House of Cards: Realität als bessere Fiktion

Eine Betrachtung. Die auf „Sky“ gestartete 4. Staffel des US-Serienhits „House of Cards“ ist abgrundtief. Damit bietet „Netflix“ eine denkwürdige Vermischung von Faktizität und Fiktion.

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House of Cards: Realität als bessere Fiktion

Foto: Presse

Gegenwärtige Politik ist eine Zusammensetzung aus Themenauseinandersetzung und rechtsstaatlicher Mehrebenenprozesse. Die Flüchtigkeit vorherrschender Debatten ist durch massenmedialen Zugang zu Informationen und politischen Ereignissen bemerkenswert, bisweilen überfordernd. In „House of Cards“ fällt all das zusammen: die Vielfalt debattenwürdiger, fundamentaler Themen wie Waffenbesitz, Rassismus oder illegale Sterbehilfe, die Unberechenbarkeit der Ereignisse wie Attentate oder Naturkatastrophen, und schließlich die alles durchziehende Beschleunigung der zeitlichen Wahrnehmung. So verwundert es nicht, dass die vierte Staffel von „House of Cards“ im Vergleich zu ihren Vorgängern einem Tempolimit unterzogen werden müsste. Das Wechseln der Themen hinterlässt einen mosaikartigen Schweif. Der Zuschauer wird dadurch einer wesentlichen Frage massenmedialer Politik ausgesetzt: muss die Traumindustrie tatsächlich noch überspitzt darstellen, oder ist Realität längst die bessere Fiktion? Das Aufspüren einer Antwort wird dabei selbst zu einer unscharfen Angelegenheit.

Der Beschluss des Bundeswehreinsatzes für Syrien infolge der Terroranschläge von Frankreich musste sich der Kritik der unzureichend geführten Debatte aussetzen. Der Einsatz sei ein „planloser“, hieß es von Seiten der Opposition. Dabei stehen sich Planlosigkeit und Unberechenbarkeit in nichts nach. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima, Geiselnahmen, ein Taucher der von einem Löschflugzeug aufgesogen wird, Sodom und Gomorrha. Was die Versicherungsindustrie unter dem Begriff der „Höheren Gewalt“ subsumiert und finanziell der Gemeinschaft aufbürdet, gilt erst Recht für postmoderne Politik. Der unerwartete Eintritt eines Ereignisses bietet dabei politologisch gesehen ein enormes Gestaltungspotential durch sogenannte „Windows of Opportunity“. Das heißt, durch die mediale Fokussierung auf ein solches Ereignis entsteht Handlungspotential, das zumeist von Tatkräftigen „Policy-Unternehmern“ eingefordert wird. Dabei verlagert sich die Entscheidungsmacht weg vom parlamentarisch-demokratischen Austarierungsprozess hin zu einem die „Kernexekutive“ (Regierung) bestärkenden Aktivismus. Ein folgenschwere Entwicklung angesichts der Frequenz solcher Ereignisse und ihrer massenmedialen Einsehbarkeit.

Auf der fiktiven Spielfläche US-Wahlkampf wird in „House of Cards“ dabei offenbart, wie die Beschleunigung der Ereignisse von machtgierigen Politikern ausgenutzt werden kann. Dabei erinnert nur wenig an den aktuellen, realen Wahlkampf der USA. Die fiktiven Herausforderungen für einen Präsidenten erscheinen dabei zu anspruchsvoll für den Charakter eines Donald Trump. Ihm traut man die die Kaltschnäuzigkeit und Handlungsmacht eines Frank Underwood nicht zu. Underwood (gespielt von Kevin Spacey), fiktiver Präsident der USA, lässt sich realpolitisch eher im Neosultanismus eines Recep Erdogan verorten. Welche Macht ein präsidentielles Amt jedoch birgt, verbleibt auch im fiktiven eine reale Möglichkeit. Einem Policy-Unternehmer, der gezielt mit den Ereignissen “höherer Gewalt“ spielt, bisweilen sogar kreiert, um daraus eine für die subjektiven Präferenzen nützliche Wahrheit öffentlichkeitswirksam zu spinnen. So könnte man vermuten, die sich in den letzten Jahren vervielfachten Ausgaben für professionelles Kommunikationsmanagement innerhalb der Regierung diene einzig dem Zweck, die Unberechenbarkeit der Ereignisse zu einer plausiblen Realität umzuformulieren. Steigt dann die Anzahl der Ereignisse, lassen sich die Darstellung problemlos gegeneinander ausspielen. „Relativierungen waren nie einfacher“, hieß es vor kurzem bezüglich der Flüchtlingspolitik.

Der Schlüssel zum Verständnis von Underwoods Darstellungspolitik liegt dabei im englischen Begriff „beyond“ verborgen. Ob als Adverb mit „darüber hinaus“ übersetzt, oder als Präposition mit „jenseits, außerhalb“, der Begriff suggeriert das, was die Realität über die Fiktion hinaus gehen lässt. Im Streben nach Status, in der Komplexität massenmedialer Information und im Bewusstsein der irdischen Historie wird das Vorgaukeln von konventioneller Moral zunehmend zur Schwäche. Handlungsmacht ergibt sich dann durch die Kohäsion dieser Parameter, um sich jenseits der normativen Restriktionen über das amorphe Kollektiv hinaus zu katapultieren. Es ist die heroische Hybris, die das Kartenhaus vor dem Zerfall retten könnte und die damit verbundene Fähigkeit, Wahrheiten zu dekonstruieren und zu neuen zweckmäßigen Darstellungen zu verbinden. Wie das gelingen kann, veranschaulicht Underwood auf erschreckende Art. Ob die Krebskrankheit familiärer Angehöriger, oder Geiselnahmen durch Terroristen. Underwood ist ein Meister darin, solche Geschehnisse für die eigenen Zwecke fruchtbar machen zu können. Er beweist, dass Opportunismus noch nie so einfach war wie in massenmedialen Zeiten.

