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Armenien 3D-Animieren und Hacken statt trockener AG: Am Tumo-Zentrum in Erewan lernen 14 000 Kinder das Einmaleins der digitalen Zukunft. Auch Deutschland könnte davon lernen.

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Das Tumo-Zentrum
Das Tumo-Zentrum

Foto: Serouj Ourishian/Wikimedia (CC 3.0)

Durch seine kantige Brille beobachtet Samvel Amanyan jede Drehung des dreidimensional-animierten Roboter auf dem Bildschirm seines iMacs. Der Dreizehnjährige braucht ihn für seinen nächsten Kurzfilm, der sein dritter sein wird.Er sitzt Tumo Zentrum, einem Bildungsinstitut mitten in Armeniens Hauptstadt Erewan, das in den letzten zwei Jahren zu seinem Büro geworden ist. Hier lernt er nach der Schule sein Handwerk, vom Drehbuchschreiben über Story-Telling bis zum Schnitt. „Es hat etwa sechs Monate gedauert, den ersten Film zu produzieren“, berichtet er. „Nächstes Jahr mache ich auch noch einen Musikkurs, dann kann ich die Filmmusik selbst beisteuern“.

Der junge Regisseur ist einer von 14 000 armenischen Jugendlichen, die am Tumo Zentrum seit 2011 nachmittags eine technische Grundausbildung erhalten. Anstatt trockener AGs und Overhead-Projektor lernen sie die gängigen Programmiersprachen, dreidimensionales Animieren und entwickeln ihre eigenen Computerspiele. Der armenische Staat bekommt davon wenig mit. Es sind armenische Philanthropen im Ausland, die hier seit Jahren in Bildung investieren und so einen Raum für kreatives Denken geschaffen haben, der in den politischen Umwälzungen der vergangenen Wochen seinen Ausdruck findet. Mit zwei geschlossenen Grenzen zu Nachbarländern Türkei und Aserbaidschan sieht die Jugend ihre Zukunft vor allem im fast grenzenlosen IT-Sektor. Das Tumo Projekt könnte so auch zum Vorbild auch für Deutschland werden.

„Unser Ziel ist es, dass jeder Armenier in Zukunft das ABC der Technik kennt “, erklärt Zara Budaghyan, Sprecherin von Tumo. Das ist ein ambitioniertes Ziel, zurzeit sind schätzungsweise 15% der armenischen Schülern am Tumo Zentrumangemeldet. Die Schule und Universität soll Tumojedoch nicht ersetzen, meint sie. „Wir überlassen das der Regierung, wollen aber gerade deshalb auch in unserer Arbeit unabhängig von staatlichen Kurrikula und Geldern bleiben“. Die Schüler können sich kostenlos anmelden, anstatt ihrer Schulnoten müssen sie nur eine Einverständniserklärung der Eltern vorlegen.

An mobilen iMacs rollt Samvel durch die hohen Hallen des verglasten Gebäudekomplexes. Gemeinsam mit vierzig Mitschülern lernt er heute das Einmaleins des dreidimensionalen Animierens. „Wir müssen nicht nur die Figuren entwickeln, sondern sie auch in Bewegung bringen“, erklärt er. Lilit, die neben ihm sitzt, starrt ebenfalls konzentriert auf den Bildschirm. Sie möchte ein Ego-Shooter Computerspiel entwickeln, auch wenn das die Lehrer nur widerwillig unterstützen. „Aber wenn sie das wirklich machen will, helfen wir natürlich so gut wir können“, meint Budaghyan.

