Der Speichellecker

Hunzinger Im Aufsichtsrat seiner Firma sitzen beide großen Parteien. Politiker fast aller Lager pflegen beste Kontakte zu dem "PR-Berater"

Der Fall Rudolf Scharpings wirft alte Fragen auf. Wie werden wir informiert? Kontrollieren die Medien die Politik? Oder wirken sie eher zusammen? Wo bleiben hinter den Personen die strukturellen Zusammenhänge? Wenn es um einen Verteidigungs-(Kriegs-)Minister geht, das dürfte klar sein, erfahren wir nicht die ganze Wahrheit, jedenfalls nicht sofort.
Im Freitag haben wir bereits vor Monaten auf die dubiose Verbindung Rudolf Scharpings mit der Firma Hunzinger hingewiesen. Scharpings Lebenspartnerin Pilati ist nicht nur Duz-Freundin des Herrn Hunzinger, sondern war auch Rechtsbeistand der ehemaligen CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister. Kaum jemand wird sich noch daran erinnern können, dass über deren Aussagen seinerzeit Wolfgang Schäuble als CDU-Fraktionschef stürzte. Im Aufsichtsrat der Firma des CDU-Mitgliedes und Roland-Koch-Fans Hunzinger saßen und sitzen nicht nur prominente Politiker, zum Beispiel der heutige Kanzleramtsminister Bury (SPD) oder der frühere hessische Landesminister Steger (SPD), sondern auch ehemalige Verfassungsschutzpräsidenten, wie Richard Meier und Peter Frisch. Prominentester Schmuck des Hunzinger Aufsichtsrates ist für alle Menschen mit guten Gedächtnis jedoch Ex-General Gerhard Kießling (1984-2000 stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, heute Ehrenvorsitzender). Über das Gerücht, dieser General sei schwul und seine damalige Panikreaktion stürzte in den achtziger Jahren fast der damalige Bundesverteidigungsminister Wörner (CDU). Bundeskanzler Kohl hielt an ihm fest, weil er seit dieser Affäre nach Gutdünken mit dem handzahmen Minister umgehen konnte. Parallelen zur heutigen Scharping-Affäre drängen sich auf.
Merkwürdig nur, dass diese allgemein zugänglichen Fakten in keinem der hektischen Tagesmedien dem Publikum zugänglich gemacht wurden. Dabei bedarf es keiner großen Recherche, denn die meisten Fakten finden sich in den öffentlichen Geschäftsberichten der Firma Hunzinger. Stattdessen erfahren wir immerhin, dass naive und/oder käufliche Politiker aller Parteien ("außer der PDS und Rechtsradikalen", wie es schon fast wahlwerbend immer wieder heißt) und auch bisher gut beleumundete Journalisten nicht nur gut mit der Firma Hunzinger bekannt sind, sondern auch für sie arbeiten. Ein Politiker, wie Cem Özdemir, innenpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, und bisher nicht durch Mangel an Intelligenz aufgefallen, konnte er das alles nicht lesen?
Wer die Bilanzzahlen der Firma sieht (im Jahr 2000 fünf Millionen Mark Miese, in 2001 circa 300.000 plus bei 45 Millionen Umsatz), fragt sich ohnehin, ob der Zweck der Firma wirklich das Erzielen von Gewinnen ist, oder ob es nicht politische Zwecke sind, die man sich was kosten lassen muss.
Gut an der Affäre ist, dass die Öffentlichkeit in dieser nachrichtenarmen Sommerzeit intensiver als gewöhnlich über das Verhältnis von Lobbyismus und Politik informiert wird. Selten geht es dabei um die Überreichung von banknotengefüllten Briefumschlägen, fast immer aber um privilegierte Kommunikation, den Kauf von Aufmerksamkeit und Zeit. Hier war Hunzinger als Makler tätig. Dass er als "PR-Berater" Politiker bezahlte, statt sich von ihnen bezahlen zu lassen, hat einen einfachen Grund: sein Antichambrieren bauchpinselt des Politikers Eitelkeit. Einen Jungpolitiker wie Özdemir wird das ebenso beeindruckt haben, wie sozialdemokratische Aufsteiger der Marken Bury oder Scharping. Und Politiker verdienen natürlich entschieden weniger, als die Lobbyisten, die Hunzinger für sich arbeiten lassen; ein einzelnes Konzernvorstandsmitglied verdient in der Regel mehr, als ein ganzes Regierungskabinett. Hunzinger wird jedoch kaum so weitermachen können. Denn in der Regel wünschen sich seine Kunden, insbesondere wenn es sich um Rüstungsfirmen handelt, Diskretion. Und die ist jetzt dahin. Seine Branche ist darüber so empört, dass einschlägige Unternehmensverbände ihn deswegen sogar rauswerfen wollen.
Die kurzen Börsenaktivitäten der Firma, die übrigens auch durchgehend in den Wirtschaftsteilen überregionaler Zeitungen nachzulesen waren, waren ebenfalls wenig vertrauenerweckend. Bei Börsengang 1998 kostete die Aktie des Unternehmens 110 Mark und spülten Hunzinger 20 Millionen Mark in die Kasse. 36 Prozent landeten in Streubesitz, also bei Kleinanlegern. Heute ist jede Aktie weniger als ein Euro wert. Weitere Großaktionäre sind die selbst ins Schleudern geratene Investmentfirma Gold-Zack (21 Prozent), die ehemals gewerkschaftsnahe Beteiligungsgesellschaft BGAG und der Beamtenbund (zusammen 11 Prozent); 31 Prozent hält Hunzinger selbst.
Schon während des Kosovo-Kriegs hat er Scharping beratend zur Seite gestanden, bestreitet jedoch standhaft, ihm zur Lüge mit dem sogenannten "Hufeisenplan" oder zum abseitigen "Auschwitz"-Argument geraten zu haben. Schröder fürchtete damals um sein Amt als Bundeskanzler. Der Krieg hätte ihm in der deutschen Öffentlichkeit um die Ohren fliegen können. Viele "seiner" Blätter, wie damals noch die Woche oder die WAZ im Ruhrgebiet, waren gegen den Krieg. Hier waren Schröder und Scharping zwangsverbunden. Und Scharping stand.
Scharping hat sein Scheitern bei der Bundestagswahl 1994 und seinen Sturz vom SPD-Vorsitz 1996 durch die Verschwörer Lafontaine und Schröder nicht vergessen. Er wird jetzt sicher einen Bestseller schreiben, womöglich im Verlag der Firma Hunzinger .

Redaktionelle Notiz:


Kurz nachdem im Freitag vom 14. 9. 2001 der oben erwähnte Artikel erschienen war, rief der Herr Hunzinger persönlich an, wir hatten das Vergnügen. Er erregte sich über die Aussagen den finanziellen Stand seiner Firma betreffend, erwähnte die etlichen Millionen, die er (im Gegensatz zu uns kleinen Läusen) als Umsatz mache und sprach von Rufschädigung. Eine bloße "Gegendarstellung" war ihm zu wenig, doch was er nun wirklich von uns wollte (PR vielleicht?), das konnten wir nicht eruieren. "Ich mach euch platt", sagte der Herr Hunzinger dann noch, eine Formel, die er wohl häufiger verwendet. Wir hörten seitdem nichts von mehr von ihm, sind ihm dann wohl doch zu kleine Läuse. A.R.


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