Der Name lebt noch. Das Gesicht, umrahmt von der schwarzen Baskenmütze mit silbernem Stern und fast schulterlangem Haar, kennt man. Es ist vielerorts dabei; in Heiligendamm 2007 bei den Protesten gegen die G 8-Politik oder bei der großen Berliner Demo im Frühjahr 2003 gegen den Irak-Krieg der USA. Auch Popstars und sogar Kirchenfürsten benutzen Che Guevara als Symbol. Sein Weg, die Welt zu verändern, war nur einmal erfolgreich, doch sein Anspruch und sein Ethos machen ihn zu einer weltweiten Ikone. 40 Jahren nach seinem Tod bringt ihm die sein Leben bestimmende Grundlinie, die Welt aus der Sicht der Armen zu sehen, noch immer Zulauf.
Die Ohnmacht des Arztes
1955 ist das entscheidende Jahr im Leben des damals 28-jährigen Argentiniers Ernesto Guevara. In Mexiko lernt er eine Gruppe Kubaner kennen, die nach dem gescheiterten Sturm auf die Moncada-Kaserne in Santiago 1953 und Gefängnisstrafen nun vom Ausland aus den Sturz des Batista-Regimes in Havanna zu organisieren suchen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Argentinier einfach auf der Suche. Er studiert Medizin, weil ihm der Arztberuf ein sinnvolles Ziel scheint. Aber bei seinen Reisen durch Lateinamerika registriert er überall Armut, Krankheiten, Hunger, Hoffnungslosigkeit. Angesichts des ausgedehnten sozialen Elends und des frühen Lebensverschleißes als Folge der Armut hält er in seinem Tagebuch fest, dass sich in einer solchen Situation "ein Arzt seiner ganzen Ohnmacht gegenüber dem sozialen Milieu bewusst wird". Er wünscht sich eine Änderung der Verhältnisse, etwas, "das die Ungerechtigkeit beseitigt."
Es ist eine eher logische als politische Schlussfolgerung seiner Beobachtungen. Auch wenn er über das an Bodenschätzen reiche Chile schreibt, die größte Anstrengung bestehe darin, "den unbequemen Yankee-Freund abzuschütteln" und dies gegenwärtig wegen der vielen investierten Dollars und des wirtschaftlichen Drucks der Amerikaner eine geradezu "übermenschliche Aufgabe" sei, sind die Tagebuchtexte der Jahre 1951/52 nicht eigentlich politisch.
Drei Jahre später, in Mexiko, liegt die Erfahrung Guatemala hinter ihm. In dem mittelamerikanischen Land hat er sich für die Reformpolitik der Regierung Arbenz engagiert, für eine Bodenreform, die das Land denen geben will, die es bearbeiten. Als Arzt wollte er die Umgestaltung der Gesellschaft unterstützen und musste - nachdem die CIA die US-Interessen, vor allem die der United Fruit Company, mit dem Sturz der Regierung schützte - aus dem Land fliehen.
Eine folgenreiche Begegnung
In Mexiko trifft er Fidel Castro, und diese Begegnung entscheidet sein Schicksal. Am Ende eines stundenlangen Nachtgesprächs ist er Anhänger des kubanischen Rebellenführers. Sie verstehen sich, sie ergänzen sich. Theoretisch ist Che zu dieser Zeit wohl belesener als Fidel. Aber der Kubaner ist der Führer, ein Macher, der genau weiß, was er will und wie er es erreicht, und seine Autorität ist unbestritten. Zum ersten Mal ist Guevara, den die Nichtargentinier inzwischen Che nennen (Füllwort, in der Bedeutung von "He", "he, du"), bereit, an einem Projekt teilzunehmen, das ein anderer geplant hat, einen Weg zu gehen, den ein anderer vorgibt.
Mit den Kubanern setzt er auf der altersschwachen Jacht Granma von Mexiko nach Kuba über, kämpft zwei Jahre mit den Rebellen in der kubanischen Sierra Maestra, wird einer der wenigen Comandantes der Revolution. Damit beginnt sein Ruhm. Anfang 1959 gehen die Bilder vom Sieg der kubanischen Revolution um die Welt. Drei Gesichter prägen sich ein: Fidel Castro, Camilo Cienfuegos und der Argentinier Che. Bärtige Idealisten, Männer, mit denen sich eine ganze Generation nicht nur in Kuba identifizieren kann.