Während im Untergeschoss der Unterricht stattfindet, sitzen in der zweiten Etage diejenigen, deren Projekte bereits erste Gewinne abwerfen. „Wir verlangen keine Ergebnisse, freuen uns aber natürlich wenn unsere Schüler mit eigenen Filmen, Unternehmen und Computerspielen erfolgreich sind“, erklärt Budaghyan. Vielversprechenden Start-Ups stellt Tumo dann neben Expertise auch die Räumlichkeiten und einen Anfangskredit zur Verfügung, erhält dafür im Rückzug 50% Anteilsrechte am Copyright. „Wir verdienen daran aber nichts“, versichert Budaghyan, „das könnten wir mit unser gemeinnützigen Mission nicht vereinen.“

Gesponsert werden alle vier Tumo Zentren in Armenien von der gemeinnützigen Sam und Sylva Simonian Bildungsstiftung, die von einem wohlhabenden armenischen Ehepaar im US-Bundesstaat Texas finanziert wird. Sie ist neben der Cafesjian und Nvak Stiftungen eine der aktivsten philanthropischen Stiftungen in Armenien.„Wie kaum ein anderes Land in der Region profitiert Armenien von seiner umfangreichen Diaspora“, meint auch Dr. Martin Hoffmann, Regionaldirektor Osteuropa beim Bund der Deutschen Industrie (BDI). Von knapp 10 Millionen Armeniern leben nur 3 Millionen im Land, zu den größten armenischen Exklaven gehören Moskau, Los Angeles und Paris. Die meisten verließen das Land während und nach dem Völkermord 1915–23 und später in den stagnierenden Jahren der Sowjetunion. „Armenien ist ein Land mit starkem wirtschaftlichen Potential, sein größtes Handicap bleiben die geschlossenen Grenzen mit den Nachbarn Türkei und Aserbaidschan“, meint Hoffmann. Der IT-Sektor, dessen Dienstleistungen nicht an nationalen Grenzen haltmachen müssen, bietet da eine hervorragende Alternative.

Mit einem Umsatz von knapp 500 Millionen US-Dollar pro Jahr ist der IT-Sektor Armeniens vielversprechendste wirtschaftliche Perspektive. Doch es liegt noch ein weiter Weg vor der digitalen Industrie: erst knapp 58% der armenischen Bevölkerung verfügen über einen Internetzugang. Längst hat ein Wettlauf zwischen den drei führenden Telekommunikationsunternehmen um die verbleibenden 42% begonnen, Marktführer UCom investiert alleine nach eigenen Angaben 35 Millionen US-Dollar jährlich in den Ausbau des Datennetzes. „Wir wollen in Zukunft mehr hauseigene Start-Ups entwickeln“, erklärt Budaghyan von Tumo, „dann haben immer mehr unserer Schüler auch eine Perspektive in Armenien“.

So wie Alex Turmanyan. Der 20-jährige unterrichtet die Musikband Pyramidzam Tumo Zentrum. „In unserem neuen Technosound vereinen wir traditionelle armenische Lieder, die während des Völkermords geschrieben wurden, mit modernen armenischen Einflüssen“, berichtet er mit glühenden Augen. Vorspielen möchte er den Song aber nur im Tonstudio im Erdgeschoss, „sonst kommen die Details nicht heraus – und daran haben wir am meisten gearbeitet“. Hier, zwischen Instrumenten, Reglern und Lautsprechern fühlt er sich wohl. Manchmal spielt er mit den Pyramidz auch in den USA oder Europa, trotzdem möchte er in Armenien bleiben. „Seit acht Jahren verbringe ich meine Nachmittage in diesem Tonstudio, das ist meine Heimat geworden“, erzählt er.

Samvels nächster Film soll ein Science-Fiction Film über das Leben in Armenien in 20 Jahren werden. Dann, meint der 13-Jährige, sollen hier Roboter durch die Straßen laufen und alles digitalisiert sein. „Aber es soll eine Geschichte über zwei Freunde werden, die Roboter und Digitalisierung ändern ja nichts an den Menschen“, erklärt er und animiert seinen Roboter weiter. Ob Armenien dann tatsächlich so aussehen wird, bleibt erst einmal ungewiss. Bisher gibt es im Technik und IT-Markt nicht genug Jobs, um so vielen Einsteigern einen Job zu bieten. Budaghyan gibt sich trotzdem optimistisch. „Solange wir der Generation Kreativität und das technologische Grundwissen mitgeben können, mache ich mir um Armeniens Zukunft keine Sorgen“, meint sie.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Ostwald

Chefredakteur beim "Journal of Interrupted Studies", journalistisch bei FAZ, NZZ und taz unterwegs . Internationale Beziehungen, Universität Oxford.

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