Stoppt den Vortragswahn in der Uni!

Studium Das Referat ist zur nervigen Begleiterscheinung im Studium des Autors geworden. Wie aus der Vorliebe zum Vortragen tiefe Abneigung wurde, beschreibt er in diesem Beitrag

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Stoppt den Vortragswahn in der Uni!

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Jeder Student hat seine eigene Methode, mit der stressigen Klausurenphase fertig zu werden. Als käme das Ende des Semesters völlig überraschend, durchwühle ich hektisch Mappen und Ordner in der Hoffnung, Vorlesungsmitschriften zu finden, die mir beim Lernen helfen. Wie immer finde ich nur das, was ich am wenigsten benötige: zerknickte, wahllos bekritzelte Handouts, die sterblichen Überreste dutzender Referate, die ich im Laufe des Semesters gehört habe.

Die lieblos gestalteten Gebrauchsanweisungen, die zu Beginn eines Vortrages verteilt werden, enthalten diverse Tippfehler und den inhaltlichen Mehrwert, den man beim dreißig sekündigen Überfliegen eines Wikipedia-Artikels erhält. Mit Mühe, Not und der entsprechenden Schriftgröße strecken sich die Stichpunkte über die Länge einer DIN A4 Seite. Die Handouts stehen sinnbildlich für ein Phänomen, das viele Studierende zur Weißglut treibt.

Referate halten, das war in der Schulzeit meine Paradedisziplin. Begeistert von dem zunehmenden Vertrauen meiner Lehrer, mit einem persönlichen Beitrag den Unterricht bereichern zu können, hängte ich mich richtig rein. Einmal in den Ranga Yogeshwar-Modus geschaltet, versuchte ich komplexe Themen verständlich und anschaulich aufzubereiten. Die Referate packten meinen Ehrgeiz, weil ich es einmal besser machen wollte als die Lehrer, an deren Methoden ich selten ein gutes Haar ließ.

Folter in Reinform

Seitdem ich studiere, hat sich diese Vorliebe schlagartig in Luft aufgelöst. Unerwartet und unbeliebt wie ein Vokabeltest lauert das Referat hinter jeder Ecke. „In diesem Seminar sollen Sie die Chance haben, die Sitzungen durch ihre Vorträge methodisch und inhaltlich mitzugestalten“, erklärt die Dozentin. Was sich nach einem erfrischenden, auflockernden Element im schnöden Unialltag anhört, ist Folter in Reinform. Die Vorträge bieten nämlich keine Abwechslung zum Frontalunterricht des Lehrbeauftragten, sie dominieren das akademische Leben der Studenten der Geisteswissenschaften.

Die Verantwortung dafür tragen nicht etwa faule Lehrbeauftragte, die in den Vorträgen eine Chance sehen, sich den Großteil ihrer Arbeit abnehmen zu lassen. Die Referatsflut ist auch keine Folge des studentischen Begehrens, Seminare mit sorgfältig vorbereiteten Inputs aufzuwerten. Das Problem liegt in der Heiligen Schrift der Hochschule, auch als Studienordnung bekannt. Darin steht geschrieben, dass sich Studenten die aktive Teilnahme durch das Halten eines Referats verdienen können. Sie sind nicht mehr dazu verpflichtet, eine schriftliche Arbeit einzureichen.

Die Entscheidung, ob man lieber eine mehrseitige schriftliche Ausarbeitung abgibt oder einen viertelstündigen mündlichen Vortrag hält, fällt dabei so schwer, wie darüber nachzudenken, eine nicht-klausurrelevante Vorlesung um 8 Uhr morgens zu besuchen. So muss der verzweifelte Dozent vierzig drängelnde Teilnehmer eines völlig überfüllten Kurses mit Referaten eindecken. Für diese organisatorische Meisterleistung stehen ihm gerade mal fünfzehn Sitzungen zur Verfügung, die innerhalb eines Semesters stattfinden können. Selbstverständlich muss die überforderte Lehrkraft auch darauf achten, die Themenwünsche und terminlichen Vorstellungen jedes Einzelnen zu berücksichtigen.

Prokrastination, Planlosigkeit und Parties

Die meiste Zeit in der Uni verbringe ich also damit, meinesgleichen bei der Erörterung eines Sachverhaltes zuzuhören, von dem er oder sie genauso wenig Ahnung hat wie ich. Wäre ich eine bekannte deutsche Poetry Slammerin, würde ich sagen: “Ich halte heute ein Referat über…” ist die Baseline meines Alltags. Bei der großen Anzahl an Referaten ist natürlich auch die Leistungsvielfalt stark ausgeprägt, wie man in feinstem Pädagogensprech formulieren könnte. Im Klartext bedeutet das, die überwiegende Mehrheit der Vorträge sind schlecht vorbereitet, oberflächlich und sterbenslangweilig.

Selbst wenn ich mir vornehme, meine Kommilitonen mit einem Auftritt in Jubelstürme zu versetzen, der jede Vorstellung eines neuen iPhones von Steve Jobs in den Schatten stellt, scheitere ich an meinem Anspruch kläglich. Die drei P´s im Leben eines Studenten stehen schließlich nicht für “Power Point Presentation”, sondern Prokrastination, Planlosigkeit und Parties. Auch die meist ausbleibende Benotung der Referate stachelt uns Studenten nicht gerade zu Höchstleistungen an.

Mit einer Mischung aus Mit- und Schamgefühl beobachte ich Woche für Woche, wie ein Kursteilnehmer nach dem anderen die belastende Pflichtaufgabe hinter sich bringt. Dabei entsteht immer das gleiche Bild: Mit schwitzigen Händen klammert sich der Referent an Karteikarten, die ihm als Gedächtnisstützen dienen. Da er diese nur spärlich beschriftet hat, versucht sich der zunehmend nervöse Redner in ausufernden Formulierungen. Droht seine Ahnungslosigkeit auf Grund einer harmlosen Verständnisfrage aufzufliegen, leitet er diese hilflos ins Plenum weiter: “Vielleicht kennt ja einer der Kommilitonen die Antwort.”

Ein kaputter Beamer und eine blutleere Abschlussdiskussion, die sich zu einem Zwiegespräch zwischen Lehrkraft und Vortragendem entwickelt, rundet die Performance ab. Wer hofft, dass die Qual endlich vorbei ist, wird schnell eines Besseren belehrt. Feedbackrunden, in denen Aussagen fallen wie: ”Also ich fand, dass du sehr frei gesprochen hast und man gemerkt hat, dass du dich echt mit dem Thema auskennst”, gehören zum tristen Unileben.

Am Ende des Vortrags bemüht sich der Dozent um Schadensbegrenzung, indem er die im Vortrag gestreuten Fehlinformationen wieder gerade rückt. Die Zuhörer als Adressaten dieser Ansprache haben sich zu diesem Zeitpunkt geistig längst verabschiedet. Der dafür verantwortliche Student wirkt erleichtert, hat er doch seinen Soll für dieses Semester erfüllt und muss sich im Kurs nicht mehr blicken lassen. Ich sitze zuhause an meinem Schreibtisch und frage mich, was ich in diesem Semester gelernt habe. Ich würde die Frage gerne ins Plenum geben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden