandeln sich die Partys in politischen Protest
Überall auf der Welt reagieren junge Menschen auf Lockerungen mit demonstrativem Feiern, wie hier bei einem spontanen Rave in Frankreich. Hin und wieder verwandeln sich die Partys in politischen Protest

Foto: Francois Monier/AFP/Getty Images

Sie wurden getestet, geprüft, beurteilt und benotet, seit ihrer Kindheit. Ihnen wurde gesagt, dass sie wetteifern, sich hervortun und durchsetzen müssen. Aber dank Covid-19 sieht eine Generation von Schul- und Uniabsolvent*innen nun eine trostlose Gegenwart und eine unsichere Zukunft vor sich.

Die britische Zeitung The Guardian hat Europäer*innen in ihren späten Teenager- und frühen Zwanzigerjahren gefragt, wie sich die Pandemie auf sie ausgewirkt hat. Man hätte Frust erwarten können: über verlorene Jobs, gezwungenermaßen abflauende Freundschaften, abgesagte Termine. Doch als Antwort bekam man Kapitalismuskritik zu hören.

Diese Generation junger Menschen ist in der Lage, systemische Schlüsse aus der Art und Weise zu ziehen, wie die politischen Eliten die Pandemie gehandhabt haben – ganz wie ihre Vorgänger, die aus den Protesten im Zuge der Bankenkrise 2008 hervorgingen. Sie wissen, dass sie höhere Steuern zahlen, eine größere private Verschuldung tragen und mehr Unsicherheit aushalten werden müssen als jede andere Generation seit dem Zweiten Weltkrieg. Ihnen ist klar, dass sie sich neben dem Scherbenhaufen nach der Coronakrise in naher Zukunft mit einem Klimanotstand werden beschäftigen müssen. Und genau so klar ist ihnen, dass sie die Politik der Gegenwart nicht beeinflussen können.

Das ist, wie wir mit dem nahenden Sommer sehr bald sehen werden, eine explosive Mischung. Von Dublin bis Cardiff, von Barcelona bis Berlin – überall reagieren junge Menschen auf die Lockerungen mit demonstrativem Feiern: spontane Raves, plötzliche Übernahmen ganzer Strände, Zusammenkünfte auf den Partymeilen verschiedener Städte. Überall, wo sich Protest finden lässt – wie zum Beispiel bei den propalästinensischen Demonstrationen in London vergangenen Monat – treten Jugendliche als große, laute und widerständige Gruppen auf.

Als „woke“ belächelt und materiell benachteiligt

Ihre Aussagen beweisen allerdings, das hinter der Erleichterung eine tiefe Frustration sitzt. Weil ältere Menschen mehrheitlich die physischen Risiken der Corona-Pandemie getragen haben, mussten die Jungen die psychischen ertragen. „Das vergangene Jahr hat sich angefühlt wie eine hölzerne Bühne, und ich bin direkt eingebrochen“, antwortet ein Befragter. Ein anderer erzählt von Gefühlen, die einer Midlife Crisis ähneln – mit 22. Der Ärger und die Verzweiflung sind evident, aber genau so evident ist der politische Schluss, den viele daraus ziehen: dass die Gesellschaft von den Alten für die Alten betrieben wird.

Die Jungen sollten mit ihrem Leben pausieren, um eine Generation zu schützen, die ihr Leben bereits gelebt hat. Wäre das von Zahlungen, Unterstützung und allen voran einer symbolischen Sympathie gegenüber den sozialliberalen Ansichten und der Kultur der Unter-24-jährigen begleitet worden, hätte man den Gegenwind vielleicht abschwächen können. Stattdessen durften sie sich anhören, wie ihre Ansichten und ihr Lifestyle als „woke“ belächelt wurde. Gleichzeitig beobachteten sie, wie Politiker*innen aller Richtungen wie besessen davon waren, sozialen Konservatismus zu propagieren und die materiellen Interessen von Hausbesitzer*innen, Unternehmer*innen und Menschen zu unterstützen, die bereits auf einem stabilen Karrierepfad sind.

