Ist unsere eigene Wahrnehmung genauso kurzlebig wie die vielgescholtene Mediengesellschaft? Wie seltsam verklärt wirkt aus heutiger Sicht Bill Clinton, der immerhin den Irak hat bombardieren lassen, ohne vorher die UNO zu fragen. Dennoch erscheint er heute wie ein liberaler Intellektueller. Und wie kann es sein, dass große Hoffnungen auf den Medienmagnaten Haim Saban projiziert werden? Der hat Clintons Wahlkämpfe nämlich mitfinanziert. Seine gesamte Biografie gibt den Anschein eines fast idealen Kosmopolitismus: jüdische Eltern, in Ägypten geboren, 1956 nach Israel, später nach Paris und dann in die USA. Nun also hat er das Ziel erreicht, die wichtigsten Überreste des Kirch-Konzerns zu kaufen: die kränkelnden TV Sender SAT 1, Pro 7 und Kabel 1 sowie den Filmhandel.
Schrecklich wirkte dagegen Sabans Konkurrent Bauer, der nun aus dem Rennen ist. Am eindrucksvollsten präsentierte das der derzeit in medienkritischer Hochform agierende Harald Schmidt dem Sat1-Publikum, als er seinen vermeintlichen zukünftigen Arbeitgeber vorstellte: einen Stapel der Bauer-Zeitschriften vor sich liegend, zeigte er die Titelseiten einzeln vor. Das genügte. Gegen Bauer wirken sogar die ähnlich rechtsorientierten Häuser Springer und Burda wie Hochburgen deutschen Denkertums. Doch nicht diese Schreckensvision, sondern zwei merkantile Aspekte haben aus Sicht der Kirchschen Gläubigerbanken anscheinend gegen Bauer gesprochen. Bauer ist bereits als Minderheitsgesellschafter an RTL 2 beteiligt, also schon im Boot der einzigen Privat-TV-Konkurrenzfamilie Bertelsmann (RTL, RTL2, SuperRTL, Vox, NTV). Das hätte Probleme mit dem Kartellamt gegeben. Außerdem zeigte Bauer sichtbares Desinteresse am Filmhandel. Und die Banken brauchen dringend das Geld.
Der überteuerte Zusammenkauf der Filmrechte war einer der Nägel am Sarg des Kirchimperiums. In den siebziger und achtziger Jahren war Kirch mit diesem Handel groß geworden. Damals begünstigten ihn seine politischen Freunde in ARD und ZDF, die ihre Filmware brav immer bei ihm einkauften. Als die ARD einmal unter Führung des damaligen WDR-Intendanten von Sell einen Deal mit dem MGM-Studio in Hollywood an Kirch vorbei vollendete, nahm der Ablauf Formen an, wie sie aus Mafia-Filmen bekannt sind: Erpresserbriefe unter Türschlitzen, Wanzen in Hotelzimmern, Tröpfchen in den Drinks. Von Sell stürzte wenig später über eine aus heutiger Sicht geringfügige »Korruptions«-Affäre, die direkt aus seinem eigenen Senderapparat in die Medien gespielt wurde. Ende der neunziger Jahre versuchte Michael Kölmel, mit seiner Firma Kinowelt zum Konkurrenten von Kirch aufzusteigen. Es gelang ihm zwar, Kirch beim Kauf eines Filmpakets von Warner Brothers zu überbieten. Kirch sorgte aber erfolgreich dafür, dass kein Sender bei Kölmel Filmrechte erwarb. Kinowelt musste in die Insolvenz, und Kirch behielt sein Monopol.
Seit die Krise Kirchs sich herumgesprochen hatte, war er allerdings weder bei Käufern noch Verkäufern ein geschäftsfähiger Partner. Hollywood weigerte sich, Preisnachlässe zu geben, und bestand nervös auf der Begleichung ausstehender Rechnungen. ARD, ZDF und RTL waren ebenfalls frei von der samariterhaften Anwandlung, Kirch mit Mondpreisen für seine schließlich nicht frischer werdende Filmware aus der Patsche zu helfen. Dieses Filmpaket (insgesamt mehrere tausend Filme und Serien) dürfte bei den Verhandlungen zwischen Kirchs Insolvenzverwaltern, Bauer und Saban einer der strittigsten Punkte gewesen sein. In diesem Paket steckt viel sehenswerte Produktion, die dem deutschen Markt bisher vorenthalten wurde. Doch je länger diese Filme im Archiv bleiben, umso schwerer ist die Frage zu beantworten, wer all das noch sehen will, mithin: was diese Filme noch wert sind. In diesem Punkt ist Saban, der über bessere internationale Beziehungen verfügt als Bauer, optimistischer.
