Radio Liberty

Informationsmüll In seinem Buch über den amerikanischen Geheimdienst NSA beschreibt der Journalist James Bamford das Problem der USA, ihr Wissen über die Welt zu verwerten

In zwei Jahren passiert viel. Der 11.September wurde nicht verhindert. Ein Krieg gegen den Irak wurde geführt und Saddam Hussein konnte entwischen wie vor ihm Osama bin Laden. Bereits vor diesen Ereignissen vollendete der liberale US-amerikanische Journalist James Bamford sein Standardwerk über die NSA. Anatomie des mächtigsten Geheimdienstes der Welt. Nach diesen Ereignissen gelesen, wirft sein Buch mehr Fragen auf, als uns ohnehin schon beschäftigen.

In weiten Passagen schreibt Bamford im Stile eines Tatsachenromans. Da werden untergehende Sonnen, anzulegende Sicherheitsgurte und perlende Schweißtropfen auf der Pilotenstirn ebenso in Szene gesetzt wie abgerissene Gliedmassen und jähzornige Schiffskapitäne. Das erleichtert es dem Laien, die 688 prall gefüllten Sachbuch-Seiten durchzuhalten. Doch auch Fachleute, seien es Militärveteranen oder Informatiker, können sich gut über große Bereiche der strategischen und politischen Kapazitäten der USA schlau machen.

Dabei schreibt Bamford nicht mit dem Gestus des systemkritischen Geheimnisverräters; er ist kein Daniel Ellsberg und kein Phillip Agee. Oft ist seine patriotische Zuneigung zu den Jungs, die an der Front ihren Job machen, zu spüren. Sie kontrastiert mit seinem Widerwillen gegen administrative und politische Intrigen, die Soldaten und Dienstmitarbeiter oft genug mit ihrem Leben bezahlen mussten.

Jahrzehntelang stand in erster Linie die CIA (Central Intelligence Agency) im Blickpunkt internationaler Kritik. Mister Rumsfeld verwendet für sie umgangssprachlich und politisch durchdacht das Wort "Intelligence"; man stelle sich vor, wir würden unseren Bundesnachrichtendienst als Intelligenz bezeichnen. Die NSA operierte in ihrem Schatten, zu Unrecht. Sie beschäftigt heute in Crypto City/Maryland 38.000 Menschen, das sind laut Bamford mehr, als CIA und FBI zusammen aufbringen. Ihr Jahresetat soll gut sieben Milliarden Dollar betragen. Über nachgeordnete Horchposten arbeiten ihr weltweit weitere 250.000 Menschen zu. In den letzten Jahren geriet sie erstmals auch in europäisches Scheinwerferlicht. Das Europaparlament erregte sich über das NSA-eigene "Echelon"-System, mit dem nicht nur für US-Sicherheit, sondern auch für weltweite ökonomische Vorteile im globalen Wettbewerb gesorgt, also nicht nur Militär-, sondern auch Industriespionage betrieben wird. Wer hier mehr Details in dem Buch sucht, wird enttäuscht. Bamford bestreitet den Sachverhalt nicht, misst ihm aber in seiner Darstellung nicht viel Gewicht bei. Es ist nicht auszuschließen, dass er diese Arbeit in Ordnung findet und mit ausgedehnter Beschreibung nicht unnötig behindern will.

An anderen Stellen glänzt der Journalist mit großem Detailwissen. Wer den Kalten Krieg bis zum Ende der Sowjetunion und die damit verbundene Propaganda in West und Ost noch selbst miterlebt hat, wird beeindruckt sein, wie überlegen die US-Militär- und Spionagetechnik war. Von 1956 bis 1960 wurde der sowjetische Luftraum kontinuierlich durch hochfliegende US-Spionageflugzeuge verletzt. Die Sowjetunion war überwachungstechnisch blind für ihren eigenen Luftraum und hatte kein militärisches Gegenmittel. Erst 1960 gelang der Abschuss einer U2, demonstrativ am Kampftag des 1.Mai und wenige Tage vor einer Gipfelkonferenz. Diese Phase gehört zur Vorgeschichte der 1961 folgenden "Kubakrise", in der die Welt nur knapp am atomaren Fallout vorbeischrammte. Insgesamt verlangte der Kalte Krieg 200 Tote; 40 US-Flugzeuge wurden abgeschossen. In der politischen Öffentlichkeit wurde nur wenig Aufhebens darum gemacht.

