Ägypten: Große Unruhe vor dem Jahrestag der Revolution

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Am kommenden Mittwoch wird in Ägypten der Jahrestag der Revolution am 25. Januar mit großer Spannung erwartet. Der regierende höchste Rat der Armee (SCAF) plant eine pompöse Militärparade. Die Aktivisten der sozialen Bewegungen und die revolutionären Kräfte ihrerseits bereiten seit Tagen größere Proteste gegen die Militärregierung für diesen Tag vor. Bereits am letzten Freitag demonstrierten Zehntausend Menschen gegen die SCAF auf dem Tahrir. Dazu gab es in Downtown von Kairo eine Frauendemonstration gegen die Armee, die auch den Tahrirplatz durchkreuzte. Diese kraftvolle Marsch mit mehreren Tausend Teilnehmerinnen war nach dem 8. März und 20. Dezember 2011 die dritte Frauendemonstration seit der Revolution.

Für den 25. Januar hat ein Bündnis von 58 Parteien und Bewegungen für Großdemonstrationen im ganzen Land aufgerufen. Die Armee setzte zunächst auf Einschüchterung drohte massiv einzuschreiten. In der letzten Woche kam zu mehreren Zusammenstößen auf dem Tahrir und die Armee verkündete, bei Bedarf scharf zu schießen, dabei aber vor allem auf die Beine der Demonstranten zu zielen. Diese Einschüchterungen verpufften aber schnell. Einige Tage später erklärten die Machthaber, an diesem Tag keine Sicherheitskräfte in Downtown von Kairo und um den Tahrir zu postieren. Am letzten Samstag wurden dann überraschend über 1500 Menschen aus dem Gefängnis entlassen, die wegen politischer oder krimineller Handlung vor Militärtribunalen standen, unter ihnen der bekannte Blogger und Antimilitarist Maikel Nabil. Die Islamisten rufen nicht zu den Demonstrationen auf, wollen aber mit Ordner die Zugänge zum Tahrir kontrollieren und für einen friedlichen Verlauf sorgen. Dies könnte aber zu Konflikten mit den Aktivisten führen, die den Platz selbst kontrollieren und nicht den Islamisten überlassen wollen.

Die Politik der Entspannung seitens der SCAF zeigt die Stärke der Mobilisierung der revolutionären Bewegungen. Sie geht aber auch auf die zunehmende soziale Unruhe in Ägypten zurück. Täglich wird von Streiks, Demonstrationen und Sitzblockaden quer über das Land berichtet, die sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen und miserablen sozialen Lage richten. In Sadat-City führen Stahlarbeiter seit mehreren Tagen einen Sitzstreik aus, um gegen die niedrigen Löhne zu protestieren; diese liegen seit 15 Jahren bei 150 Euro im Monat. In Süd-Sinai gingen letzte Woche 450 Arbeiter von den Zulieferern der Ölindustrie in einem Hungerstreik für dauerhafte Arbeitsverträge. Die Tageszeitung „Al Masry Al Youm“ meldete weiter Streiks aus der Textilindustrie in Alexandria und einem großen Elektronik-Werk in Ismailia. Ferner blockierten Arbeiterinnen und Arbeiter von Textilwerken große Straßen in Kairo, Landarbeiter die Nil-Straße in Minya. Aus den Provinzen werden weitere Blockaden und Proteste wegen der Untätigkeit der Behörden gegen die Diebe und fehlende Sicherheit gemeldet. Symbolträchtig war eine Sitzblockade der Salam-Saleh-Autobahn in Kairo durch Lehrkräfte der Al-Azhar-Universität die dauerhafte Arbeitsverträge fordern. In der vielleicht renommiertesten islamischen Universität der ganzen Welt arbeiten bis zu 70.000 Lehrkräfte nur mit Zeitverträgen. In Al Borolos blockierten Bürger die Autobahnen zu den Häfen um gegen die Kürzung der Gaslieferungen zu protestieren. Die Bahnverbindungen nach Ober-Ägypten wurden durch Blockaden in Sohag und Qena zum erliegen gebracht. Die ägyptische Bahn hat durch Blockaden und Streiks nach offiziellen Angaben bereits 2011 ca. 10 Millionen Euro verloren.

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Geschrieben von

Pedram Shahyar

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