Zu welchen Hoffnungen gibt Saban nun wirklich Anlass? Die Gewerkschaften begrüßten den Zuschlag für Saban. Er hat mehr Zusagen für die Sicherung von Arbeitsplätzen gegeben. Es wird sich bald erweisen, was die wert sind. Auch deutsche Filmregisseure äußerten Hoffnung. Das könnte etwas übereilt gewesen sein. Warum soll Saban schöne teure Filme bezahlen? Im deutschen Fernsehen wird das meiste Geld mit billigen Quizshows und mit dem Selberbacken von Schlagersternchen in einer superlangen Konzernverwertungskette von Bertelsmann verdient. Die Konzepte wurden noch nicht einmal selbst entwickelt, sondern aus anderen Ländern kopiert. Man sparte also vor allem auf der kreativen Seite der Verwertungskette. Die Lücken, die noch bleiben, werden mit Soaps gefüllt, deren Produktionszeiten kurz und billig und deren DarstellerInnen vor allem preiswert und dünn sind. Die wichtigen Sendeplätze zwischen 18 und 23 Uhr sind damit gefüllt.
Die öffentlich-rechtlichen Sender, die sich aufgrund ihrer stabilen Gebühreneinnahmen finanziell immerhin sicher fühlen dürfen, hat fast jeder Produktionsmut verlassen. Ihr Personal ist überaltert, wer sperrige Ideen hat, muss woanders hingehen. Stoffe von Rosamunde Pilcher, Uta Danella und andere Schmalzware für das Publikum 50+X füllen hier die Programmplätze, und die Senderchefs sind glücklich mit den Einschaltquoten.
Was an dieser Marktlage soll Saban ändern und warum, wenn es doch so herrlich funktioniert? Welche Rolle wird Saban als politischer Machtfaktor spielen? Alles spricht dafür, dass er in erster Linie Sieger sein will. Er hat Clinton bezahlt, und der hat gewonnen. Er hat zusammen mit dem Kriegshetzer Murdoch gewaltschwangere Kinderserien produziert und die gemeinsame Firma rechtzeitig vor der Medienkrise für viele Milliarden an Disney weitergereicht. Aus dieser gut gefüllten Kasse will er nun günstig die Kirch-Reste kaufen. Die Bush-Regierung hat über ihre Berliner Botschaft im Interesse des früheren Clinton-Fans interveniert. In der gespannten politischen Lage zwischen Europa, Deutschland und den USA scheint das »überzeugt« zu haben.
Statt auf diesen Mann zu hoffen, sind die Medienschaffenden gut beraten, sich eigene Konzepte und Strategien zu überlegen. Es gibt keinen Ersatz für eigene Stärke. Wer hat die besten Ideen? Wer macht die tollsten Filme und Dokumentationen? Wo gibt es noch Qualitätsjournalismus? Wie organisieren diejenigen, die das wollen und können, ihre Interessen gegen jene Besitzer, Unternehmensberater, Controller und Betriebswirte, die heute in Verlagen und Fernsehsendern regieren? Welchen Raum geben in diesem Gefüge die deutschen Gewerkschaften noch kreativen und damit natürlich »schwierigen« Kulturschaffenden? Die technologische Entwicklung hat immerhin die Zahl der Vertriebswege zum Publikum vervielfacht und verbilligt. Ideen für ihre kreative und effiziente Nutzung sind gefragt, bevor wieder irgendein globaler oder nationaler Konzern versucht, sie vom Markt wegzukaufen. Denn: »Es gibt immer einen Markt für das Besondere.« (Alexander Kluge)
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