Im Jahre 1990 flogen die Westgrünen schon mal aus dem Bundestag. Alle redeten von der deutschen Vereinigung, nur die Grünen redeten vom Wetter. So ähnlich stellt es sich jetzt wieder dar: der grüne Industrielobbyist Oswald Metzger schwadroniert in der Financial Times vom "ökologischen Imperativ", der für ihn bedeutet, der Staat habe sich herauszuhalten. Während der Rest des Landes grübelt, wie er die Massenerwerbslosigkeit beseitigen kann.
Es gab mal eine Zeit, in der ein hegemoniefähiger linker Flügel der Grünen das Konzept eines "ökologischen New Deal" entwickelte. Das Konzept entsprang der Einsicht, dass die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung nur für eine ökologische Politik zu gewinnen sei, wenn diese garantiert mit sozialer Gerechtigkeit verbunden ist. Das war Anfang der neunziger Jahre und geriet über die Jahre in Vergessenheit.
Mitte der neunziger Jahre hatten die Grünen eine gute Zeit. 1994 kehrten sie mit 7,3 Prozent in den Bundestag zurück. 1995 verdoppelten sie sich in Nordrhein-Westfalen von fünf auf zehn Prozent und zogen dort in die Landesregierung ein. Fortan stritten sie sich mit dem Koalitionspartner SPD, der dem RWE-Konzern hörig war, über die Braunkohle ("Garzweiler II"). Ihre Anhänger verstanden, die Umfragewerte stiegen auf 14 Prozent. Doch dann knickte man in NRW ein, um Rot-Grün für die folgende Bundestagswahl nicht zu blockieren. Parallel fasste man so geistvolle Beschlüsse wie "Fünf Mark für den Liter Benzin", die die Zustimmung schnell wieder bis in die Nähe der Fünf-Prozent-Hürde eindampften. So landeten die Grünen 1998 dann nur als "Kellner" (6,7 Prozent) in der rot-grünen Bundesregierung.
Kurz nach Regierungseintritt mussten sie gleich die heftigste Auseinandersetzung führen: es ging um die Frage der Beteiligung am Kosovo-Krieg. Der Bundesparteitag in Bielefeld entschied sich mit knapper Mehrheit, dem Bundesaußenminister Fischer auf seinem Kurs zu folgen, der auch von seinem einstmals schärfsten Kritiker Ludger Volmer verteidigt wurde. Die NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn grub sich mit einer fulminanten Gegenrede in das Gedächtnis der Öffentlichkeit und des Bundesaußenministers ein und versaute sich so nach allgemeiner Ansicht die spätere Chance, Bundesverbraucherschutzministerin zu werden. Das wurde dann Renate Künast.
Dass ausgerechnet die Grünen als einstmalige Friedenspartei die erste deutsche Beteiligung an einem Angriffskrieg nach 1945 durchsetzten, mochten jedoch rund 5.000 Mitglieder nicht einsehen und verließen die Partei. Das waren seinerzeit rund 15 Prozent und möglicherweise fast die Hälfte der Aktiven. Den rechten Parteiflügel um Fischer schmerzte das nicht, denn nun waren die innerparteilichen Kräfteverhältnisse geklärt und die fälschlich "Realos" genannten bestimmten nun die Richtung. Die Grünen verschenkten in dieser Zeit Möglichkeiten, die sie noch in den achtziger Jahren nutzten. Rund 40 Prozent der Bevölkerung, in den neuen Bundesländern die Mehrheit, waren gegen deutsche Kriegsbeteiligung; daran änderten weder die Einheitsparteien noch die Gehirnwäscheversuche vieler Medien etwas. Diese große Minderheit stand ohne politische Vertretung da. Hätten die Grünen zugegriffen, wären sie zwar aus der Regierung geflogen, aber stärker geworden als zuvor.
Der Verlust engagierter linker Mitglieder wurde ausgeglichen. Es kamen viele Junge herein, die einerseits von grüner Streit- und Diskursfähigkeit, aber auch von den Karriereangeboten einer Regierungspartei angezogen wurden. Die Strategie von Fischer und Co. ging also auf. Linke wie Ludger Volmer, Jürgen Trittin oder Claudia Roth wurden zu "lame ducks", abhängig von rechten Parteitagsmehrheiten. Lediglich Bärbel Höhn konnte sich aufgrund ihrer für die breite Öffentlichkeit erkennbar blockierten Bundeskarriere und durch eine extrem populäre Führung ihres Landesministeramtes eine gewisse Souveränität erhalten.
Die kommende Bundestagswahl könnte nun zu einer Abrechnung geraten. Nach der Kosovo-Entscheidung 1999 fielen die Grünen bei der NRW-Wahl 2000 von 10 auf 7,2 Prozent. Erst jetzt, als sie mit höherer absoluter Stimmenzahl nur noch 6,2 Prozent erreichten, wird das ganze Ausmaß der Gefahr, in der sie schweben, erkennbar. Das Ergebnis ihres stärksten Landesverbandes, ist bundesweit hochgerechnet, mikroskopisch nah an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Law-and-order-gläubigen Konservativen, die 2000 wegen der Kohlschen Parteispendenaffäre der Urne fernblieben, sind zur CDU zurückgekehrt, weil sie ein Ziel vor Augen hatten: den Regierungswechsel. Sie werden also auch an der Bundestagswahl gut mobilisiert teilnehmen. Nun kommt als Risiko für die Grünen vielleicht noch das Zusammengehen von PDS und WASG dazu. Eine ZDF-Politbarometer-Umfrage ergab, dass 21 Prozent der Grünen-WählerInnen, mehr als bei der SPD (15 Prozent), sich vorstellen können, diesen Zusammenschluss zu wählen.
Schon verlangen linke und junge Grüne einen Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei. Beim über Hartz IV entscheidenden Parteitag machten sie nur ein Drittel aus. Ob sie diesmal mehr Kraft haben? Die Zeit ist knapp. Und wie soll ein Kurswechsel glaubwürdig werden, wenn die "alten" Gesichter in den Bundesländern bereits wieder nach den "sicheren" Plätzen auf den KandidatInnen-Listen greifen? Eine Kandidatur, wie die von Marek Dutschke in Berlin, gibt der Kritik vieler nachdrängender junger Grüner daran Ausdruck. Bisher ist noch nicht erkennbar, ob und wie sich hier Kräfteverhältnisse verschieben.
Kaum bemerkt haben die Grünen ihren Verlust bei den Frauen, auf die sie sich früher immer verlassen konnten. In NRW war das Geschlechterwahlverhalten nivelliert wie noch nie: fünf Prozent bei den Männern, nur sieben Prozent bei den Frauen. Die starken grünen Frauen treten nicht in frauenpolitischen Zusammenhängen auf, die gealterten Feministinnnen werden so marginalisiert, verbittern und werden damit für junge Frauen noch unattraktiver. Derweil kandidiert erstmals eine Frau als Bundeskanzlerin und ein (seit kurzem) offen Schwuler als Vizekanzler.
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