Für Che Guevara beginnt der politische Alltag in Havanna. Er säubert die alte Armee, richtet über Kriegsverbrecher, ist verantwortlich für die Bildung in der Rebellenarmee, treibt die Bodenreform voran, reist als Sonderbotschafter durch die Welt, um neue Wirtschaftspartner zu finden - die USA haben nach der Verstaatlichung ihrer Besitztümer auf Kuba den ökonomischen und politischen Boykott verhängt - ,vor allem aber Verbündete.
Er erhält die kubanische Staatsbürgerschaft, übernimmt politische Ämter. Aber die Zeit in den Bergen hat ihn geprägt. In jenen Jahren galt ein Gleichheitsideal, das später nicht einzulösen ist. Der Comandante hatte nicht mehr Rechte als der einfache Rebell. Schickten die Verbündeten aus den Städten keine Lebensmittel und war kein Geld vorhanden, um den Bergbauern etwas abzukaufen, wurde gehungert. Man war aufeinander angewiesen, auf Zuverlässigkeit, Mut, Kameradschaft, Zusammenhalt und auch Opferbereitschaft. Stärker als jeder andere der Rebellen, stärker als selbst Castro, hält Che den moralischen Anspruch der Kriegstage auch in Havanna aufrecht. Das Leben in der Hauptstadt verführt ihn nicht. Er braucht keine schöne Wohnung, kein privates Auto, keine Anzüge. Seine Uniform, seine Bücher, und eine Aufgabe, hinter der er stehen kann, - das ist es. Sein Denken und seine Auffassungen über eine Revolution und ihre Wege sind seit der Erfahrung Sierra Maestra festgezurrt. So fest, das er eine Theorie daraus macht, die ihn später das Leben kosten wird.
Williger Architekt der Revolution
Bis dahin steht er für jede Aufgabe zur Verfügung. Kuba, von den USA boykottiert, braucht wirtschaftlichen und politischen Rückhalt? Che ist der Architekt der Beziehungen zur Sowjetunion. Lateinamerika ist allein? Im Innenministerium, das ihm nie untersteht, baut Che eine Sonderabteilung auf, ein "Befreiungsministeriums", von dem aus er Guerillagruppen in Ländern des Subkontinents mit Geld, Waffen und Ausbildung versorgt. Castro sucht einen zuverlässigen Mann für die Nationalbank? Che ist zur Stelle. Auch wenn alles nur auf einem Hörfehler beruht haben soll und der kubanische Staatschef später sagt, er habe nur in die Runde seiner Führungsleute gefragt, ob es unter ihnen nicht vielleicht einen economista gäbe. Che Guevara meldet sich und räumt angesichts von Castros Verblüffung ein, er habe comunista verstanden. Den Mitarbeitern in der Nationalbank bekennt er bei seiner Vorstellungsrede dann - nach geharnischten Worten gegen das alte Recht des Eigentums -, er sei eben mehr Guerrillero als Bankdirektor.
Monate später wird er Industrieminister und stürzt sich in den Aufbau einer - nach der inzwischen erfolgten Blockade durch die USA - auf sich gestellten kubanischen Wirtschaft. Kuba soll ein industrialisiertes Land werden, am besten sofort. Unmöglich. Er entwickelt ein eigenes Wirtschaftssystem, weil er meint, dass das der sozialistischen Länder immer wieder den alten egoistischen Adam hervorbringe, der nur arbeite, um mehr Geld zu verdienen. Es funktioniert nicht. Er predigt den Neuen Menschen, der sich opfert, täglich, in der Fabrik, auf dem Feld, in der Schule, der der Gemeinschaft mehr gibt als er nimmt. Illusion. Moralische Stimuli für gute Arbeit sind ihm wichtiger als materielle. Bei seinem System der freiwilligen Arbeit macht das Land zwar mit, aber systematischer wirtschaftlicher Fortschritt, der auch in den Geschäften und auf den Märkten zu spüren wäre, stellt sich in so kurzer Zeit nicht ein. Die Regierung muss Güter rationieren, was ihn wenig stört, weil er wenig braucht und weil das für ihn Wichtigste, die gleichmäßige Verteilung des Vorhandenen auf alle, sichergestellt ist.