Die Generation Z wusste vorher schon, dass sie ärmer sein wird als die Generation ihrer Eltern, ihre späten Millenial-Geschwister haben diese Lektion bereits nach der Krise 2008 gelernt. Aber die Zukunft – so dröge sie auch für die Generation aussah, die 2011 die Plätze besetzt hat – schien wenigstens einen dualen und klaren Kampf zu versprechen: gegen Rassismus, Sexismus, Sparpolitik und Klimaleugnung.

In den Aussagen der Befragten ist das Leitmotiv die Unsicherheit. Sie sind bereit zu glauben, wie ein Befragter es nannte, dass die „Welt morgen untergehen könnte“, dass die Zivilisation zusammenbricht, dass das aktuelle System „von Klebeband und Zahnstochern“ zusammengehalten wird, dass die Gegenwart so „unvorhersehbar wie monoton“ ist.

Und sie haben Recht. In Anbetracht der Risiken sind die Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise ein Witz. Der unausgesprochene Subtext der diesjährigen UN-Klimakonferenz ist den Jungen klar: ,Wir, die Anzug tragende, SUV-fahrende Generation, werden unser Bestes geben – im Rahmen dessen, was die großen Konzerne tolerieren und was ältere Wähler*innen zu akzeptieren bereit sind. Wir sind aufs Scheitern vorbereitet, weil wir nicht mehr da sein werden, um mit den Konsequenzen zu leben.'

Radikal, zentristisch, erbarmungslos

Im Hinblick auf die Pandemie schätzen die Jugendlichen in den meisten Ländern, aus denen Daten vorliegen, die Handlungen der Mächtigen als inkompetent, kurzsichtig oder korrupt ein.

Retrospektiv kann der gesamte politische Zyklus seit 2008 als eine Antwort auf die Finanzkrise betrachtet werden. 18-Jährige begriffen damals, dass ihre Zukunft abgesagt wurde. Sie gingen auf die Straße, wurden mit dem Wasserwerfer begrüßt und brachten sich in der Folge in politischen Bewegungen wie Podemos, Syriza, dem Corbynismus oder der Bernie-Sanders-Kampagne ein.

Der Corona-Schock ist in vielerlei Hinsicht größer als der Schock von 2008. Er hat einer ganzen Generation verdeutlicht, dass niemand zur Hilfe eilen wird, wenn es Ernst wird. Und dass, dank des demografischen Wandels, die Politik gegen sie arbeitet. Die Frage ist nun: Wie reagieren die Jungen? Sie werden überall feiern und an manchen Orten randalieren. Und sie werden nach politischen Alternativen suchen.

Wenn ich vorhersagen müsste, wohin das als nächstes führt, wäre es nicht der Anarchismus der frühen Anti-Globalisierung-Bewegung, sondern eher in Richtung eines „Klimabolschewismus“, wie er von dem schwedischen Ökonomen Andreas Malm propagiert wird. Die Sozialdemokratie, so Malm, hat kein Konzept der Katastrophe. Das gleiche könnte man vom Liberalismus und vom Mainstream der grünen politischen Bewegung sagen. Sie sind nicht für plötzliche und dringende Handlungen gemacht. Ihr Ersatz muss radikal, zentralistisch und erbarmungslos sein.

Diese Generation hat eine Theorie der Katastrophe. Sie hat gesehen, wie effektiv zentralisierte Macht ausgeübt werden kann, wie schnell Ungerechtigkeiten verteilt werden können, wie hohl die Legitimierung einer Regierung ist, die keinen Lockdown oder eine Impfkampagne organisieren kann. Wenn diese Generation ein neues, kollektives Projekt entdeckt, dann bezweifle ich, dass es ein Projekt der kleinen Schritte sein wird, oder klein in seinen Amibitonen.

Paul Mason ist freier Journalist, Buchautor und Filmemacher. Im August 2021 erscheint sein neues Buch How to Stop Fascism

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Übersetzung: Konstantin Nowotny
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