Aus Mangel an Ideen

Medientagebuch Im Programm nichts Neues, aber hinter den Kulissen findet ein Umbruch statt

In der deutschen Fernsehbranche ist Feuer unterm Dach. Doch weil in diesem Geschäft Psychologie eine wichtige Rolle spielt, drückt niemand auf den Alarmknopf, damit es nicht so viel Aufmerksamkeit erregt. Nur Fach- und Wirtschaftsblätter, deren Leser sich einen schlechten Informationsstand nicht leisten können, berichten.

Beim ehemaligen Marktführer RTL herrscht Verwirrung und Richtungslosigkeit. Im Februar lag der Marktanteil nur noch bei 12,5 Prozent, ARD, ZDF und Dritte Programme waren vorbeigezogen. Zwar wird sich der Marktanteil nach dem Beginn der Formel-1-Saison wieder erholen. Das verweist aber auf das eigentliche Problem: Der Sender hat schon seit langer Zeit keine gute Idee mehr. Derjenige, der dieses Problem lösen sollte, Marc Conrad, wurde nach drei Monaten als Senderchef schon wieder gefeuert.

Bei RTL 2 ist es umgekehrt: als Nischensender mit Trash à la Big Brother quotenerfolgreich, wird der Senderchef Andorfer ebenfalls gefeuert, weil ein Anteilseigner seine Filmrechte zu wenig abspielen konnte und alle Anteilseigner trotz schöner Rendite das schlechte Image des Senders nicht mehr aushalten.

Bei Sat1 ist seit der Übernahme durch Haim Saban im Programm überhaupt nichts Interessantes mehr passiert. Dafür schreibt der Sender aber wie sein kleiner Bruder Pro 7 durch drastische Kostenreduzierung (kaum Fußball, kein Harald Schmidt, weniger aufwendige Filmproduktion, viel preisgünstige Serien) schwarze Zahlen. Kaum beachtet wurde, dass der Vorstandschef des Springerkonzerns, Minderheitsgesellschafter bei Prosiebensat1, Matthias Döpfner Anfang dieses Jahres beim Mehrheitseigner Saban war, um eine mögliche Mehrheitsübernahme durch Springer zu sondieren. Döpfner hatte seinerzeit bereits dem klammen Vorbesitzer Kirch die Pistole auf die Brust gesetzt: er wollte seine Aktien an Prosiebensat1 versilbern. Damit leitete Döpfner den Zusammenbruch des zahlungsunfähigen Kirch-Konzerns ein und wurde ihn gleichzeitig als unangenehmen Mitbesitzer des Springer-Verlages los. Würde Saban eines Tages tatsächlich verkaufen, und diese Absicht hat er, und wäre tatsächlich Springer der Käufer, würde Friede Springer mit großem Sprung an Liz Mohn (Bertelsmann/RTL) als mächtigster Medienfrau Deutschlands vorbeiziehen. Das Kartellamt würde kritisieren, doch kein Politiker und keine große Partei würde es mehr wagen, sich mit dieser Macht anzulegen. Und schreibt der Bundeskanzler nicht schon wieder in Bild?

Dagegen ist der Börsengang des Pay-TV-Senders Premiere fast eine Kleinigkeit. Als einstmaliger Bestandteil des Kirchkonzerns war er der Hauptgrund von dessen Pleite. In Deutschland gab es nie genug Abonnenten. Die Schulden häuften sich auf fast eine Milliarde Euro. Sie wurden in eine Gesellschaft ausgegliedert, die sich in Luxemburg versteckt. Auf diese Weise versuchen die Mehrheitsgruppe Permira und der 20-Prozent-Eigentümer und Geschäftsführer Kofler die Bilanzzahlen vom Roten ins Schwarze umzufärben. Mit dem Börsengang versuchen sie in erster Linie selbst wieder liquide zu werden, ihre eigenen Anteile zu verringern, um ihre Riesenschulden bedienen und teilweise tilgen zu können. Warum suchen sie das Weite? Weil fast alle privaten Senderketten und zusätzlich alle Kabelnetzbetreiber selbst Pay-TV anbieten wollen oder bereits anbieten. Der Markt wird also enger: Mehr Pay-TV-Sender führen zu steigenden Preisen für Spielfilm- und Fußballrechte, zwingen aber zu günstigeren Angeboten an die Zuschauer. Zu mehr Rendite führt das allenfalls in Hollywood, beim Weltfußballverband und beim Internationalen Olympischen Komitee.

Schließlich und endlich das Musikfernsehen: In Köln sind einige froh, dass die von allen guten Geistern verlassene Musikbranche sich in Berlin konzentrieren will. In den letzten Jahren verbuchte sie zweistellige Minusraten. Kein Wunder, wenn man seine größten Fans, die im Internet nach preisgünstiger und interessanter Musik suchen, mit Kriminalisierungskampagnen überzieht. Nun hat MTV-Eigentümer Viacom zu seinen zwei deutschen Musikkanälen die zwei von Viva dazugekauft, bei ersatzloser Streichung von 270 Arbeitsplätzen. Diese Videoclipsender waren mehr ein Medienhype als ein Publikumsereignis. Ihre Einschaltquoten waren und sind so niedrig, dass sie fast unmessbar sind. Aber die realitätsblinde Branche zerriss sich über die Exoten die Mäuler. Der bisherige Viva-Chef Dieter Gorny war der Prototyp eines solchen Dampfplauderers. Nun haben aber alle diese Masche durchschaut und Gorny wird als Frühstücksdirektor mit Schreibtisch in Köln von MTV noch einige Zeit mitgeschleppt.

In diesem Text war bisher kaum vom Programm die Rede? Genau das ist das Problem. Die immer stärker Überhand nehmende Renditeorientierung der genannten Medienkonzerne hat die Hirne der Macherinnen und Macher aufgeweicht. Die meisten können nur noch auf Moden, Maschen, Wellen reiten. Wenn die enden, wissen sie nicht weiter. Denn sie haben sich von der Gesellschaft, in die sie hineinsenden, schon ähnlich weit entfernt, wie die politische Klasse.


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