Inzwischen gehen die Weltintellektuellen bei ihm ein und aus. Sie tragen dazu bei, das Bild eines selbstlosen Mannes zu verbreiten, der anderen nur zumutet, was er selbst zu tun bereit ist. Jean Paul Sartre, der - fasziniert von der Revolution - Kuba mehrfach besucht, nennt ihn den "vollkommensten Menschen der Welt". Eines Nachts - denn immer bekommen Besucher, auch die berühmtesten, einen Termin erst in der späten Nacht, wenn die Tagesarbeit erledigt ist - empfängt Che Guevara Pablo Neruda, den chilenischen Poeten, dessen Gedichte ihn bis in den Tod begleiten werden. In seinen Memoiren schildert dieser den Argentinier als einen "Mann für bedächtige Gespräche zwischen einem Mate und dem nächsten". Dann heißt es: "Che sagte mir in jener Nacht etwas, das mich ziemlich verwirrt hat, aber das vielleicht zu einem Teil sein Schicksal erklärt. Wir sprachen von einer möglichen nordamerikanischen Invasion gegen Kuba. Er sagte plötzlich: Der Krieg ... Der Krieg... Immer sind wir gegen den Krieg, aber wenn wir ihn einmal gemacht haben, können wir nicht ohne Krieg leben. In jedem Moment wollen wir zu ihm zurück".
Kritik an der sozialistischen Realpolitik
Ganze sechs Jahre hält es Che Guevara im Frieden aus. Zweimal droht in dieser Zeit ein kriegerischer Konflikt, aber die von der CIA 1961 organisierte und finanzierte Intervention in Playa Giron wird von kubanischer Seite in nur drei Tagen niedergeschlagen. Die 1962 von der Sowjetunion mit der Stationierung von Atomraketen auf kubanischem Territorium ausgelöste Krise regelt Moskau schließlich direkt mit den USA, ohne auf kubanische Interessen und Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Für Che Guevara ist das nicht Realpolitik, sondern Verrat an den Interessen der kleinen Länder und Völker. Das kubanische Volk sei bereit gewesen, "sich atomar zu opfern, damit seine Asche das Fundament für neue Gesellschaften wird". Die friedliche Koexistenz zwischen sozialistischen und kapitalistischen Ländern lasse die Dritte Welt außen vor. Und so fordert er die sozialistischen Länder schließlich, 1965, öffentlich auf, kostenlos Waffen an die Befreiungsbewegungen zu liefern und wirtschaftliche Investitionen in den jungen Nationalstaaten zu tätigen, die diese nur mit einer bestimmten Menge an Produkten zu begleichen hätten.
Er hat nichts mehr zu verlieren. Seine Unabhängigkeit hatte er sich schon in Mexiko ausbedungen. Und Fidel Castro gab damals die Zusage, dass der Argentinier gehen könne, wann immer er wolle. Innerlich ist er längst schon auf dem Sprung. War nicht immer ein "mir nach" statt eines "geh du voran" sein Motto? 1965 ist es soweit. Erste Vorbereitungen in Lateinamerika - auch die größte Guerillaaktion im Norden Argentiniens - sind schief gegangen. So schlägt Castro Afrika als Zwischenstation vor. Der Kongo - ein Land, das nach seiner 1960 erreichten Unabhängigkeit in einem tiefen Bürgerkrieg steckt, dessen erster Premier, Lumumba, ermordet wurde und das sich in seiner Ostprovinz noch gegen den Zugriff imperialistischer Konzerne wehrt - soll Vorfeld für den dann folgenden Einsatz in Lateinamerika werden.