Der zu diesem Exzess führende Plot wird chirurgisch nachgezeichnet. So bekommen Zuschauer das erstmals Einblick in das Unterbewusstsein Underwoods. Was Normalsterbliche sofort zum Psychiater lotsen würde, verschafft Underwood die persönliche Gewissheit über sein wahres Wesen. Es zeigt, wie er auf verstörende Art das ethische Gewissen abgelegt werden kann, womit die konsensorientierten Spielregeln der Politik außer Kraft gesetzt werden. Der Rechtsstaat erscheint vor diesem Hintergrund als Würfel. Vorwärts geht es immer, allein die Augensumme entscheidet über die Größe und Härte der Schritte. Ein Politiker ohne familiär soziale Einbettung kennt dabei nur eine Richtung, vorwärts. Er verharrt nicht im nostalgischen Trauern um verpasste Chancen, er schert sich einen Dreck um das Risiko und wird dadurch genau zu dem, was die Versicherungsindustrie scheut, zu „höherer Gewalt“. Sie vermischt sich zusätzlich mit dem, was die Serie so schwierig von der Realität unterscheidbar macht, nämlich die Orientierung an realpolitischen Begriffen und Organisationen: NRA, NSA, OPEC, KKK, G7. Rasend werden die Themen bearbeitet und Underwood lässt dabei keine Zweifel über seine Kondition: „We make time“, lässt er seine Gattin Claire (gespielt von Robin Wright) wissen.

Angesichts des Politikerpaares Underwood offenbaren sich die politischen Probleme der Gegenwart als harmlos. Denn wer zwischen richtig und falsch unterscheiden möchte, hat in der Politik nichts verloren. So gerät die Wahrheitssuche innerhalb der vierten Staffel zunehmend in den Hintergrund. Zu viele Darstellungsmöglichkeiten wirken plausibel und die Frage der Perspektive eine alles entscheidende für menschliche Sympathien. Es verwundert somit nicht, das sich moderne Wahlkämpfe weniger um Inhalte, als vielmehr um Personen drehen. Wer mit Inhalten siegen möchte, wird leicht Opfer der Dekonstruktion. Wer sich argumentativ seinen Gefühlen hingibt, begeht einen politischen Suizid. Wer das Spiel mit den Medien nicht beherrscht, wird individuell vernichtet. Wer die Wahrheit aufdecken will, muss mit Prügel rechnen. Was hier als „für die Bürger“ dargestellt wird, entpuppt sich als Camouflage bestialischer Machtobsessionen. Dabei zeigt die Serie genüsslich, wie einfach sich Gerechtigkeit drehen, zerlegen und umgehen lässt und wie weit Mächtige gehen können um ihren Status zu erhalten. Es ist eine Meisterleistung, den Kampf um Würde derart darzustellen, dass er nur mit der Entwürdigung Unschuldiger oder Unbeteiligter zu gewinnen ist.

Tatsächlich kommt man nicht umhin, präsidentielle Politiksysteme für obsolet zu interpretieren. Wenn der Kampf um Macht nur mit Kollateralschäden zu gewinnen ist, dann können die politischen Institutionen nicht mehr zeitgemäß sein. Wie sich die institutionelle Konkurrenz auf mehreren politischen Ebenen umsetzen lässt, und welche Kräfte in einer solchen Übergangsphase und Neustrukturierung freigesetzt werden, das zeigt die Reziprozität zwischen europäischen Nationalstaaten und Europäischer Union derzeit in allen Facetten auf bemerkenswerte, realpolitische Weise. So zeigt die Serie vor allem eines, die Leere politischer Reden vor dem Hintergrund unberechenbarer Ereignisse. Der allwissende Zuschauer der Serie wird grübeln, derart formal korrekt ist die Serie nachgezeichnet. Denn was dazwischen stattfindet, zwischen Rednerpult und Terroranschlag, zwischen der „Rede zur Lage der Nation“ und einem politischen Ereignis irgendwo auf diesem Planeten, allein das Wissen darum lässt jede Rede zur Phrase werden und hinterlässt eine Leere. Wie sie sich füllen lässt, mit Faktizität oder Fiktion, ist dabei erschreckend irrelevant. Es bietet vielmehr allerlei Platz für Verschwörung, Irrglaube und Angst. „House of Cards“ zeigt dabei, wie berechtigt das ist, und weshalb es einfacher denn je ist, dieses Vakuum mit beliebigen Argumenten zu füllen. Sie finden sich im Internet, aber auch im Hass. Die Wahrheit bleibt dabei auf der Strecke und obwohl sich die Wahrnehmung beschleunigt, der Raum krümmt, wächst die Entfernung zwischen Rednerpult und Adressaten. Die Regularien des Spielfelds liegen dabei irgendwo zwischen Faktizität und Fiktion, irgendwo dort, wo die situative Wahrheit am nützlichsten für die Spieler erscheint.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Felx

Interessen: Kino/TV, BigData, Gesellschaft.

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