Besonders erfolgreich war die Geheimhaltung 1967 im Sechs-Tage-Krieg der Israelis gegen Ägypten, Jordanien und Syrien. Während die Israelis in der Stadt Al Arish ein Massaker an 400 Kriegsgefangenen (Kommando: Ariel Sharon) verübten, hörte das US-Spionageschiff Liberty wenige Kilometer vor der Küste der Halbinsel Sinai alle Fakten mit. Es wurde daraufhin von israelischen Flugzeugen und Torpedobooten zu Schrott geschossen, um mögliche Beweisdokumente zu vernichten. Zwei Drittel der Besatzung kamen ums Leben, der Rest konnte sich nach Malta retten und wurde zur Geheimhaltung verdonnert. Die Beziehungen zwischen den USA und Israel sollten nicht gefährdet werden.

Beeindruckend an Bamfords Darstellung ist, dass die NSA offensichtlich seit dem II. Weltkrieg den Globus komplett abhört, foto- und kartografiert. Arbeitsteilung oder gar Vertrauen mit NATO-Verbündeten gab es dabei nicht. Lediglich Briten und Australier wurden sporadisch für Hilfeleistungen in Anspruch genommen. Dennoch werden bei Bamford auch die Probleme der USA bei ihren Weltherrschaftsplänen deutlich. Das marode US-Bildungssystem deckt nicht den Qualifikationsbedarf der NSA. Sie muss fast die Mehrheit der ausgebildeten Mathematiker anderswo anwerben. Noch größer sind die Probleme bei den Informatikern. Denn ihre Arbeit bei der NSA gilt als eintönig. Fast unlösbar scheint die Heranbildung von Linguisten-Nachwuchs, je exotischer die aktuelle "Achse des Bösen", umso schwieriger. Und selbst wenn sie das schaffen: Wer wird den gesammelten Informationsmüll kulturell und sozial entschlüsseln und ordnen können? Die Zuschauer von Fox-TV (US-Marktführer im Eigentum von Rupert Murdoch) bringen solche Fähigkeiten jedenfalls nicht mit, die werden ihnen eher vernichtet. Am 11.9.2001 wurde dieses Informationsproblem besonders katastrophal deutlich. Nimmt man einmal die offizielle Geschichte als wahr an, dass Osama bin Laden wirklich hinter dem New Yorker Attentat steckte, dann sind nach heutigen Informationen entsprechende Vorbereitungs-Telefonate wohl ebenso tatsächlich aufgefangen worden; sie fielen aber zu spät auf und erfuhren erst im nachhinein ihre realistische Bewertung.

Mit dem von Bamford vermittelten Wissen über die technischen NSA-Fähigkeiten kann heute niemand glaubwürdig behaupten, die USA wüssten nicht, wo Saddam Hussein steckt. Hieß es nicht auch, die irakischen Truppen seien plötzlich "verschwunden"? Das kann man Fernsehzuschauern vielleicht noch weismachen, aber sicher nicht der NSA. Für sie sind diese Krisenfälle die Rettung aus der eigenen Krise. Zwischen 1990 und 1997 musste sie 17,5 Prozent Personal abbauen, bis 2001 sollten es 24 sein. Dann kam das Attentat von New York.

James Bamford : NSA - Die Anatomie des mächtigsten Geheimdienstes der Welt, C.Bertelsmann, München, 688 S., 34 EUR

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