Es wird "die Geschichte eines Scheiterns", wie Guevara die Zeit in seinem Tagebuch bezeichnet. Aber er glaubt, mit einer schonungslosen Analyse der Fehler und einer strikteren Auswahl neuer Männer für Bolivien vorbereitet zu sein und davon ausgehend dann Argentinien, Chile und den Kontinent nach Norden aufrollen zu können. Allerdings lassen ihn die Bauern - nach seiner Theorie vom revolutionären Fokus der Ausgangspunkt eines Volksaufstandes - in Bolivien allein. Sie verstehen ihn nicht. Er ist ein Fremder für sie, ein Ausländer. An seiner Seite gibt es keinen bolivianischen Fidel. Aus den Städten kommt keine Unterstützung. Die Regierungsarmee ist besser vorbereitet als die kubanische unter Batista es war. Und die CIA will die Revolution dieses Mal im Keim ersticken, auch die Green Berets, die US-Sondereinheiten, sind involviert.
Eine nicht endende Christus-Legende
Am 8. Oktober 1967, nach elf Monaten im bolivianischen Altiplano, wird Che Guevara mit einer kleinen Gruppe in der Nähe des Ortes La Higuera gefangengenommen. Vielleicht hofft er auf einen Prozess, in dem er - wie einst Castro nach dem Überfall auf die Moncada-Kaserne - seine Anklagen laut machen kann. Auf die Frage, warum er nach Bolivien gekommen sei, antwortet er jedenfalls: "Sehen Sie nicht, unter welchen Bedingungen die Bauern hier leben? In einer Armut, die einem das Herz zusammenschnürt". Einen Tag später, auf dem Fußboden der kleinen Dorfschule sitzend, verwundet und an Händen und Füßen gefesselt, wird er erschossen.
Nach seinem Tod setzt eine Welle der Verehrung ein. "Wir starren auf das (tote) Gesicht und fragen uns: Welches war der Punkt, an dem er aufhörte, das Elend der Welt nur zu beklagen, das Schicksal der Armen zu bedauern und die Gier der Mächtigen routiniert anzuprangern, der Punkt, an dem er dazu überging, etwas zu tun?", so Alberto Manguel, Argentinier wie er. Irgendwie erinnern die Legenden und die Fotos von ihm - gerade auch das von seinem misshandelten toten Körper - an Christus. Nicht den der offiziellen Kirche, sondern den der gekommen war, die Welt zu erlösen. Andere schreiben sich seinen Marxismus auf die Fahnen. Die westeuropäische Stadtguerilla beruf sich Ende der 60er Jahre auf ihn. Wer immer die Staatsmacht reizen will, bedient sich seiner.
Auch am Fuß der Berliner Fernsehturms am Alex hielt sich jahrelang ein auf die Mauer gemaltes Bild von ihm. Klein, fast versteckt, aber doch nicht zu übersehen. Dann kamen Zeiten, in denen es stiller wurde um ihn. Aber ganz ist die Tatsache nicht aus der Welt, dass er gegen das, was ihm als Unrecht erschien, den Kampf gesetzt hat. Mit einem beispiellosen Idealismus und einem Ethos, das nicht klein zu reden ist, auch wenn Che Guevara sich in den von ihm erwarteten Konsequenzen seines Opfers geirrt hat.
Schriften Che Guevaras (Auswahl):
Bücher:
Notizen einer Reise. Tagebuch 1951/52.
Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein. Tagebuch 1953-56.
Aufzeichnungen aus dem kubanischen Befreiungskrieg 1956-59.
Der Guerillakrieg 1960.
Das bolivianische Tagebuch 1966-67.
Aufsätze und Artikel:
Soziale Projektionen der Rebellenarmee - über die zukünftigen Aufgaben der Revolution. 1959
Universitätsreform und Revolution. 1959
Politische Souveränität und ökonomische Unabhängigkeit. 1961
Kuba, historische Ausnahme oder Avantgarde im Kampf gegen den Kolonialismus. 1961
Der Kader, Rückgrat der Revolution. 1962
Taktik und Strategie der lateinamerikanischen Revolution. 1962
Die marxistisch-leninistische Partei. 1962
Haushaltsfinanzsystem und Bank, Kredit und Sozialismus, zwei wirtschaftstheoretische Arbeiten. 1965
Der Sozialismus und der Mensch in Kuba. 1965
Botschaft an die Völker der Welt. 1966
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